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Ausgabe:

1899 Nr. 23

Spalte:

635-640

Autor/Hrsg.:

Winterstein, Alfred

Titel/Untertitel:

Die christliche Lehre vom Erdengut nach den Evangelien und apostolischen Schriften. Eine Grundlegung der christlichen Wirtschaftslehre 1899

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 23.

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Mifsdeutungen derReligion erkennt und energifch abwehrt
Im Einzelnen ift hervorzuheben, dafs der Verf. mit Sicher-

grofsen Gotteshauswefen als Verwalter' über jenes be-
ftellt. Sie follen ,dem Hausgefinde zur rechten Zeit das

heit den wunden Punkt in Kaftan's Conftruction des Re- I Speifeausmafs geben'. Letzteres gefchieht durch den der
ligionsbegriffs trifft, indem er die von diefem vorausge- ^ Arbeit entfprechenden Lohn und durch Werke der Liebe,
fetzte Gleichartigkeit aller Erfchcinungen, die in der Ge- Almofen u. f. w. Wie aber in diefen Beziehungen über
fchichte als Religionen aufgetreten find, von vornherein den mannigfachften Mifsbrauch zu klagen ift, fo geht
in Frage {teilt. Dabei ift dem Verf. nur das Verfehen diefe Lehre von der Verwendung des Erdengutes in die-
begegnet, dafs er in der Frage nach dem allgemeinen jenige von der Rechenfchaft und Vergeltung über. Da-
Religionsbegriff A. Ritfehl als Vorläufer von Kaftan und 1 mit aber ift der Punkt erreicht, an dem das irdifche
Bender anfleht, während vielmehr Reifchle, deffen Dar- I Gottes- in das ewige Himmelreich ausmündet. Waren
legungen der Verf. billigt, den Standpunkt Ritfchl's weiter I bisher fociale Gefichtspunkte mafsgebend, fo tritt nun

fortgebildet hat.

Bonn. O. Ritfchl.

Winterstein, Dompred. Alfred, Die christliche Lehre vom

Erdengut nach den Evangelien und apoftolifchen
Schriften. Eine Grundlegung der chriftlichen Wirt-
fchaftslehre. Mainz, F. Kirchheim, 1898. (XIV, 288 S.

Sr- 8 ) M- 3-—i geb- M- 4-— j Loofes der Armuth, fei es in° der ebenfo Bewilligen

jene blofs phyfifche Werthfehätzung des Erdengutes in
ihr Recht. Der Reichthum wird nicht als folcher ver-
urtheilt. Aber er erfchwert die Hingabe an das Himmelreich
. Jefus fordert die Armuth im Geift. Die damit
bezeichnete Loslöfung von dem Zeitlichen kann fleh aber
in verfchiedenen Stufen vollziehen. Sie kann bis zur
Abftreifung aller Anhänglichkeit an das Gut, fie kann
aber auch darüber hinaus bis zum völligen Verzicht ge-
fteigert werden, fei es im freiwilligen Tragen des gegebenen

Weber, Doc. D. Simon, Evangelium und Arbeit. Apolo- Weggabe des Befitzes um des Himmelreichs willen. Hicr-

getifche Erwägungen über die wirtfehaftlichen Seg- ™lt ift d.er, Höhepunkt der Lehre erreicht Es giebt im

, ri Ti- t--i_ -tittj 00 Gottesreich einen Lebensftand, der über das Gebiet der

nungen der Lehre Jefu. Freiburg 1. B., Herder, 1898. Qebote hinausliegend> den evangelifchen Rath der Ar-

(V, 210 S. gr. 8.) M. 2.50 muth befolgt und den Stand der Vollkommenheit darflellt:

Maurenbrecher, Dr. Max, Thomas von Aquino's Stellung .Bleiben eine Menge Chriften hinter den unerläfslichen
zum Wirtschaftsleben seiner Zeit. Unterfucht von M. j »«liehen Anforderungen zurück, fo foll ein anderer Theil

1. Heft. Leipzig, J. J. Weber. (VIII, 122 S. gr. 8.) M. 3.—

1. Die Schrift von Winterftein will in die grofse
Bewegung unferer Tage klärend, anregend und fördernd
eingreifen. Dabei ift fleh der Verf. bewufst, dafs diefer
Grundlegung einer Wirthfchaftslehre beftimmte Schranken
gezogen find. Ueber Production, Confumtion, wirth-
fchaftlichen Fortfehritt hat er im Evangelium ,fo gut wie
nichts gefunden'. Der Grund ift, dafs fleh Jefus um dies
Gebiet fo wenig kümmert, wie um Wiffenfchaft undKunft.
Sein Werk ift die Religion. Jene Dinge überläfst er der
Arbeit der menfehlichen Vernunft. Was er betont, ift
eine Lehre vom gottgewollten Gebrauch, von der fittlichen
Verwendung des Erdengutes. Das heifst für diefe
res civiles giebt das Evangelium wohl allgemeine ethifche
Richtlinien, ohne fpecielle Anweifungen technifcher oder
rechtlicher Art. Dafür hat die Vernunft zu forgen.

Das Evangelium zeigt in feinem Mittelpunkte die Idee
des Himmelreichs. Diefe Idee Chrifti ift das Wefen der
chriftlichen Religion. Sie alfo ift der exegetifchen Erörterung
, die fleh über Ew., Act., Paulinen, Jac. erftreckt,
voranzuftellen. Die Idee erleidet aber eine zwiefache
Ausprägung: als ,irdifches Gottesreich oder, wie Jefus
felbft es nennt, die Kirche' und als ,Himmelreich d. h.
in der befeligenden Gottesgemeinfchaft der Ewigkeit'.
Von hier aus wird fleh auch eine abgeftufte Beurtheilung
des Erdengutes ergeben. Dasfelbe dient der Befriedigung
leiblicher Bedürfnisse; es hat alfo für den Menfchen nur
phyfifchen Werth, der an Gehalt und Dauer von den
Gütern der Seele weit übertroffen wird. Dasfelbe ift
ferner zum Dienft der Gefammtheit benimmt; fociale
Pflichten und Schranken werden fleh daraus ergeben.
Allein wie Jefus keine Wirthfchaftsordnung aufgeftellt
hat, fo haben auch er und feine Apoftel die vorgefundenen
Grundlagen einer folchen rund anerkannt. Das gilt vor
Allem vom Privateigenthum. ,Häufer, Felder, Weinberge,
Gefchäftsbetriebe, Capital bezeichnet er felbft ohne Einwendung
als Privatbefltz'. Die Verhältnifse der Gemeinde
zu Jerufalem waren von einem wirthfehaftlichen Com-
munismus ,am weiteften entfernt'. Den Anweifungen des
Ap. Paulus liegt durchweg eine Anerkennung des Eigentumsrechtes
zu Grunde. Mit der Beftimmung des Erdengutes
für die Gefammtheit vereinigt fleh nun diefe Anerkennung
der beftehenden Verhältnifse durch die Lehre,
dafs Gott um der Ordnung willen .Einzelne in dem

auch über das Gebotene hinaus der fittlichen Verwertung
[?] des Erdengutes fich erfchliefsen. Und gerade
in letzterem Punkte liegt dann auch innerhalb der chriftlichen
Gefellfchaftdie fociale Bedeutung des evangelifchen
Rates der freiwilligen Armuth. Er ift der lebendige
Ruf zur Befreiung des zur Freiheit berufenen Menfchen
aus der Knechtfchaft des Mammon'.

2. Weber fchreibt in apologetifchem Intereffe. Es
handelt fich ihm darum, ,das Evangelium Jefu Chrifti,
verftanden im Lichte der katholifchen Tradition' gegen
den, von antichriftlichem wie antikatholifchem Standpunkt
erhobenen, Vorwurf zu verteidigen, dafs es ein Feind
der Arbeit fei. Der Gegenbeweis beginnt mit einer Erörterung
von Mc 6, 3. Mit der Thatfache des Arbeitslebens
Jefu in für den katholifchen Chriften der Beweis
für feine Werthfehätzung der Arbeit im Voraus erbracht.
Dasfelbe ergiebt fich aus Luc. 5 und Joh. 21. Jefus hält
feine Jünger zur Arbeit an. Aber die Männer, deren
Arbeit hier feine Billigung erfährt, waren bereits mit den
höchften priefterlichen und hierarchifchen Gewalten, Petrus
gar mit der Primatialgewalt, betraut. Alfo .... Eine ausgeführte
Arbeitslehre Chrifti nun ift nicht zu erwarten.
Denn feine Lehre ftellt die Vollendung der Offenbarung
dar. Die natürliche Neigung und Nöthigung zur Thätig-
keit bietet ein Arbeitsgefetz, das auch im Heidentimm
nicht völlig hat verdunkelt werden können. Das A. T.
lehrt von Gn. 3 an die Arbeit als Gottesdienft, als Sünden-
bufse, als Rückkehr zu Gott, fie erlaubt den Erwerb
durch Arbeit. Diefe Gefetze werden durch Mt. 5, 17 v°n
Chriftus anerkannt, zugleich eine Vervollkommnung der-
felben verheifsen.

,Nicht erft die Reformation hat die Erkenntnifs gebracht
, dafs zur chriftlichen Vollkommenheit auch die
Erfüllung des irdifchen Berufes gehöre'. ,Es giebt einen
Gottesdienft des Berufslebens im Chriftenthum, der fich
als eine Ausübung des königlichen Priefterthums der
Gläubigen darftellt'. Den exegetifchen B eweis erbringe
vor Allem die Gleichnifse Jefu. Denn .Chriftus kleidete
das Heiligthum feiner Lehre nicht in Vergleichungem
deren gefchichtlicher Gehalt von ihm verworfen wurde •
Man kann alfo überall in den Parabeln vom Säenian»-
den Arbeitern im Weinberge, den Talenten u. f. w- da _
Lob der Arbeit ausgefprochen finden. Mithin liegt ot
Keim zu jener Idee einer göttlichen Berufung zu o
weltlichen Ständen im Evangelium eingeftreut. Dam