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Ausgabe:

1899 Nr. 25

Spalte:

687-689

Autor/Hrsg.:

Gretillat, A.

Titel/Untertitel:

La morale chrétienne. Tome 1 et 2 1899

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 25.

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fianifcheVergangenheit zu erinnern und eine enge Verbindung
zwifchen ihm und Apollinaris darzuthun. Scheint
hier ein Widerfpruch vorzuliegen, fo ift doch der Einheitspunkt
beider Fälfchungen in der Abficht, den Bafi-
lius zu discreditiren, gegeben, und die Möglichkeit, dafs
beide dem gleichen Kreife von Fälfchern entflammen,
drängt fich beim Vergleich der Briefe von felbft auf.
Mit Plerophorie wage ich mich dennoch nicht für die
Loofs'fche Thefe zu entfcheiden, ebenfo wenig freilich

identifche Grundelement des Gewiffens fei das angeborene
Wiffen, dafs es einen Gegenfatz von gut und böfe giebt.
Von diefem irrthumslofen Gewiffen fei zu unterfcheiden
das dem Irrthum zugängliche fittliche Urtheil bei der Anwendung
des Gewiffens auf den concreten Fall. Sodann
wird die menfchliche Natur befprochen, zuerft in ihrem
normalen Zuftande, dem Schöpfungszuftande, hinfichtlich
ihrer verfchiedenen Wefensfeiten, Fähigkeiten (befonders
der Willensfreiheit) und Verpflichtungen, zweitens in ihrem

noch weiterhin die Echtheit desBriefwechfels zu behaupten. I durch den Fall modificirten Zuftande. Hier wird die
Giefsen G Krüger ' Lehre von der Sünde entwickelt.

Der dritte Theil, die Ethologie, handelt von der fitt-
lichen Aufgabe des Menfchen in feinem gegenwärtigen
Zuftande. Hier wird befprochen zuerft der Glaube als
die einheitliche principielle Aufgabe des Menfchen , der
allgemeine Glaube und der fpeciell chriftliche Heilsglaube.
Sodann die fubjective Verwirklichung des neuen Lebens
des Gläubigen durch die göttliche Gnade in Chrifto, be-
ftehend in der Wiedergeburt und Heiligung. Hierauf die
Liebe zu Gott in Chrifto, in der das neue Leben feine

Gretillat, Prof. A., La morale chretienne. Tome I et II.
(Expose de theologie fystematique par A. Gretillat.
Tome V et VI.) Neuchätel, Attinger freres, 1898. 99.
(VIII, 564 u. 562 S. gr. 8.) ä Fr. 8.50

Nachdem der Vf. früher in 2 Bänden eine Prope-
deutique und in 2 Bänden eine Dogmatique veröffentlicht

hat (f. Theol. Litztg. 1886, 157fT; 1891, 334ff; 1893,20fr.), j einheitliche Zufammenfaffung findet und in der nun die

ift mit diefen 2 Bänden der Morale clireticnne nun fein
grofsesfyftematifches Unternehmen zum Abfchlufsgebracht.
Der Vf., welcher Profeffor an der Faculte independante
von Neuchätel war, ift im J. 1894 geftorben. Wie das
Vorwort fagt, haben einige feiner Freunde das ganz druckfertig
hinterlaffene Werk publicirt. In der That wäre
die Dogmatik Gretillat's ohne diefe Moral ein Torfo geblieben
, weil G. der Dogmatik nur die Befchreibung der
objectiven göttlichen Thatfachen indem chriftlichen Heilsnormale
Beftimmung des Menfchen verwirklicht wird.
Dann wird ausgeführt, wie der Chrift das neue Leben in
der Liebe gegen die Gefchöpfe, d. h. einerfeits gegen
fich felbft, andererfeits gegen den Nächften zu erweifen
hat. Als Erweifungen der Liebe des Chriften zu fich
felbft werden hingeftellt die chriftliche Selbftzucht und
der chriftliche Genufs im Gebrauche der Kräfte und
Güter, d. i. einerfeits in productiver Thätigkeit oder Arbeit
, andererfeits in unproductiver Thätigkeit: Ruhe, Spiel,

werke zugewiefen und der Moral eine Reihe von Thematen j Erholung, Kunft und Kunftgenufs. Die Pflichterweif-
befonders der Anthropologie und Soteriologie refervirt ; ungen gegen den Nächften werden eingetheilt in Liebes-
hat, die fonft in der Dogmatik behandelt zu werden pflegen. 1 pflichten den Individuen gegenüber mit Bezug auf ihre
Ob feine Abgrenzung der beiden fyftematifchen Disciplinen irdifchen Intereffen und auf ihre geiftigen Güter und in
gegen einander zu rechtfertigen ift, laffe ich dahingeftellt. Liebespflichten innerhalb der verfchiedenen menfchlichen
Wo liegt die an fich richtige Grenze zwifchen den beiden Gemeinfchaften: Familie, Staat, Kirche.
Theilen des chriftlichen Lehrfyftems, die fich wechfelfeitig Alfo erft im letzten Drittel des Werkes kommen die

fordern und zu einem einheitlichen Ganzen zufammen- I eigentlichen Themata der Ethik zur Sprache. Die Aus-
fchliefsen müffen? Der wichtigfte Grund für die gefonderte j fuhrung der beiden vorangehenden Theile ift entfetzlich
Darfteilung einer chriftlichen Moral fcheint mir der prak- weitfchweifig. Der Vf. liebt kunftvolle Partitionen und
tifche zu fein, dafs bei folcher Sonderung beffer als inner- | abftracte Deductionen, die den Lefer fehr ermüden, nament-
halb des Rahmens eines Gefammtfyftems die verfchie- I lieh wenn derfelbe nicht auf dem ftreng confervativen,
denen Seiten des chriftlichen Frömmigkeitsverhaltens in bibliciftifchen Standpunkte des Vf's. fteht. Je länger

einer ihrer praktifchen Bedeutung entfprechenden Ausführlichkeit
behandelt werden können. Aber gerade die-
fer Vorzug einer gefonderten chriftlichen Moral kommt
in dem vorliegenden Werke G.'s leider nicht zur Geltung

defto intenfiver fehnt man fich danach, von der breiten
Erörterung der vorbereitenden Themata zur Hauptfache
felbft zu kommen. Um fo gröfser ift die Enttäufchung, wenn
man dann, wo nun endlich diefe Hauptfache an die Reihe

Der Gedankengang ift in den Grundzügen folgender, kommt, mit den magerften Brocken abgefpeift wird. Ich
Der erfte Teil, die Teleologie, handelt von der normalen I will gewifs nicht einer cafuiftifchen Kleinkrämerei in der
Beftimmung des Menfchen. Hier wird zuerft gefragt, wie Ethik das Wort reden. Aber wenn man fich überhaupt
ein oberftes Moralprincip ficher gewonnen werden kann, darauf einläfst, eine fpecielle Ethik zu geben, fo mufs
Die mannigfachen nichtreligiöfen Moralprincipien und ver-
fchiedene Arten nicht richtiger religiöfer Moralprincipien
werden durchgegangen. Das Ergebnifs ift, dafs das rechte
normative Princip aller menfchlichen Thätigkeit die Verherrlichung
Gottes ift, um deren willen Gott den Menfchen
gefchaffen hat. Die höchfte Art diefer Verherrlichung
ift die Liebe zu Gott, die fich im Chriftenthum fpecieller
als Liebe zu Gott in Chrifto darltellt. Dann wird das Mo-
ralgefetz in feinem Unterfchiede vom Natur- und Rcchtsge-
fetz befprochen und werden die verfchiedenen Beziehungen
des Menfchen zum Gefetz fowie der Begriff der befon-
derenGefetzesbeftimm ungen oder Pflichten erörtert. Schon
hier wird aus abftracten Erwägungen die Erkenntnifs gewonnen
, dafs es einerfeits eine eigentliche Pflichtencol-
lifion nicht geben kann und dafs es andererfeits für die
Individuen ein Gebiet des fittlich Erlaubten giebt.

Der zweite Theil, die Anthropologie, handelt vom
Menfchen als dem moralifchen Agens. Hier wird zuerft
die Gottebenbildlichkeit des Menfchen befprochen. Es
wird unterfchieden zwifchen der in der Perfönlichkeit be

man auch fuchen, die grofse Mannigfaltigkeit der befon-
deren Verhältnifse, welche die unendliche Verfchiedenheit
der chriftlich-fittlichen Pflichten für die Einzelnen bedingen,
einigermafsen zu würdigen und namentlich diejenige"
ethifchen Specialfragen zu berückfichtigen, welche jeweils
die Gegenwart den praktifch thätigen Chriften aufdrängt-
Sonft befchränkt man fich beffer auf die Bezeichnung
der den Chriften zu allen Zeiten und unter allen Ver-
hältnifsen gleichmäfsig obliegenden allgemeinen Pflichten-
G. unterfcheidet, wie oben bemerkt, zwifchen Liebespflichten
des Chriften gegen fich felbft und gegen Andere-
Wie man auch über dieGültigkeit des Begriffes der Pflichten
gegen fich felbft urtheilen möge, jedenfalls ift es unge
fchickt, diefe Pflichten gegen fich felbft nicht nur den
Pflichtengegen denNächften einfachzu coordiniren,fondern
fie auch vor diefen letzteren zu befprechen, während e
doch darauf ankommt, ihr ftetes Bedingt- und Begrenz *
fein durch die Liebespflichten gegen den Nächften Mf"
vorzuheben. Vollends verfehlt ift es aber, unter
} Pflichten gegen fich felbft auch die Arbeit zu rechn.f0"t'
flehenden ontologifchen und der imGewiffen btftehenden ' Der Gedanke, dafs die Arbeit für den Menfchen fei
moralifchen Gottebenbildlichkeit. Das allgemeine und i zu feiner geiftigen Entwickelung und Gefundheit wich