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Ausgabe:

1899 Nr. 2

Spalte:

596

Autor/Hrsg.:

Grzymisch, Siegfried

Titel/Untertitel:

Spinoza‘s Lehren von der Ewigkeit und Unsterblichkeit 1899

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Seite 1

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595

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 21.

ftimmter Pflichten und Aufgaben zu treten vermag; und
im Zufammenhang damit die im Ausblick auf ein endliches
Ziel aller Entwicklung, auf eine Verwirklichung des
Ideals gegebene ,Tranfcendenzftimmung'. Von

den Mangel einer Inhaltsangabe erfchwert ift, hätten wohl
durch eine Auseinanderfetzung mit der mehrfach dasfelbe
Problem bearbeitenden Abhandlung Tröltfch's über ,die
Selbftändigkeit der Religion' (Zeitfchrift für Theologie

diefem Gefichtspunkt aus laffen fleh dann in dem ge- u. Kirche V u. VI.) zu fruchtbareren Gefichtspunkten und
fchichtlichen Gefammtprozefs des menfehlichen Geiftes- i Ergebnifsen führen können.

Riedlingen a.D. Th. Elfenhans.

lebens zwei Hauptrichtungen unterfcheiden. Die eine, vertreten
durch die Religion, das Wahrheitsftreben und das
Streben nach dem innerlichen fittlichen Ideal, charakteri-

firtfich durch ein immer deutlicheres Heraustreten einer Grzymisch, Dr. Siegfried, Spinoza's Lehren von der Ewig

Stimmung, die über den gefammten uns bekannten Welt-
procefs hinausdeutet. Hier ift dann der Anknüpfungspunkt
für einen religiös, ethifch oder etwa auch durch
Wahrheitsftreben geläuterten Unfterblichkeitsglauben. Die
andere Strömung im geiftigen Gefammtprocefs, bei welcher
von Tranfcendenz nur in relativem Sinne gefprochen werden
kann, vertreten durch Culturarbeit, wiffenfehaftliches und
künftlerifches Streben, nach aufsen gewandtes fittliches
Handeln, weift im Unterfchied hiervon gerade auf den
gefchichtlichen Procefs und deffen dereinft zu erreichende
Vollendung hin und nicht über ihn hinaus. Dabei hat
aber die Religion immer dreierlei vor den anderen Gebieten
des gefchichtlichen Geifteslebens voraus: dafs fie
im weiteften Umfange eine Erhebung aus dem blofsen
Zeitdafein ermöglicht; dafs fie an Stelle der Unbeftimmt-
heit des tranfeendenten Zieles, wie es den anderen Gebieten
eigenthümlich ift, ein ganz beftimmtes Ziel aufzu-
weifen vermag und vornehmlich, dafs es hier nach ihrer
Selbftausfage zu einer realen Beziehung zu dem jenfeitigen
Dafein kommt, welches dem Individuum fonft nur als
ein ftets Fernes, Unerreichbares vorfchwebt (S. 117).

Man ift verfucht zu fragen, ob der Verf. wirklich
glaube, mit diefer Stimmungsähnlichkeit fei der fo fchroff
hingeftellte Gegenfatz zwifchen dem abfoluten Herrfchafts-
anfpruch der Religion und dem ähnlichen Anfpruch der
anderen Lebensgebiete aufgehoben. Er fcheint aber
felbft nicht diefer Meinung zu fein. Er gefleht vielmehr
zu, dafs auch bei diefem eingefchränkten Zugeftänd-
nifs der Anfpruch aufgegeben fei, dafs Religion die
allein im Menfchen und zwar jeden Menfchen durchaus
beftimmende Macht fein müffe; andererfeits fei eine
folche Einfchränkung des Herrfchaftsanfpruchs der Religion
dem nicht reflectirenden Frommen nicht zuzumuthen.
(S. 112). In dem jenen Reflexionen zugänglichen Frommen
aber fei die urwüchfige Kraft des unmittelbaren religiö-
fen Erlebens durch anderweitige Verpflichtung irgendwie
gehemmt, weil ihm das eben nicht beneidenswerthe
Loos geworden fei, ,zwei Herren dienen zu müffen' (S. 119).

Sollte diefes unbefriedigendeErgebnifs nichtauf Mängel
der Grundannahmen hinweifen, insbesondere der Annahme
eines Selbftändigkeit und Eigenwerth anderer
Lebensgebiete vollkommen ausfchliefsenden Herrfchafts-
anfpruches der Religion? Sieht man in jenen innerweltlichen
Bethätigungen des Menfchengeift.es die Aeufse-
rung gottgegebener Fähigkeiten, deren möglich!! vollkommene
Ausbildung zur Mehrung der geiftigen Güter
und zur Freude für die Menfchen vom Schöpfer gewollt
ift, fo ift die Sachlage fofort eine andere. Der Verf. freikeit
und Unsterblichkeit. Berlin, S. Calvary & Co., 1898.
(59 S. gr. 8.) M. 1.6b

Im erften Abfchnitte der vorliegenden, dem Spinoza-
forfcher J. Freudenthal gewidmeten Abhandlung wird
gezeigt, wie die Begriffe Ewigkeit und Unsterblichkeit in
Spinoza's Syftem nicht von Anfang fertig vorliegen,
fondern eine längere Entwicklung durchmachen, deren
Stufen im kurzen Tractat, ferner im tractatus de intel-
lectus emendatione, in den cogitala metaphysica und anderen
kleineren Schriften, vor allem aber in der Ethik
nachzuweifen feien. Ift der Begriff der Ewigkeit noch
im kurzen Tractat von dem der ununterbrochenen Dauer
nicht wefentlich gefchieden, fo geftaltet er fleh allmählich
felbftändig und findet fchliefslich in der Ethik feine
Anwendung auf die Begriffe der Subftanz und des Modus.
Ein zweiter Abfchnitt befchäftigt fich mit der genaueren
Unterfuchung des Verhältnifses der beiden Grundbegriffe
und kommt in Betreff der Lehre Spinoza's von der
Stellung der menfehlichen Seele in der Ewigkeit zu dem
Ergebnifs, ,dafs zwar wiederholt das perfönliche Moment
hervortritt, dafs aber fowohl die Grundfätze des Syftems
als auch die bei weitem überwiegende Anzahl der Aeufse-
rungen Spinoza's es gebieten, als feine eigentliche Meinung
die unperfönliche Exiftenz des ewigen Geiftes
anzunehmen' (S. 38). Im dritten Abfchnitte werden die
Einflüffe gefchildert, welche den fpinoziftifchen Lehren vielfach
ihre Geftalt und Richtung gegeben haben. Wie fein
Lehrer Freudenthal läfst auch der Verf. den Antheil der
fpäteren Scholaftik befonders hervortreten; weiter werden
Descartes, die jüdifchen und arabifchen Religionsphilo-
fophen, Giordano Bruno, (die Kabbala nur nebenbei) erwähnt
.

Ein kritifches Schlufsurtheil Hellt feft, dafs fich in
nebenfächlichen wie in grundlegenden Anflehten Spinoza s,
fo befonders im Begriff der Ewigkeit, mannigfache Wider-
fprüche finden, welche im Wefentlichen aus dem Be-
ftreben hervorgingen, die pantheiftifchen Principien feines
Syftems mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen,
welche aber die vielgerühmte Folgerichtigkeit desfelben
in einem bedenklichen Lichte erfcheinen laffen.

Die umfangreiche Spinozaliteratur der neueften Zeit
hat der Verf. faft gar nicht berückfichtigt.

Riedlingen a. D. Th. Elfenhans.

Bibliographie

Lic. theol. Paul Pape, Zehlendorf bei Berlin.

lieh würde darin wohl eine anthropocentrifch-eudämoni- I jDcutfrhe Literatur.

ftifche Beeinträchtigung der Gott zukommenden unbedingten
Hingabe fehen. Geht er doch fo weit, wirklich
chriftliche Gottesgemeinfchaft da für unmöglich
zu halten, ,wo das Individuum, anftatt fich Gott wirklich
hinzugeben, weil er Gott ift, fich deshalb mit ihm ein-
läfst, weil es inneren Troft und Frieden erwartet' (S. 11)
— eine Zurückweifung des natürlichen religiöfen Bedürf-

Krieg, C., Encyklopädie der theologifchen WilTenfchaften nebft J**
thodenlehre. Zu akadem. Vorlefgn. u. zum Selbftftudium. Ff»P£
i. B. 1899, Herder. (XII, 279 S. gr. 8.) 4. ~ S<;h- .fv'r

Orelli, C. v., Allgemeine Religionsgefchichte. (Sammlung theologi"-
Handbücher. 1., grundleg. Tl., 2. Abtlg.) Bonn 1899, A. Marc
u. E. Weber's Verl (XII, 866 S. gr. 8.) lV jj,

Hoberg, G., Die Genefis nach dem Literalfinn erklärt. Freibg. ____
1899, Herder. (XLIX, 415 S. gr. 8.) 9. -1 B?>:,'!{,Ud

Jukes, A., Die Opfergefetze nach 3. Mofe I—7. Betrachtet als vo' fu

nifo«,. j j u u • j _ T „„.„„in • 1 Juices, a., Jjie Upterireletze nach 3. Mole 1—7. Jietracnter ais

mfses, das doch auch in der vom Verf. gewollten ,wirk- j de'r mannlgfachpen bitten, die fich in der Darbringg. des Leibes Je'
nenen Hingabe' an Gott nichts anderes als feine Be- chrifli finden. (Aus dem Engl, überf.) Neumttnfter 1899, Verc' i0
triedigung fucht. Nicht ausgeglichen erfcheint auch der buchhdlg. g. Ihloff & Co. fiv, 161 s. gr. 8.) 'yj,

Gegenfatz zwifchen der befonders betonten perfönlichen
Beziehung zu Gott und dem unperfönlichen Sein Gottes
im Menfchen. Die alle möglichen Einwände berückfich-
tigenden Ausführungen des Verf., deren Ueberficht durch

Rofenfeld, M., Der Midrafch Dcuteronomium rabba Par. LX T,,,,
2 —10 üb. den Tod Mofes verglichen m. der Assumpli" '„0fjs
kritifch behandelt, überf. u. erklärt. Mit e. Anh. üb. d. Tod p
in der. hebr. Poefie des Mittelalters. Berlin 1899, (Wien, V '- J.
Lippe). (96 S. gr. 8.) 3>