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Ausgabe:

1899

Spalte:

151-153

Autor/Hrsg.:

Franz, Adolph

Titel/Untertitel:

Der Magister Nicolaus Magni de Jawor 1899

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 5.

152

Franz, Adolph, Der Magister Nicolaus Magni de Jawor.

Ein Beitrag zur Literatur- und Gelehrtengefchichte des
14. und 15. Jahrhunderts. Freiburg i. B., Herder, 1898.
(XII, 269 S. gr. 8.) M. 5.—

Dafs uns für die Kenntnifs der Theologen und der theo-
logifchen Arbeiten am Ende des Mittelalters noch gar viel
fehlt, dass unfere Bibliotheken für die Erforfchung diefer
Zeiten noch reiche Materialien bieten, die darauf warten,
hervorgezogen und ftudirt zu werden,und dafs auch gerade im
Intereffe des Verftändnifses der Reformation diefe Studien
dringend erwünfcht find, das ift allen Kundigen wohl
bekannt. Daher ift jede neue, in diefe Gebiete muthig
eindringende Forfchung freudig zu begrüfsen. Grofse
Schwierigkeiten find dabei zu überwinden und viel Selbft-
verleugnung ift dabei zu üben. Denn es gilt, in ein weit
verftreutes handfchriftliches, für jedes rafche Vordringen
durch den Charakter der Schrift jener Zeit
läftige Hindernifse bereitendes Material fich mühfam hineinzuarbeiten
; und dazu bietet auch der Inhalt jener Manu-
fcripte wenig Anziehendes. Leidet doch die fcholaftifche
Theologie der Zeit, wie Franz S. 140 mit Recht hervorhebt
, an einem empfindlichen /Mangel an individueller
Auffaffung und der Neigung, ftets mit Autoritäten fich
zu decken'; fie hütet und fyftematifirt und commentirt
das durch grofse Autoritäten Ueberlieferte, ohne den Puls-
fchlag frifchen Lebens fpüren zu laffen. In fchwerer
Rüftung, gepanzert mit zahlreichen Beweisftellen unantaft-
barer Autoritäten, fchleppt fie die kirchliche Lehre weiter;
aber gerade da, wo fie fich Mifsbräuchen der kirchlichen
Zuftände oder fuperftitiöfen Erfcheinungen der Volksfrömmigkeit
gegenüber zur Predigerin kirchlicher Reformen
auffchwingt, da gewinnt der Beobachter den Eindruck
, dafs fie mit ihren umfiändlichen und fchwerfälligen
Argumentationen auf ihre Zeit ohne wirkfamen Einflufs
bleibt. Jede von einemBifchof berufeneSynode eröffnet die
herkömmliche Synodalpredigt eines angefehenen Theologen
, und herkömmlich ftraft fie in fauberen, fchul-
gerechten Diflinctionen auch die Sünden des geiftlichen
Standes (vgl. S. 137 fr.), aber die Mifsftände bleiben; feit
Anfang des 15. Jahrhunderts entfteht eine ganze theologifche
Literatur wider den Volksaberglauben (S. 160 f.),
aber in ungefchwächter Kraft lebt er weiter, nicht nur
im niederen Volke, fondern beftändig auch von zahlreichen
Geiftlichen gefördert.

Den Theologen, den Prälat A. Franz in vorliegendem
Buche mit rühmlicher Gelehrfamkeit und liebevollem
Fleifse behandelt hat, wird kaum einer von uns kennen:
Tritheim nennt ihn nicht, v. d. Hardt hatte eine Rede
von ihm, die er in Conftanz auf dem Concil gehalten,
überliefert, Jakob Grimm in feiner Mythologie einige
Stellen aus feinem Tractat De superstitionibus mitgetheilt;
die Publicationen zur Gefchichte der Prager und Heidelberger
Univerfität nennen etliche Male feinen Namen
— das war fo ziemlich alles was bekannt war, und nun
ein ganzes Buch über ihn! Freilich über den Menfchen
Nie. Magni aus Jauer, geb. ca. 1355, erfahren wir trotz
alles Forfchens in den Quellen nicht eben viel. Die
Capitel, die feine Studenten- und Docentenjahre in Prag
und feine theologifche Profeffur in Heidelberg fchildern,
muffen fich damit helfen, dafs fie die Univerfitätsverhält-
nifse überhaupt, den allgemein vorgefchriebenen Studiengang
, die Promotionsvorfchriften, die Pflichten der aka-
demifchen Lehrer in der Artiftenfacultät und in der theo-
logifchen, genau und anfehaulich fchildern — und in
diefer Beziehung find fie höchst lehrreich und dankens-
werth. Oder der Verfaffer regiftrirt mit mühfamem
Fleifse alle Theologen, die neben Nie. Magni in Prag
und Heidelberg lehren, und ftellt die fpärlichen Notizen
über fie zufammen. Im Uebrigen bilden die Unterlage vor
allem feine Schriften: eine Prager Paffionspredigt, ein für
die Nonnen in Prag, deren Seelenführer er war, bestimmter

Tractat de tribus substancialibus votis religiosorum; fo-
dann aus feiner Heidelberger Wirkfamkeit (1402—1435)
das Fragment einer Quaestio über das Zinfennehmen,
eine beifer erhaltene Quaestio über das Mendicantenthum
(gegen Beginen und Begharden) mit Verneinung der viel
verhandelten Frage, ob Chriftus felbft ein Bettler gewefen
fei; eine Quaestio de haereticis (und zwar wider die
asserentes clerum dominiis et possessionibus spoliandum).
Sodann jene fchon von v. d. Hardt (fehlerhaft) überlieferte
CoftnitzerRedevom3.0ctober 1417, eine WormferSynodal-
rede, etliche Heidelberger Predigten, und endlich der
einft aufserordentlich weit verbreitete — Franz zählt
noch 58 erhaltene Abfchriften auf — dann fchnell ver-
geffene Tractat de superstitionibus. Wie reiche Ausbeute
in zeit- und culturgefchichtlicher Beziehung verfprechen
theilweife die Themata diefer von Franz forgfam durch-
forfchten, theils genau analyfirten, theils vollftändig in den
Anlagen abgedruckten Schriften! Und doch ift fie, wie
Franz namentlich gegenüber dem Tractat ötesuperstitionibus
felber anerkennt, überrafchend gering. Das macht die
fcholaftifche Gebundenheit des Verfaffers, der nur feiten einmal
concret die Erfcheinungen der Gegenwart fchildert und
noch weniger wagt, felbftändig Stellung zu ihnen zu
nehmen oder pofitive Reformvorfchläge zu machen, wohl
aber gewiffenhaft die Autoritäten der Vergangenheit abhört
. Es ift bezeichnend, dafs Franz trotz aller Liebe
für den von ihm ausgegrabenen Theologen doch felber
davor warnt, von feiner bedeutendften und einft ver-
breitetften Schrift [de superstitionibus) einen vollftändigen
Abdruck veranftalten zu wollen, es würde fich nicht
lohnen. Gleichwohl danken wir ihm die reichhaltigen
Auszüge, die er dauraus mittheilt. Ich bedaure, fie nicht
fchon gekannt zu haben, als ich für die Braunfchw.
Lutherausgabe VILi ff. Luther's culturgefchichtlich fo
wichtige Predigt über das 1. Gebot (1516) überfetzte und
comtnentirte (1891); es wären viele fchätzbare Parallelen
zu finden gewefen; freilich würde eine Vergleichung Beider
auch zeigen, wie viel ftärker bei Luther im Kampf mit
dem Aberglauben die unmittelbar religiöfen Gefichts-
punkte maafsgebend find. Franz bemüht fich ängftlich,
von der ,Kirche' jeden Verdacht einer Mitfchuld an der
Verbreitung und Pflege des Volksaberglaubens abzuwehren.
Dafs hohe und niedere Geiftliche auf diefem Gebiete viel
gefündigt hatten, kann er freilich nicht in Abrede ftellen.
Dafs der Kirche ,die Macht verliehen ift', in Benedictionen
und Exorcismen gegen die Dämonen vorzugehen, fleht
ihm feft;der Volksaberglaubewarnurein Z u viel auf diefem
dunklen Gebiete, ein Ueberfchreiten der kirchlich fanetio-
nirten Grenzen (S. 155). Auf diefe Weife ift freilich
unferesErachtens ein principiell klarer religiöfer Gegen-
fatz gegen den Aberglauben nicht zu gewinnen; er
wuchert dann eben als volksthümliche Erweiterung
des von der Kirche fanetionirten Befchwörungswefens
weiter — wie er es auch in der Gegenwart noch thut. —
Die Schutzrede, die Franz S. 105 f. der fcholaftifchen
Bildung und Methode — natürlich unter Berufung auf
F. Paulfen's bekannte Worte — hält, mufs doch von ihm
felbft hernach, z. B. S. 112 in Bezug auf das Ungenügende
ihrer Schriftbehandlung und S. 140 betreffs des Mangels
an Individualität, erhebliche Einfchränkungen fich gefallen
laffen; noch kräftiger hat jene Schatten und
Schranken M. Spahn in feiner Befprechung des Franz'fchen
Buches im Katholik 1898 II, 461 f. hervorgehoben. Auch
für den praktifchen Theologen find hier intereffante Notizen
über das Predigtwefen und S. 147 f. auch werthvolle
Bemerkungen über die Abweichungen der in Heidelberg
im 15. Jahrhundert gebräuchlichen Perikopen vom römi-
fchen Lectionar zu finden: es find die Abweichungen,
die fich in unferem evang. Perikopenverzeichnifs noch
heutigen Tages vorfinden. Auch dafs man zu Anfang
des 15. Jahrhunderts in Heidelberg noch nicht das
Trinitatisfeft feierte (S. 148), verdient Hervorhebung. Zu
S. 187 Anm. (die 8 versus revelati b. Bernardo a diabold)