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Ausgabe:

1900 Nr. 7

Spalte:

214

Autor/Hrsg.:

Nürnberger, Aug. Jos.

Titel/Untertitel:

Zur Kirchengeschichte des XXIX. Jahrhunderts 1900

Rezensent:

Tschackert, Paul

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213

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 7.

214

(Braunfchweig, Limbach. 1898 u. 1899), der durch die
Reichaltigkeit der Verhältnifse, die dort zur Sprache
kommen, allein fchon bis zum Wormfer Concordat einen
itattlichen, wohl begründeten Band füllt. Dagegen ift
die Gefchichte Oberfachfens arm. Reicher wird sie durch
die Reformation; aber das Schönfle an der neueren
Kirchengefchichte Oberfachfens gehört doch der allgemeinen
Kirchengefchichte an; daher denn auch hier
die Eintheilung des Stoffes aus der inneren Entwickelung
des gefammten lutherifchen Proteftantismus herübergenommen
ift: Reformation, Orthodoxie, Pietismus —
nur hier wird ein fpecififch fächfifcher Abfchnitt ein-
gefchoben ,die römifche Propaganda' in Sachfen — es
folgen Aufklärung, kirchlicher Umschwung, Neuzeit. Ob
der Stoff gerade fo eingetheilt werden mufste und ob
nicht ftatt der heben neuzeitlichen Abfchnitte, die nach
meiner Meinung den Durchblick durch den hiftorifchen
Stoff erfchweren, eine einfachere Dispofition hätte gewählt
werden follen, wage ich natürlich nicht zu ent-
fcheiden, da ich die fpecififch fächfifche Landeskirchen-
gefchichte auch erft durch diefes Buch näher kennen
lerne. Ich hege nur die Meinung, dafs eine Dispofition
um fo lichtvoller wirkt, je einfacher fie ift. Entfprechend
dem weiten Leferkreife, welchem der Verfaffer dienen
will, ift der Ton feines Buches ein im edelften Sinne
populärer; die Gefahr, dafs die eminent gewandte Feder
B.'s auf die Linie der Unterhaltungslectüre hinabfteigt,
ift mir nur an einzelnen Stellen vor Augen getreten. Im
Allgemeinen finde ich den vorgetragenen Bericht, fo
weit ich urtheilen kann, fachlich richtig; der theologifche
Standpunkt ift der eines gefund lutherifchen Kirchenthums
; entfchieden auf dem Boden der fächfifchen
Landeskirche ftehend, ift B. mild und gemäfsigt im Ur-
theile wie über gefchichtliche Erfcheinungen fo über die
Zeitgenoffen, aufgefchloffen für die Aufgaben der Bildung
und der gefammten Cultur, aber der römifchen Propaganda
gegenüber ein energifcher Proteftant.

Seit längerer Zeit drängt fich mir die Beobachtung
auf, dafs, im Unterfchiede von dem in den fünfziger und
fechziger Jahren auch in Deutfchland gepflegten Alliance-
Gedanken und im Gegenfatze gegen das Secten- und
Freikirchenthum, feit den fiebziger Jahren des XIX. Jahrhunderts
die Idee des Landeskirchenthums im
Proteftantismus Deutfchlands kräftiger hervortritt und
wirkt; ich fehe das in den landeskirchlichen Verfaffungen
und Gottesdienftordnungen, aber auch in den Arbeiten
für die Landeskirchengefchichte. B.'s Buch wird nach
diefer Seite hin Bedeutung gewinnen; denn die Ober-
fachfen werden aus ihm erkennen, welche fchöne und
erbauliche Gefchichte fie in ihrer Landeskirche gemein-
fam durchlebt haben und welchen Schatz fie ihren Nachkommen
überliefern follen; ich wünfche ihm viele dankbare
Lefer.

Göttingen. P. Tfchackert.

Pigge, Dr. Heinrich, Die religiöse Toleranz Friedrichs des
Grossen nach ihrer theoretifchen und praktifchen Seite.
Auf Grundlage der Quellen dargeftellt. Mainz, F.
Kirchheim, 1899. (VII, 419 S. gr. 8.) M. 4 —

Der Verfaffer hat fich die Aufgabe geftellt, ,auf
Grundlage der Quellen' Friedrichs des Grofsen religiöfe
Toleranz nach zwei Seiten hin zur Darfteilung zu bringen,
erftens foweit fie Theorie des Königs war, zweitens fo-
fern er fich in feinem praktifchen Verhalten durch
fie beftimmen liefs. Die ,Quellenl, die dem Verf. zur
Dispofition ftanden, find hauptfächlich die gedruckten
^Oeuvres1- Friedrichs und M. Lehmann's bekannte Mittheilungen
in den .Publicationen aus den K. preufs. Staatsarchiven
' über ,Preufsen und die katholifche Kirche feit
1640'. Neue Quellen hat der Verf., foweit ich fehe, gar
nicht erfchloffen, fondern arbeitet nur mit gedrucktem
Material.

Da ift es nun zunächft an fich ja nicht verwunderlich
, dafs nach E. Zeller's Schrift .Friedrich der Grofse
als Philofoph' (Berlin 1886) wieder eine befondere Arbeit
dem religiöfen Standpunkte des grofsen Königs gewidmet
wird; aber dafs man über den einen Begriff bei
ihm ein ganzes Buch von 419 Seiten fchreibt, ohne etwas
Neues zu bringen, ift doch ein eigenes Unternehmen, für
das mir der Gefchmack fehlt. Genau genommen hat es
auch dem Verf. an Stoff gefehlt; denn Friedrichs Anflehten
über Toleranz laflen fich mit wenig Sätzen aus-
fprechen und find fo weltbekannt, dafs fie hier nicht erft
wiederholt zu werden brauchen; und auch in dem vorliegenden
Buche umfaffen fie nur 42 Seiten; das ift der
ganze ,erfte TheiP des Buches. Der weitaus gröfste Theil
des Werkes S. 43—406 (dazu faft der ganze Anhang bis
S. 419) enthält dagegen eine Darfteilung der ,Thaten
Friedrichs des Grofsen auf dem Gebiete der religiöfen
Toleranz', nicht blofs feine gefammte Kirchenpolitik, fondern
überhaupt fein Verhalten gegenüber den in feinem
Königreiche vorhandenen Kirchen, Religionsgenoffen-
fchaften und einzelnen Perfonen, Lutheranern, Refor-
mirten, Katholiken, Juden, Philofophen, Jefuiten, Schwärmern
etc., ein buntes Vielerlei in 17 Capiteln, für das der
Verf. leider kein Regifter zum Nachfchlagen angefertigt
hat; mit Vorliebe ift Friedrichs Verhalten gegenüber dem
Katholicismus behandelt. Der Standpunkt des Autors
ift der eines gemäfsigten römifch-katholifchen Betrachters
ohne theologifche Fachbildung; er vertritt die .wahre
Duldung', welche fich ftets des von ihr vertretenen Standpunktes
bewufst bleibt u. f. w. (S. 6; vgl. S. 404 ff.) Im
Teftamente Friedrichs d. Gr. (S. 418) fleht irrthümlich
Je n'eglige . . . que', ftatt Je riexige . . . que'.

Göttingen. P. Tfchackert.

Nürnberger, Prof. Dr. Aug. Jof., Zur Kirchengeschichte

des XXIX. Jahrhunderts. 1. Papfttum und Kirchenftaat.

2. Reform, Revolution und Reftauration unter Pius IX.

(1847—1850). Mainz, F. Kirchheim, 1898. (XI, 416 S.

gr- 8-) M. 5. —

Auf die erfte Abtheilung diefes Werkes, welche
.Papfttu m und Kirchenftaat vom Tode Pius VI bis zum
Regierungsantritte Pius IX (1800—1846)' behandelt hatte,
folgt in der vorliegenden Abtheilung die Schilderung
der liberalen Epoche Pius des Neunten und feines Um-
fchwunges zur jefuitifchen Reaction oder die Gefchichte
der erften vier Regierungsjahre diefes merkwürdigften
der neueren Päpfte. Das Werk ift ganz in derfelben
Weife fortgeführt, wie die erfte Abtheilung begonnen
war; zu meiner Freude hat der Verf. aber jetzt die Literatur
in weiterem Umfange herbeigezogen als früher.
In Bezug auf Standpunkt und Methode braucht daher
hier nur auf das bereits in Nr. 15 des Jahrganges 1898
diefer Zeitfchrift über Abt. 1. Gefagte verwiefen zu werden
: das Buch ift ein correct römifch-katholifches Ge-
fchichtslefebuch, das den vaticanifch gläubigen Katholiken
das Döllinger'fche Werk .Kirche und Kirchen, Papftthum
und Kirchenftaat' (München 1861) erfetzen foll; es bewegt
fich in den Bahnen von Reumont, Garns und Hergenrother
; das Ganze ift eine ruhige, fachliche Bericht-
erftattung; auf concrete Charakteriltik der auftretenden
Perfonen hat der Verf. verzichtet, obgleich die dramatifch
bewegte Zeit doch wie von felbft zur malenden Charak-
tenftik auffordert; nicht einmal den abgefeimten Cardinal
Antonelli hat er felbftändig zu charakterifiren gewagt;
ftatt deffen druckt er im Jahre 1898 einen Theil des relativ
unbedeutenden Artikels ,Antonelli' aus der Feder
des ultramontanen A. de Waal (Rom) aus Kaulen's
.Kirchenlexikon' von 1882 wörtlich ab. Es wird alfo
wohl der Mainzer bifchöflichen Behörde nicht fchwer
geworden fein, diefer Darltellung der peinlichften Fpifode
des modernen Papfithums die Druckerlaubnifs zu ertheilen.
GöuinSen- P. Tfchackert.