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Ausgabe:

1899

Spalte:

116-119

Autor/Hrsg.:

Rogge, Christian

Titel/Untertitel:

Der irdische Besitz im Neuen Testament 1899

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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115 Theologifche Literaturzeitung-. 189Q. Nr. 4. 116

Um den gegen ihn erhobenen Einwendungen auf I (fanden erklären müffen. Vor allem fcheint uns der
den Grund zu kommen, läfst fich S. auf eine Ausein- i Abfchnitt über den Wiederkunftstermin lefenswerth, in
anderfetzung über den Begriff des Irrthums überhaupt ) welchem auch Zöckler's haltlofe Behauptungen und andere
ein. Zöckler's mangelhafte Definition des Irrens, feine j verwandte Ausflüchte wohlverdiente Abfertigung erfahren.
Auffaffung von ,fchweren' und Reichten' Irrthümern wird I Um die Bedeutung des Parufie-Irrthums, in welchem
kritifirt. Als ,fchwerer' Irrthum könne nur ein folcher nach Zöckler eine grundfalfche Vorftellung von den Gebezeichnet
werden, wodurch der fittlich religiöfe Offenbarungsgehalt
und der Heilandsberuf Jefu gefchädigt
würden. Hingegen wird beftritten, dafs nur eine directe
Behauptung einen Irrthum conftituire, dergeflalt, dafs z. B.
nach Zöckler's Annahme in Jefu Ausfpruch über das
Jonaszeichen von einem eigentlichen Irren nicht die Rede
fein könnte, weil darin eine Affertion vom ftreng ge-
fchichtlichen Charakter der betreffenden Erzählung nicht
enthalten fei. Ift es denn aber nicht die ftillfchweigende
Vorausfetzung des Redenden, dafs die altteftamentliche
Begebenheit fich auch wirklich fo zugetragen hat, und
wird damit nicht indirect der Irrthum desfelben indicirt?

fetzen des Gottesreiches liegen würde, abzufchwächen,
fucht S. nachzuweifen, dafs der Irrthum nicht dieQualität
der Entwickelung des Reiches, fondern nur die Schnelligkeit
, das Tempo diefer Bewegung betrifft. Diefe und
weitere abftracte Erwägungen würde man gerne ver-
miffen, wenn dafür das eine, hiftorifch-pfychologifche,
aus Jefu Meffiasftellung fich ergebende, vom Verf. nur
zuletzt kurz berührte (p. 89) Hauptmotiv recht in den
Vordergrund geftellt worden wäre. Was in diefen und
den anderen Arbeiten des fleifsigen Verf. am meiften
ftört, ift immer wieder der Umftand, dafs die eigentlichen
hiftorifchen Gefichtspunkte nicht rein, fondern nur in der

Gegenüber dem von dem Ree. vertretenen Gefichtspunkte, i Verquickung mit einer anderen Betrachtungsweife zum
dafs fämmtliche von S. conftatirten fogenannten Irrthümer j Vorfchein kommen. Er fchaut nicht oder nicht blofs
Jefu zeitgefchichtlich bedingt find und darum beffer in 1 auf das hiftorifche Jefusbild, fondern auf das, was die
eine andere Beleuchtung gerückt würden, macht die neue j Dogmatik daraus gemacht hat. Nach feinem eigenen
Brofchüre geltend, dafs diefe Betrachtungsweife nicht 1 Geftändnifs ift es ihm ,nur um die grundfätzliche
zur Sache gehöre, weil das Verhältnifs des Irrthums j Einficht in Jefu Irrthumsfähigkeit zu thun' (p. 51). Das
zum Wiffensftand der betreffenden Zeit mit dem Begriff j Verhältnifs der Gottmenfchheit Jefu zu feiner Irrthums

des Irrens nichts zu thun habe. Aber was ift denn mit
dem blofs formalen, inhaltlich leeren Begriff des Irrens
erreicht? Ift irgend ein Irrthum vorftellbar, wenn nicht
in Bezug auf einen gegebenen Wiffensftand? Wie könnte
S. auch nur einen Irrthum Jefu nachweifen, wenn er ihn

fähigkeit ift eine ganz dogmatifche Frageftellung. Und
wenn es auch gelte, der hiftorifchen Perfönlichkeit
Jefu Irrthümer nachzuweifen, fo könnte es fich nur um
das Verhältnifs feiner Meffianität zu diefen Irrthümern
handeln, denn für den gefchichtlichen Jefus gelten die durch

nicht am damaligen oder an unferem heutigen Wiffen 1 die Gottmenfchheit erweckten Vorftellungen nicht, wie
meffen könnte? In der That ift es ihm, bei allen auf- I auch umgekehrt die altkirchlichen Faffungen von der
gezählten Irrthümern Jefu ohne Ausnahme, nur auf Grund j Gottmenfchheit, welche einer mit der Frage nach der
feines eigenen fubjectiven Wiffens möglich gewefen, fie j Irrthumsfähigkeit fich befaffenden Pfychologie keinen
aufzufinden. Er conftatirt (p. 30) felbft, dafs verfchiedene Raum gewähren, auf letztere nicht Rückficht genommen
Zeiten je nach dem Stand ihres Wiffens einen Irrthum haben. Zur Bibel zurück, ruft S. der Zweinaturenlehre
für leicht oder fchwer anfehen. Aber noch mehr: das 1 entgegentretend. In der Forfchung nach dem hifto-
Wiffen einer Epoche kann fo befchaffen fein, dafs gewiffe ! rifchen Jefus darf man aber auch nicht bei Paulus und
unrichtige Anflehten für fie felbft noch gar keinen Irr- j feiner fubordinatianifchen Chriftologie flehen bleiben,
thum ausmachen, was gerade für fämmtliche fogenannte ; Man mufs es dann überhaupt aufgeben, Jefus ,von hinten'
Irrthümer Jefu der Fall ift. Nicht der formale Begriff; erreichen zu wollen. Wenn wir uns aber rückhaltlos vor
des .Irrens' hat uns diefelben einfehen gelehrt, fondern ihn ftellen und ihn nur aus feiner Zeit und im Zufammen-
unfer vermehrter Wiffensftand. Hilft uns etwa diefer i hang damit zu verliehen Richen, fo werden wir viel
,Begriff unfere eigenen modernen Irrthümer erkennen? ' weniger von feinen Irrthümern als von feinen neuen
Erft mit dem vermehrten Wiffen der Zukunft werden auch j göttlichen Wahrheiten zu reden haben. Ja, wenn wir,
fie in's Leben treten. j ftatt von feinen Irrthümern zu handeln, uns zuerft recht

Der Rückftand nun aber eines Zeitalters hinter den bemühten, unfere kirchlichen und theologifchen Kreife
darauffolgenden in Hinficht der gefchichtlichen, aftro- ; mit dem Geifte, der Glaubensweife, der Schriftauffaffung,
nomifchen, metaphyfifchen, u. f. w. Kenntnifse (und den Erwartungen des Zeitalters Jefu und mit dem noth-
darin gehen alle fogenannten Irrthümer Jefu auf), fällt wendigen inneren Zufammenhang jener Weltbetrachtung
höchftens für ein populäres Denken unter den Begriff vertraut zu machen, wäre das nicht auch ein Weg, indes
.Irrens'. Und auf jeden Fall kann man angefichts direct und ohne Anftofs zu erregen, die Frage nach den
diefer Vorftufen des heutigen Wiffens eigentlich nur von Irrthümern Jefu zu erledigen?

dem Irrthum einer beftimmten Zeit reden, und nicht eines ; Giefsen. Baldenfperger.
einzelnen Individuums derfelben. Auch unferem Verf. -

würde es nicht beikommen, gerade Jefu Perfon auf Rogge, Pfr. Chriftian, Der irdische Besitz im Neuen Testa-
etwaiges. Irren zu prüfen, wenn diefelbe nicht aus an- ment. Seine Beurteilung und Wertfehätzung durch
deren Gründen ihr gefchichtliches Milieu überragte. Chriftus und die Apoftel. Göttingen, Vandenhoeck &
Man begreift, dafs man Jefu rehgtöfes Bewufstfein oder r> ut o - ^ttt c o n/r o

feine Sündlofigkeit analyfirt, weh feine Anfprüche auf ' *"P^ht, 1897. (HI, 120 S. gr. 8.) M. 1.80

diefem Gebiet liegen. Wo hätte er aber den Anfpruch ! Das hervorragende praktifche Intereffe, das fich in

auf Irrthumslofigkeit erhoben? Für die gefchichtliche
Betrachtung ift es felbftverftändlich, dafs er, als Kind
feiner Zeit, ihre Vorurtheile getheilt habe. Für den
Hiftoriker ift das gar keine Frage, und vollends eine
Unterfuchung über .die Notwendigkeit des Irrens Jefu'
fällt ganz aus dem Rahmen der Gefchichtswiffenfchaft.
Man lefe nur den betreffenden Abfchnitt p. 45 f.; er

unferem socialiftifchen Zeitalter an die Frage nach der
Berechtigung materieller Befitzthümer knüpft, ift nicht
ohne Einflufs auf die Wahl diefes Themas geblieben.
Auch hält der Verf. an manchen Stellen feines Buches
mit den gegen andere Auffaffungen, namentlich gegen
Naumann gerichteten praktifchen Confequenzen feiner
Betrachtung nicht zurück. Es liegt ihm aber fern, nur

nimmt fich aus wie ein Capitel allgemeiner Pfychologie. | allgemeine, aus dem kirchlichen Bewufstfein oder dem
Mit der Exegefe, die S. von der Verfluchung des | subjectiven perfönlichen Glauben entflammende Anflehten
Feigenbaumes, von den Ausfprüchen über den Termin über die Frage aufzuftellen. Er beabfichtigt ein auf
der Wiederkunft und den anderen oben fchon erwähnten ' Exegefe und Gefchichte gegründetes Unheil abzugeben.
Punkten giebt, wird man fich in der Hauptfache einver- ' Zur genauen wiffenfehaftlichen Kenntnifs der Stellung-