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Ausgabe:

1900

Spalte:

6-8

Autor/Hrsg.:

Soltau, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Eine Lücke der synoptischen Forschung 1900

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 1.

der des Volkes, u. a. m Im Grofsen und Ganzen aber J gebotenen Ueberfetzungen kurzer Ausfprüche Jefu, deren
kann man der' von St. entworfenen Skizze von Israels 1 Studium wir jedem empfehlen, der wiffen will, wie diefe

Urzeit nur beipflichten und dem Schriftchen weitefte
Verbreitung wünfchen.

Marburg. R- Kraetzfchmar.

Schultze, Dr. Martin, Grammatik der aramäischen Muttersprache
Jesu. Berlin, S. Calvary & Co., 1899. (IV,
87 S. 8.) M- 2-40

Der Verf. bezeichnet S. 80 das Biblifch Aramäifche
,mit neuteftamentlicher Vokalifation' als ,galiläifch', indem
er von der Ueberzeugung ausgeht, dafs die Trans-
fcriptionen femitifcher Wörter und Eigennamen im N. T.
fämmtlich galiläifches Aramäifch charakteriflren und dafs
wenigflens die Schriftfprache Galiläas zur Zeit Jefu fleh
von der Sprache des Danielbucbes nicht wefentlich unter-
fchieden habe. Er deutet allerdings an, dafs die ge-
fprochene Sprache anders gelautet haben könne, und
berichtet nach dem babyl. Talmud — übrigens offenbar
mit Benützung einer unzuverläfflgen Quelle —, dafs die
Gahlaer die fpeeififeh lemitifchen Confonanten ganz aufgegeben
hätten. Aber irgendwelche Unterfuchung der
hierüber zu befragenden fchriftlichen Documente findet
nicht ftatt. Weder das fpäter in Galiläa von den Juden
gefprochene Aramäifche noch das ihm nah verwandte
Chriftl.-Paläftinifche wird in den Bereich der Betrachtung
gezogen. Sogar die Exiftenz des Letzteren fcheint dem

Worte etwa in bibl. Aram. gelautet haben würden. Wer
ein aramäifches Urevangelium annimmt, kann fleh danach
eine Vorftellung bilden, wie dies ungefähr ausge-
fehen haben müfste. Aber Jefu Mutterfprache, das
gefprochene Galiläifch, könnte davon lexicalifch und
grammaticalifch ebenfo weit entfernt gewefen fein, wie
der heutzutage in Galiläa gefprochene arabifche Dialekt
von der dort wie anderwärts ausfchliefslich benützten
arabifchen Schriftfprache. —

Aleppo. Guflaf Dalman.

Soltau, Gymn.-Oberl. Prof. Dr. Wilhelm. Eine Lücke der
synoptischen Forschung. Leipzig, Dieterich, 1899. (47 S.
gr. 8.) M. 1.20

Ein durch feine Forfchungen zur römifchen Chronologie
und Gefchichte, infonderheit durch Beiträge zur Quellenkritik
des Livius rühmlich bekannter Philologe, dem
übrigens auch theologifche und kirchliche Intereffen
nicht fern geblieben find, erweift fleh in vorliegender
Schrift als Sachkenner auf dem Gebiet der neutefta-
mentlichen, fpeciell der fynoptifchen Kritik und bereichert
die derfelben gewidmete Literatur mit einem Beitrage,
welcher auch nach und neben Wernle's gleichzeitig er-
fchienenem, den Stoff unter viel umfaffenderen Geflchts-
punkten behandelndem Werke über die .fynoptifche
Verf.° entgangen zu fein, da es in feiner Ueberflcht ara- ! Frage' noch auf Beachtung Anfpruch erheben darf.

mäifcher Dialekte und in den von ihm gegebenen Dia- Wer zwar von diefer relativ abfchliefsenden Arbeit
lektproben völlig fehit. Dafs es nebenbei mit dem 1 herkommend an die Leetüre der kleineren Schrift geht,
,Aufgeben der femitifchen Laute' bei den Juden Galiläa's : ift vielleicht fchon etwas voreingenommen durch Wernle's
nicht fo fchlimm ftand, ift z. B. aus den Klagen des , Urtheil über ähnliche Beiträge zur Löfung des Problems,
Hieronymus zu erfehen, dafs die Hauch- und Zifchlaute i wie fle in letzter Zeit z. B. Feine, Joh. Weifs und Titius
der Hebräer fo fchwer auszufprechen feien und dafs die j geliefert haben: ,Als Detailunterfuchuugen leiden fle
Juden den verlachen, welcher fle nicht fleh anzueignen meiftens unter dem Fehler, dafs fle immer nur einen
vermöge. Obwohl aus den neuteftamentlichen Trans- j Ausfchnitt des Problems im Auge haben, das durch-
feriptionen femitifcher Wörter nicht gerade galiläifcher
Dialekt gelernt werden kann, thut der Verf. natürlich
Recht, ihr Zeugnifs für alte Ausfprache des Aramäifchen
zu benützen. Nur fleht man nicht ein, warum nicht
fämmtliche Eigennamen der LXX in den Bereich der
Betrachtung gezogen werden, wenn doch Wörter wie
'Pagaco, Tvqoq, Bi]d-Xttu, XtQovßifi dem Verf. als be-
nützbares Material gelten. Nach den Arbeiten von
Kautzfeh, Strack und Marti üefs fleh nicht erwarten, dafs
Sch. in feinem kurzen Abrifs der Formenlehre und Syntax
des biblifchen Aramäifch werde Neues zu fagen
haben. Eigenthümlich ift ihm, dafs er die Zweiconfo-
nantenhypothefe feiner Darftellung der Abänderung des
Zeitwortes zu Grunde legt. Der ,reine' Stamm foll in
Imperativen wie hab ,gieb', da' ,wiffel zu Tage liegen.
Dreiconfonantige Stämme feien zumeift entftanden durch
Vorfetzung, Nachfetzung, Verlängerung und Zerdehnung
von Vocalen, für welche zunächft die entfprechenden
Confonanten, dann aber auch andere Laute eintreten
können. So foll ein a fleh erft fpalten in a'a, und dann
verwandeln in da, aha, aclia, — oder auch in aja, woraus
ala und ana werden kann. Mit diefen unbeweisbaren
Annahmen wird fleh fchwerlich jemand einver-
ftanden erklären.

Die Formen find fämmtlich in Transfcription geboten
, wodurch der Verfaffer Gelegenheit erhält, die
von ihm für galiläifch gehaltene Vocalifation anzuwenden,
welche hauptfächlich darin befteht, dafs lautbares Schewa
meift mit a, kurzes Chirek mit e wiedergegeben wird.
Er unterläfst die Spaltung der bgdkpt in Momentanlaute
und Dauerlaute, von der er meint, dafs fle erft
aus dem Hebräifchen in einige aramäifche Dialekte eingedrungen
fei. Eine Unterfuchung des wirklichen Charakters
jener Laute zu Jefu Zeit wird aber nicht herge-
ftellt. Am meiden Intereffe erregen die S. 80—83

aus als Ganzes in Angriff genommen fein will'. ,Das
einzige unbeftechliche Kriterium, das fprachliche, ift
entweder ganz vernachläfsigt oder doch zu leicht genommen
worden' (S. IV). Doch wird man angefichts
der gerade von Wernle fo überzeugend nachgewiefenen
Sachlage dem Verf. die volle Berechtigung zu feinen
mitgebrachten Vorausfetzungen — Benutzungshypothefe
in Geftaltder Zweiquellentheorie (S. 5 f. 8) — zuerkennen
müffen. Sogar die Annahme, dafs diefelbe griechifch
gefchriebene Logiaquelle dem dritten Evangeliften in
einer ipätern, gröfsere Vollftändigkeit darbietenden, Ueber-
arbeitung vorgelegen habe, als dem Matthäus (S. 2.
4 32- 37- 39). weicht doch nur relativ von Wernle's
entgegengefetztem Refultate (vgl. hier S. V 90. 178. 299
gegen S. i84f. 231—233)ab, und wenn unferVerf. einStück
wie Luc. 4,1—13 nicht direct (nach S. 12 f., 17 freilich in-
direct) aus der Logiaquelle, fondern aus Matthäus ableitet
(S. 27.36), fo hat er nach meiner Meinung fogar die
gröfsere Wahrfcheinlichkeit für fleh. Nur foll — darin
befteht die wahrgenommene Lücke (vgl. Wernle S. 208:
.Einen Urmt aber hat es nie gegeben') — der von Lucas
benutzte Matthäus nicht der erft nach 100 abgefchloffene,
kanonifche, fondern von diefem als Protomatthäus, bald
nach 70 entftanden (S. 35), zu unterfcheiden fein (S. 14 f.
20 f. 31 f. 36). Auf diefem Wege allein follen einerfeits
dieinnerhalb des erftenEvangeliums fleh findenden Gegen-
fatze und Widerfprüche (S. 14 f. 21 f.), nur fo aber auch
./f. Thatfache zu erklären fein, dafs gerade die charakte-
nitifchen Zufätze des kanonifchen Matthäus bei Lucas con-
fequent ignorirt werden (S.29L). Beide Beobachtungen find
bekanntlich nicht neu. Jene, die Wahrnehmuno- der
Doppelfeitigkeit, hat Anlafs fchon zu der tübinmfehen
Eonftruction eines zweifeeligen Matthäus gegeben. Während
aber hiernach ein particulariftifches Judenchriften-
trium mit univerfaliftifcher Tünche wenigflens theilweife