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Ausgabe:

1899

Spalte:

176-177

Autor/Hrsg.:

Lewis, Agnes

Titel/Untertitel:

In the Shadow of Sinai 1899

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 6.

176

verfucht. Dafs Petrus der erfte Zeuge der Auferftehung
gewefen fei, dafs die erften Erscheinungen nicht in Jerusalem
und nicht am dritten Tage ftattgefunden haben,
fondern in Galiläa und fpäter, dafs aber am dritten
Tage das Grab leer befunden worden fei, find
feine wichtigsten hiftorifchen Thefen. In Bezug auf
die Literarhiftorie vertheidigt der Verfaffer die Anficht
aufs Neue, dafs in Joh. 21 und im Schluffe des Petrusevangeliums
der ältefteBericht der Auferftehungsgefchichte
(Markus) steckt, und dafs der jetzige, von Ariftion flammende
Markusfchlufs aus lukanifch-johanneifcher, bez.
kleinafiatifcher Tradition gefloffen und das Fragment
eines urfprünglich selbständigen Auffatzes ift, der an das
Markusevangelium angerückt wurde, um eine einheitlichere
evangelifche Gefchichtserzählung zu erzielen.

Die Beweisführung ift umfichtig und methodifch vortrefflich
geführt. Die Auseinanderfetzung mit einem
radicalen Standpunkt (f. z.B. Brandt, Die Evangelifche
Gefchichte S. 315—446) und dem fehr confervativen, wie
ihn jüngft Loofs (Die Auferftehungsberichte und ihr
Wert. 1898) auf Korten des Markus und Matthaeus durchzuführen
verfucht hat, hat der Verf. vermieden. Für
die Wirkung feiner Arbeit wird diefer Verzicht nicht zuträglich
fein; in der Sache hätte er wenig durch Polemik
gewonnen, und vielleicht danken es ihm doch manche
Lefer, dafs er fie nicht auf den verfchlungenen Pfaden
der Möglichkeiten führt, bevor er ihnen den rechten Weg
weift.

M. E. ift in diefer Untersuchung das Wahrscheinliche
richtig erkannt und abgegrenzt. Gewifs, Loofs'
Auffaffung, die die jerufalemifchen Erfcheinungen rettet
und die galiläifchen preisgiebt, hat nichts Unmögliches
gegen Sich, aber Sie fcheint mir Möglichkeiten zu folgen
, die der Historiker unter anderen Umftänden nicht
berücksichtigen würde: aus der Skepfis zur Plerophorie
aufzusteigen, Einfacheres preiszugeben, Complicirteres
und Auffallenderes aber zu retten — das ift eine fatale
Methode. Andererfeits fcheint mir der Verfuch, das am
3. Tage leer befundene Grab als Thatfache zu erweifen,
alle Beachtung zu verdienen. Ich habe lange über diefen
Punkt gefchwankt und die Zeugnifse immer aufs Neue
erwogen; auch ich halte jetzt die Meinung, dafs beim
Markus die Erzählung vom leeren Grabe ,ganz neu' auftauche
, für kaum durchführbar, weil in eine Kette von
Schwierigkeiten verwickelnd, während die entgegenstehende
Anficht von folchen nicht in demfelben Mafse
gedrückt ift. Es erhebt Sich dann aber die wichtige
Frage, auf die der Verfaffer nicht genügend eingegangen
ift, ob nicht die Kunde vom leeren Grabe bereits vor den
Erfcheinungen nach Galiläa gedrungen war. Weiter, wie
man auch über das leere Grab urtheilen mag — die
Verfe Matth. 28, 9 und 10 bleiben gleich fecundär und
fallen aus der Matthäustradition (f. vor allem V. 16)
heraus; allein, da fie nicht als fpäter Zufatz eines Dritten
erwiefen werden können, fo hätte die Thatfache doch
mehr Beachtung verdient, dafs im Matth, fchon vor dem
Johannes-Evangelium und der Ariftion-Diegese von einer
Erfcheinung Jefu vor Frauen am dritten Tage erzählt
worden ift.

Sehr dankenswerth ift S. 44 f. der Nachweis, dafs das
Petrusevangelium dem Markus (16,3) durch den Syrer
Sinait. noch näher rückt. Schliefslich vermag ich an einem
nicht unwichtigen Punkte eine Thefe des Verfaffers zu
verstärken. Bekanntlich find die Berichte über die erfte
Erfcheinung Jefu in Jerufalem auch deshalb fo verdächtig
, weil fie in Bezug auf die Perfonen und Situationen
fo ftark differiren. Wer hat ihn zuerft gefehen? Maria
Magdalena im Garten? Mehrere Frauen auf dem Heimwege
? Die Emmauten? Jakobus? Dr. Rohrbach fügt zu
diefen Berichten noch einen fünften.1) Er behauptet auf

1) Als eine weitere Variante kommt Pfeudohippolyt (zum Hohenliede
p, 350 ff.) in Betracht; hier sind es Maria und Martha.

Grund des Commentars Ephraem's, dafs nach Tatian
Maria, die Mutter des Herrn, die erfte gewefen fei,
die den Herrn gefehen habe (S. 68 ff.). An mehreren Stellen
nämlich fafst Ephraem die Maria Joh. 20, 15 ff. als die
Mutter Jefu. Zahn in feiner Reconftruction des Tatian
fah darin eine Verwechfelung, die Ephraem verübt habe.
Rohrbach widerfpricht dem mit guten Gründen. Entscheidend
aber ift, was Beiden entgangen ift, dafs in den
in Antiochien in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts ver-
fafsten pfeudojuftinifchen Quaest. et Respons. ad Orthodoxes
, qu. 48 (Cod. C) zu lefen fleht: Am xl 6 xvqioq
sXsys jtQoq xr]v (irjxsQa Maalay, ptxa. xrv lycQöiv
Mrj fiov <xjXtov xxX. Otto hat das Wort urjxsQa
getilgt und aufserdem Magtav gefchrieben, dem Scho-
liaften (Arethas?) folgend, der jene Worte als Zufatz
der Abfchreiber bezeichnet. Niemand wird diefe Ent-
fcheidung für richtig halten. Steht es aber fo, dafs zwei
dem fyrifchen Patriarchat zugehörige Theologen des
4. Jahrhunderts in Joh. 20 die Maria für die Mutter Jefu
halten und der eine diefe Meinung im Commentar zum
Diateffaron ausführt, fo ift der Schlufs unvermeidlich,
dafs Tatian felbft nicht ,Maria Magdalena', fondern die
.Mutter Maria' geboten hat. Diefe Thatfache ift nicht
ohne Intereffe und verdient bei der Bedeutung des Dia-
teffarons eine eingehende Erörterung. Wichtig aber ift
auch, dafs ein griechifcher Lehrer Antiochiens — La
Croze hat ihn mit guten Gründen als Diodor von Tar-
fus erkannt — Sich von der Tatianifchen Evangelienharmonie
abhängig zeigt.

Berlin. A. Harnack.

Lewis, Agnes Smith, In the shadow of Sinai. A story of
travel and research from 1895 to 1897. Cambridge,
Macmillan & Bowes, 1898. (V, 261 S. 8.)

Diefer Band bildet die willkommene Fortfetzung und
Ergänzung derBefchreibung, welche die Zwillingsfchwefter
der Verfafferin vor 5 Jahren von ihren zwei erften Reifen
zum Sinai veröffentlicht hat. (How the Codex was found.
A narrative of two visits to Sinai. From Mrs. Lewis's
Journals 1892—1893. By Margaret Dunlop Gibson: im
gleichen Verlag 1893. 141 S.) Die Einleitung, welche auf
jene zwei Reifen zurückgreift, bildet zugleich auch eine
Ergänzung zu der Schilderung von Mrs. R. L. Hensly (Our
Journey to Sinai. A visit to the Convent of St. Catarina.
With a chapter on the Sinai Palimpsest. Illustrated
from Photographs by the Author. The Religions Tract
Society 1896. 185 S.) Zu vergleichen namentlich S. XI,
wo der Brief abgedruckt ift, der erftmals mittheilte, dafs
Bensly und Burkitt in dem von Mrs Lewis photographirten
Palimpfeft ,a copy of the Curetonian Syriac' erkannt hätten.
Der Zweck der dritten Reife zum Sinai (Frühjahr 1895)
war die Vervollftändigung der Entzifferung diefer Hand-
fchrift; das Ergebnifs liegt feit 1896 in dem in Nr. 12
des genannten Jahrgangs befprochenen Quartband vor.
Hier bekommen wir einen Einblick in die Arbeit, durch
welche diefes Ergebnifs erzielt wurde. Einige bemerkens-
werthe Lesarten werden im 4. Capitel (, The Palimpsest')
befprochen, z. B. Joh. 4,27, dafs Jefus mit (bei) dem Weibe
ftand und fprach; 8,57, Abraham hat dich gefehen (ftatt:
Du hart; Abraham gefehen). Bei diefer Gelegenheit erfahren
wir (wenigftens der Unterzeichnete) erftmals, dafs
diefe vom griechifchen und fyrifchen Sinaiticus und von
der fahidifchen Ueberfetzung vertretene Lesart auch die
der erften Hand des Vaticanus fei. Tifchendorf, Tregelles
und Fabiani führen nur an, dafs in B GOfAKGC in
GOfAI<AC corrigirt fei; auch die Brofchüre de editione
romana etc., welche Tifchendorfs Fehler aufzählt (f. diefe
Zeitfchrift 1882 n. 9, 1890 n. 16) fchweigt davon, dafs
hinter dem C a final G has been erased, wie ein Freund
der Verfafferin, Mr. Theodore Harris, ihr aufwies. Das
Beifpiel fei angeführt, um daran die Bitte zu knüpfen, es