Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1899

Spalte:

689-690

Autor/Hrsg.:

Pfister, Oskar

Titel/Untertitel:

Die Genesis der Religionsphilosophie A. E. Biedermanns, untersucht nach Seiten ihres psychologischen Ausbaus 1899

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

68g

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 25.

690

und nothwendig ift, rechtfertigt es durchaus nicht, die Arbeit I matik fpringt noch zu rafch von der Induction auf die
in erfter Linie als'etwas zu betrachten, was der Menfch fpeculative, metaphyfifche Deduction über, obfchon fie

für fich felbfl thut. Das Charakteriflifche der Arbeit im
Unterfchiede von der Erholungs- und Dilettantenbefchäf-
tigung aller Art befleht gerade darin, dafs man fich in
ihr Anderen zu Dienflen ftellt. Und in folcher Dienft-
leiflung fieht der Chrifl das Wefentliche der gegen die
Mitmenfchen zu erfüllenden Liebespflicht. Weil er nun
die Arbeit unter der Rubrik der Pflichten des Chriffen
gegen fich felbfl untergebracht hat, mag fich G. berechtigt
gefühlt haben, hinterher, wo er von der Erfüllung
der chrifllichen Liebespflicht innerhalb der verfchiedenen
menfchlichen Gemeinfchaften redet, von den mannigfachen
Arten der Berufsgemeinfchaft und des durch die Berufsarbeit
bedingten Verkehres überhaupt abzufeilen. Das
bedeutet aber eine Nichtberückfichtigung derjenigen Ver-
hältnifse des praktifchen Lebens, welche für den einzelnen
Menfchen gerade von befonderer Wichtigkeit find und
ihm befondere Schwierigkeiten und Verfuchungen nahebringen
. G. erörtert nur die Pflichten mit Bezug auf drei
Gemeinfchaftskreife: Familie, Staat, Kirche. Für ihn als
Mitglied und theologifchen Vertreter einer Freikirche hat
die Befprechung des rechten Verhältnifses der Kirchen-
gemeinfchaft zu ihren einzelnen Gliedern und umgekehrt
und des Verhältnifses der Kirche zum Staat ein befonderes
Intereffe. Zieht man die eingehende Erörterung diefer
Themata ab, fo bleibt nur ein kümmerlicher Reft übrig.
Biblifchen Ausfagen entnimmt der Verf. feinen Stoff.
Aber er verfleht es nicht, diefen biblifchen Stoff für die
Gegenwart fruchtbar zu machen, die biblifchen Principien
auf die modernen Verhältnifse anzuwenden. Hat er überhaupt
mit dem praktifchen Leben der Gegenwart in lebendiger
Berührung geftanden? Jedenfalls hat ihm dasfelbe
für feine Ethik keine Anregungen gegeben, keine Probleme
geflellt. So kann nun aber auch feine Ethik folchen
Chriften und fpeciell Theologen, die mit Bezug auf die
ehrirtlich-tittliche Pflichterfüllung unter den fchwierigen
und complicirten modernen Verhältnifsen chriftliche Belehrung
und Berathung fuchen, nur recht wenig bieten.
Jena. H. H. Wendt.

Pfister, Pfr. Oskar, Die Genesis der Religionsphilosophie
A. E. Biedermanns, unterfucht nach Seiten ihres pfycho-
logifchen Ausbaus. Diff. Zürich, A. Frick in Komm.,
1898. (VII, 76 S. gr. 8.)

Die vorliegende Arbeit ift ein Theil einer beabfich-
JygtenGefammtdaiftellung des Werdens derReligionsphilo-
°phie Biedermanns. Aeufsere Gründe führten zu einer
vorläufigen gefonderten Veröffentlichung eines beftimmten
jObfchnittes und zwar der religionspfychologifchen Unter-
»uchung deshalb, weil nach des Verf. Anficht in Biedermann
felbfl die Löfung der hier zur Sprache kommen-
en Probleme den entfeheidenden Anfang der weiteren
tntwickelung bildete.

Der Verf. gefleht aber zu, dafs es fchwierig fei, in
en Werken Biedermann's die pfychologifche und die
et:aphyfifche Seite auseinanderzuhalten. Insbefondere
gelte dies für Biedermann's Erftlingswerk: ,Die freie
heologie °der Philofophie und Chriftenthum in Streit
nd Frieden' (Tübingen 1844). Biedermann hat zwar —
ort der Verf. weiter aus — eine Scheidung der Reli-
7|°nsphilofophie in Religionspfychologie und Religions-
thC jfPkyfik im Auge, wobei einerfeits die als Bewufstfeins-
j j acnen empirifch vorliegenden religiöfen Phänomene
ouetiv zu analyfiren und das Gemeinfame und gegen
tj pen Abgrenzende herauszuziehen, andererfeits dem
r|prunge und metaphyfifchen Grunde nachzuforfchen
S re-. Br hat diefen Gang der Unterfuchung zum erften
^.ale 'n feiner Dogmatik (1869) eingefchlagen; aber auch
er verfuhr er bei feinem induetiven Vorhaben nicht
■uequent genug. Selbfl die zweite Auflage der Doggegenüber
der erften beträchtliche Fortfehritte in einer
billigen Würdigung des analytifchen Momentes aufweift.
Die Offenbarung Gottes als Vernunfttrieb, Gewiffen, reale
Freiheit, in Natur und Gefchichte, wird noch immer auf
fpeculativem Wege gewonnen, ja fogar von dem pfycho-
logifchen Entwickelungsgang des Glaubens erft im fpecu-
lativ-metaphyfifchen Theile Notiz genommen, (S. 20).

Was die äufseren Einflüffe betrifft, welche zur Ausbildung
der Religionspfychologie Biedermann's beigetragen
haben, fo find aus seiner rationaliftifchen Jugendperiode
keine directen Nachwirkungen aufzuweifen. Dagegen
verrathen fchon feineErftlingsfchriftendenEinflufs Hege l's
in der ftarren Abftraction des Ausdruckes, in dem durchgängigen
Hervortreten der rein logifchen Kategorien, in der
ganzen ftiliftifchen und lexikalifchen Ausftattung. Daneben
rinden fich aber Differenzen von der gröfsten Tragweite
zwifchen Biedermann und Hegel. In bewufstem Gegen-
fatz zu des letzteren logifchem Apriorismus will B. nicht
,Eigenes ausfpinnen', fondern nur die Erfcheinungen aus
dem aufgefundenen Grunde ableiten. Hegel's intellec-
tualiflifcher Religionstheorie gegenüber betont B. den
Unterfchied der philofophifchen Theorie von denSelbfl-
zeugnifsen des religiöfen Gemüthes. Er konnte dabei
an Hegel's das Gefühl wieder in fein Recht einfetzende
Kultustheorie anknüpfen, als deren wiffenfehaftlich
vertiefte Bearbeitung und fyftematifcher Ausbau Biedermann
's Religionspfychologie überhaupt betrachtet werden
kann (S. 40).

Bei diefer Inauguration des praktifchen Momentes
im Religionsprocefs, fowie bei der harmonifchen Verbindung
desfelben mit dem Hegelismus ift Biedermann von
feinem Lehrer Wilhelm Vatke ftark beeinflufst. Geringer
war die Einwirkung von David Fr. Straufs und L. Feuerbach
auf die weitere Ausgeftaltung feines Standpunktes,
bedeutender diejenige Eduard Zeller's und befonders
Schleiermacher's. Biedermann rühmt es als das in der
Theologie Neubefruchtende und darum Epochemachende
an Schleiermacher's Theorie von der Religion, dafs diefe
als wahrhaft einheitlicher und innergeiftiger Procefs
gefafst werde (S. 65). Weiter werden noch erwähnt:
A. Schweizer, de Wette, Neander, Schenkel, Romang, Hafe.

Ein Gesammturtheil über Biedermann's Religionspfychologie
will der wohlunterrichtete Verf. erfl im Zu-
fammenhange mit der nachfolgenden erkenntnifstheore-
tifchen Unterfuchung geben. Für diefe empfehlen wir
ihm die Beigabe einer die Ueberficht erfl ermöglichenden
fyflematifchen Inhaltsangabe.

Riedlingen a.D. Th. Elfenhans.

Christoterpe, neue. Ein Jahrbuch, begründet von Rudolf
Kögel, Emil Frommel und Wilhelm Baur. Herausgegeben
von Max Vorberg. Bremen, C. Ed.
Müller, 1900. (VIII, 416 S. 8.) M. 4.—

Wenn wir wiederum unferer alljährlichen Pflicht genügen
, das neuerfchienene Buch auf feinen theologifch
und kirchlich wichtigen Inhalt zu prüfen, fo führt ihre
Erfüllung diesmal zunächft zu der F'eftftellung der That-
fache, die jeder Lefer mit uns beftätigen wird, dafs die
Ausbeute in diefer Beziehung immer geringer wird. Die
biblifch-erbaulichen Artikel hat man fchon feit Jahren
nur in der Form ganz kurzer Befprechungen geboten,
die fchnell überflogen und fchnell überfchlagen werden
können. Die Herausgeber mögen in der Sache ihre Erfahrungen
gemacht haben: die überwiegende Mehrheit
der Lefer fucht eben doch in einem folchen Buche die
reine Unterhaltung, ohne damit religiöfe Lehre und Erbauung
grundfätzlich abzulehnen, die fie ja in Sonntagsblättern
, Predigten und Andachtsbüchern reichlich finden.
So wäre nur zu fragen, ob fich nicht in den Rahmen des