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Ausgabe:

1899

Spalte:

640-644

Autor/Hrsg.:

Diehl, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte des Gottesdienstes und der gottesdienstlichen Handlungen in Hessen 1899

Rezensent:

Köstlin, Heinrich Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 189g. Nr. 23.

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325. vgl. Luther) wird von Thomas nicht getheilt. Non ' Und von der anfänglichen Ueberrafchung, die diefe Ein

autevi omnes homines inveniuntur esse habitatores civita-

tum____aliqui sunt non civiles propter fortunam, utpote quid

propterpaupertatem necessc habent excolere agros.
Umgekehrt ergiebt fich allerdings aus diefer Anfchauung
die Geringfehätzung des Handels. Nur die empirifche
Unmöglichkeit, für die civiias einen Ort ausfindig zu
machen, qui sie omnibus vitae necessariis abundet, quod
non indigeat aliquibus aliunde allatis, macht ihn unentbehrlich
. Daher und aus anderen Gründen folgt, quod
perfecta civitas moderate mercatoribus utatur.

In der Stadt beruht die Exiftenz des Einzelnen auf
feiner Arbeit. Alfo ift der Erwerb durch fie berechtigt

ficht bereitet, erholt man fich doch recht bald. Die
,grofse bürgerliche Bewegung', in der fich die Reformation
durchgefetzt hat (Schmoller-Harnack, Ev. foz. Congrefs
1897, S. 165 vgl. 1894, S. 154 und dazu die Xaienkultur'
und ,Laienreligion' bei Arnold Berger, Luther 1, 32. 126.
146 u. ö.), gewinnt in den aus der flädtifchen Kultur ge-
fchöpften focialen Gedanken des Thomas einen weiten
Hintergrund. Und auch darüber wird man fich beruhigen
dürfen, dafs die Anerkennung, die die vita activa des
Bürgers in diefen Ausführungen findet, den letzten Gedanken
des Aquinaten fo fcharf zu widerfprechen fcheint.
Reuter (Auguftinifche Studien S. 507) hat fich lebhaft

Diefe Anfchauung wird in Widerfpruch zu Arift. auch I gegen den Satz Uhlhorn's ausgefprochen: ,das Seligkeits
auf geiftige Thätigkeit ausgedehnt. Non enim videtur j ideal ift ein durchaus jenfeitiges, deshalb kann das Lebens

rationale, quod magistri artis mechanicae possint vivere
de arte sua, et magistri artium liberalium non possint
vivere de arte sua. Similiter et advocati possunt vivere
de patrocinio, quod praestant in cäusis, et similiter est de
omnibus aliis licitis occupationibus. Aus dem Gedanken
der Arbeitstheilung — quidam opifices, quidam agricolae,
quidam judices, quidam doctores cf. I Cor. 12 — ergiebt
fich aber weiter, dafs, die der Gefammtheit dienen, auch
von ihr unterhalten werden, wie milites und rectores rei-
publicae. Für Thomas aber wird diefe Anfchauung
vollends actuell, fofern fich aus ihr auch die Lebensweife
feiner Ordensbrüder rechtfertigen läfst. Denn auch
fie dienen dem gemeinen - Nutzen, sapientia, eruditione
et exemplis populum illustrantes, vel oratione et inter-
cessione sustentantes. Die überragende Werthfehätzung
der vita contemplativa findet alfo hier einen doch relativen
Ausgleich mit dem der Ariftotelifchen Vorlage gegenüber
neuen Urtheil über die fociale, alfo auch filtliche
Bedeutung der vita activa.

In Anlehnung an den Philofophen entwickelt Thomas

ideal nur das mönchifche fein'. Diefer Satz kennzeichne
nicht die wirkliche Gefchichte der Zeit. Nicht ein, fondern
zwei Ideale haben das mittelalterliche Leben bewegt
(vgl. Harnack, D.G.2 3,441!). Zu der Beherrfchung der
Welt, die die Papfikirche durch Miffion und Kirchenregiment
erftrebte, gehört aber nothwendig die Würdigung
der weltlichen Verhältnifse. Denn man beherrfcht
fchliefslich nur, was man irgendwie verlieht, und was
man beherrfchen will, das fucht man zu verliehen. Sind
aber die Bettelorden nur auf dem Boden der flädtifchen
Kultur begreiflich, fo wäre es faft merkwürdig, wenn in
den focialen Anfchauungen ihres gröfsten Theologen
fich dies Verhältnifs nicht deutlich fpiegelte. Schliefslich
aber wird es fich auch an diefem Punkte durchfetzen,
dafs der Titel der Vorreformatoren ,nur dann einen guten
Sinn hat, wenn man ihn nicht für irgendeine der mittelalterlichen
kirchlichen Erfcheinungen, fondern für die
mittelalterliche Kirche überhaupt in Anwendung bringt
(Harnack a. a. O. 419). Aber allerdings die fcheinbar
einander widerftreitendenTendenzen moderner katholifcher

diefe Gedanken. Er hat, wie Maurenbrecher wiederholt i Ethiker rücken damit in eine etwas andere Beleuchtung,
hervorhebt, über diefe Dinge nicht fyftematifch nach- | als diejenige war, in der wir fie mit Uhlhorn zu fehen
gedacht. Das zeigt fich namentlich auch darin, dafs feine gewohnt waren. —

Rumpenheim. S. Eck.

Lehre vom Eigenthum nicht in abfichtliche Verbindung
mit dem bisher Entwickelten gefetzt ift. Trotzdem findet
Maurenbrecher durchweg die Tendenz auf eine Ueber- |

windung der communiftifchen Anfchauungen der K.V.V. Di ehI, Pfarrverw. Lic. Dr. Wilhelm, Zur Geschichte des Gottes-

Thomas befindet fich allerdings in einer fchwierigen Lage,
fofern fein fcholaftifches Gewiffen zwifchen zwei Autoritäten
zu wählen, beziehungsweife in einer Mittellinie
zwifchen ihnen feine Entfcheidung zutreffen hat: zwifchen
dem kanonifchen Recht und Ariftoteles. Allein deutlich
neigt er dennoch zum letzteren hin. Einerfeits wird der
Communismus in Jerufalem nur als temporäre Erfchei-
nung beurtheilt, er fucht fich andererfeits durch eine
allerdings gequälte Unterfcheidung zwifchen jus naturale
und ratio (iusta legalia, studio hominum adinventa), zu
helfen. Aber im Ganzen nimmt er ,eine Mittelfteilung
ein zwifchen dem Communismus der K.V.V. und der
naturrechtlichen Ethik der fpäteren Zeit', wie er überhaupt
in feinen wirthfehaftlichen Anfchauungen ,etwa
in der Mitte zwifchen der antiken und der modernen
Auffaffung fleht'.

Vieles an diefen Ausführungen wird nicht nur dem
Unterzeichneten überrafchend erfchienen fein. Die Anfchauung
wurzelt unter uns fehr feft, die ,die ethifche
Würdigung des Berufs' als eine faft vorausfetzungslos
originale Leiftung der Reformation fchätzt (vgl. zuletzt

dienstes und der gottesdienstlichen Handlungen in Hessen.

Giefsen, J. Ricker, 1899. (XII, 375 S. gr. 8.)

M. 5. —: geb. M. 6. —

Der Verfaffer, der in der Schrift ,Zur Gefchichte der
Confirmation' fchon werthvolle Beiträge zur heffifchen
Kirchengefchichte geboten hat, motivirt diefe neuefte
Veröffentlichung damit, dafs es ,eine Gefchichte des Gqt-
tesdienftes und der gottesdienftlichen Handlungen 10
Heffen noch nicht giebt'. Eine folche zu geben bean-
fprucht er auch feinerfeits keineswegs; er befcheidet fien
vielmehr damit, in den Ergebnifsen fleifsiger und eingehender
archivalifcher Forfchungen, die er vorlegt, fu
eine künftige Gefchichtsfchreibung feile Grundlagen un
folides Baumaterial zu fchaffen. Neben dem rein hift°"
rifchen Intereffe leitet den Verfaffer — dies ift für die
gerechte Würdigung des Buches von wefentlicher i>e'
deutung! — der praktifche Gefichtspunkt. Es wir
gegenwärtig die Herftellung eines Kirchenbuches für o
evangelifche Kirche des Grofsherzogthums Heffen geplan '
In einem Vortrage, den der Verfaffer auf der Verfamrnlung

Lemme R.E.3 2, 654). Nur wie faft unerwartete Vorboten > der .Evangelifchen Conferenz für das Grofsherzogthurn
der Zukunft beurtheilt man im Rahmen der Entwicke- Heffen' über ,die Bedeutung der im Jahrhundert nac
lung des flädtifchen Lebens gelegentliche Ausfprüche ! der Agende von 1574 entftandenen liturgifchen krwei^
fpätmittelalterlicher Prediger. Aber man fügt hinzu: ,das
ift allerdings eine Auffaffung der Arbeit [innerhalb der
Zünfte], die über die Sätze eines Thomas von Aquino
weit hinausgeht' (Uhlhorn, Liebesthätigkeit 2, 201. 325 ff.
404 f.). Aber jene Predigtausfprüche wie die populäre
Spruchweisheit aus Zunftkreifen haben ihre faft wörtlichen
Vorlagen in den Ausführungen des Doctor angelicus.

rungen und Änderungen im Aufbau des Hauptgottesdte
ftes für die Schaffung eines heffifchen Kirchenbuches
18. Juli 1898 gehalten hat, fordert er als nothwendige vo
arbeit für die Schaffung eines heffifchen Kirchenbucn
eine bis ins Einzelne gehende Berückfichtigung Ufl
forfchung der Gefchichte des Gottesdienftes in Hle jeI[
da ,eine Agende, die der Erbauung der Gemeinde an