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Ausgabe:

1899 Nr. 20

Spalte:

558-566

Autor/Hrsg.:

Wendland, Paul

Titel/Untertitel:

Anzeige des Obigen in: Göttingsche gelehrte Anzeigen 1899, Heft 4, S. 276 - 304 1899

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 20.

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(wie im Cod. Sin) wirklich eine jener 50 Bibelhand- I
Schriften befitzen, welche einft Eufebius im Auftrage des
Kaifers Konftantin mit befonderem Aufwände für die
Kirchen der Refidenz herftellen liefs. Am nöthigen
Spielraum fehlt es dazu auch unter der Vorausfetzung
nicht, dafs B von dem Urtheil des Athanafius über den
Kanon, wenn auch nur theilweife und mittelbar, abhängig
ifi. Athanafius wirkte feit 326 als Bifchof von
Alexandria und der Auftrag Konftantins an Eufebius
erging im Jahre 331. Hinfällig wird jene Vermuthung,
fofern fie zugleich dem Cod. Sin. gilt, nur dann, wenn
fich erweifen läfst, dafs diefe Hf. jünger ift als B. Und
wirklich hat erft neuerdings ein Kenner wie E. M. Thomp-
fon fich in diefem Sinn ausgefprochen {Handbook of
Greek and Latin Palaeography. Lond. 1893, S. 149).
Aber nicht minder gewichtige Stimmen find zu Gunften
der Gleichzeitigkeit laut geworden. Ich nenne nur Ezra
Abbot {On the comparative antiquity of the Sinaitic and
Vatican Manuscripts of the Greek Biblc, im Journal of
the Amer. Oriental. Soc. Vol. X, Nr. 1, 1872: gegen j
Burgon) und Wattenbach. Nach dem Urtheile des
Letzteren wäre der Cod. Sin. »vielleicht der ältefte uns
erhaltene Pergamentcodex', und mit Bezug auf die vorliegende
Frage Steht er nicht an zu erklären, er ,fehe
eigentlich keinen Grund, weshalb diefes Exemplar nicht
in jene Zeit (331) hinaufreichen foll' (Anleitung zur
griechifchen Paläographie. 3. Aufl. Lpz. 1895, S. 26).
Wer den Beweis für das Gegentheil zu führen unternimmt
, hat fich allem zuvor mit der Beobachtung Tifchen-
dorf's auseinanderzufetzen, dafs diejenige Hand, welche
im Cod. Vat. das ganze N. T. gefchrieben hat, auch bei
der Herftellung des Cod. Sin. thätig gewefen ift. So
lange die von Tifchendorf {Nov. Testatn. Vat. Lips. 1867,
p. XXI s.) hierfür beigebrachten Gründe nicht widerlegt
find, kann die Gleichzeitigkeit beider Handfchriften nicht |
wohl in Abrede geftellt werden.
Leipzig. O. v. Gebhardt.

Buhl, Prof. Dr. Frants, Die socialen Verhältnisse der Israeliten
. Berlin, Reuther & Reichard, 1899. (V, 130 S.
gr. 8.) M. 2.-

,Dafs nachfolgende kleine Schrift erfcheint, beruht
auf der Annahme, dafs bei dem modernen Intereffe für
fociale Fragen eine einfache und überfichtliche Darftellung
des im A.T. vorliegenden Stoffes, die fich von allen
Theorien und Conftructionen frei hält, vielleicht nützlich
fein könnte'. Mit diefen Worten kennzeichnet der Ver-
faffer felber in anfpruchslofer Weife den Zweck, den er
mit ihrer Veröffentlichung verfolgt. Wie mir fcheint,
dürfen wir ihn dazu wie zur Art und Weife, in der er
feine Aufgabe zu löfen verftanden hat, gleich fehr be-
glückwünfchen. Sein Thema kommt in der That einem
actuellen Intereffe entgegen, und die Darfteilung ift klar
und lebendig, von gründlicher Sachkenntnifs zeugend und
doch nie in Nebenfächliches fich verlierend; die Gegensätze
oder Unterfchiede der verfchiedenen Epochen find
nicht verwifcht wie in einzelnen anderen Verbuchen auf
diefem Gebiete. Befonders tritt überall deutlich und wie
Ungefucht hervor, wie die einzelnen focialen und volks-
wirtfchaftlichen Institutionen aus dem Leben und den
Bedürfnissen ihrer Zeit herausgewachfen und ihr ganz
Und gar angepafst find. Intereffante Analogien, namentlich
auch aus dem babylonifchen Rechtswefen, find in discreter
Auswahl herangezogen.

Zuerft entwirft uns der Vf. ein Bild des Landes als
Grundlage des volkswirthfchaftlichen Lebens der Israeliten
(P; 1—8). Ihre fociale und volkswirthfchaftlichc Ent-
^'ckelung felber wird nach ihren wefentlichen Zügen
ln einem 2. Abfchnitt (9—28) von der Nomadenzeit bis
Zum Auftreten Jehl in feiner Weife gezeichnet. Darauf
Werden fpeciell behandelt die Familie (28—37: Stellung

der Frau in Anknüpfung an Spuren einfügen Matriarchates
, Stellung der Sklaven) und auf die Familie fich
aufbauend Gefchlecht und Stamm, womit zugleich die
Frage nach der Verfaffung verbunden ift (37—45); das
Bürgerrecht (45—51), in welchem Abfchnitt namentlich
die Stellung der Gerim eine eingehende Befprechung
findet; die Bevölkerungsverhältnifse (51—55); der Grundbesitz
(55—64: Privatbesitz, Gemeinbesitz, Sabbathjahr);
die verfchiedenen Berufsarten, befonders nach ihrem
ökonomifchen Werthe (65—93); Kauf und Verkauf, Werthund
Geldverhältnifse (94—97); das Schuldwefen (97—102).
Letzteres führt in natürlicher Weife dazu über, von den
in den Gesetzen vorliegenden Bestrebungen zu reden,
die fociale und ökonomische Gleichheit der Israeliten zu
wahren (102 —116: Sklavengefetze, Erlafsjahr, Jobeljahr,
fociale Organifation bei Hefekiel). Endlich befchliefst
diefe Reihe von Skizzen — als folche betrachtet der
Vf. felber feine Darlegungen — ein Abfchnitt über
Abgaben und Steuern (116—128). Dem Buch ift noch
ein kleines Regifter beigegeben (129—130).

Ich freue mich, in den wefentlichen Punkten meine
durchgängige Zustimmung zu des Vfs. Ausführungen
aussprechen zu dürfen. Einzelheiten, wogegen ich Ein-
fpruch zu erheben hätte, find von wenig Belang. So
fteht es doch wohl nach Stade's Nachweis (Z AT W 1884,271 ff),
der an anderer Stelle (p. 53 Anm. 2) übrigens citirt
wird, hinlänglich feft, dafs 2 Reg. 24,13f. Sich nicht auf
Nebukadrezars Deportation im Jahre 597 beziehen (p. 23).
Lev. 25,25, was Buhl überfetzt (p. 62): ,wenn dein Bruder
verarmt und etwas von feinem Grundbesitze verkaufen
mufs, fo foll fein nächster Verwandter zu ihm kommen
und das löfen, was er verkaufen will', halte ich fchon
wegen des verfchiedenen Sinnes, den "I3ttz3 darnach V. 25
und V. 28 haben müfste, und namentlich wegen der
Analogie von V. 47S" an der gewöhnlichen Deutung feft;
denn wie ich fchon zu Rt 4,5 bemerkt habe, fcheint mir
keineswegs unmöglich, dafs die Abfindungssumme des
Goel an den fremden Käufer durch die Hand des
ursprünglichen Bcfitzers zu gehen hatte. Die mildernde
Deutung von II Sam. 12,31 (p. 18) vermag ich immer
noch nicht als berechtigt anzuerkennen, und ich fehe zu
meiner Freude, dafs Smend in der Neuauflage feiner
Religionsgefchichte (p. 170 A. 1) feinen Einfpruch dagegen
aufrecht erhalten hat. Wiederholt fcheinen leider beim
Druck Verfehen in die Stellenverweife gekommen zu
fein: p. 4: Esr. 2,66 ft. 2,07; p. II: Ex. 29,4 ft. 29,40; ebenda
Anm. i: Hos. 12,9 ft. 12,10; p. 20: Am. 8,37 ft. 8,5; p. 22:
Zeph. 3,2 ft. 3,3; p. 38: Jes. 8,33 lt. 8,23; ebenda Ri. 6,1a
ft. 6,15; p. 42: 2 Sam. 14,1 ft. i4,2f.; p. 65: Jer. 22,12 ft. 22,13;
p. 66: Jer. 28,21 ff. ft. Jes. 28,2-1 ff.; p. 85: 1 Sam. 20,4 ft. 20,5;
p. toi: Prv. 10,15 ft. 11,15; p. 46 ift 497 in 597 zu corri-
giren und p. 74 den 3000 eine Null anzuhängen; Kahal
fleht man, felbft mit dem deutfehen Artikel, nicht'gern
als Femin. behandelt (p. 49).

Hoffentlich findet die kleine Schrift auch über den
engen Kreis der Fachgenoffen hinaus die gute Aufnahme
und die weite Verbreitung, die fie verdient.

Bafel. Alfred Bertholet.

Origenes' Werke. Herausgegeben im Auftrage der
Kirchenväter- Commiffion der Königl. Preufsifchen Akademie
der Wiffenfchaften von Prof. Dr. Paul Koetfchau.
2 Bände. (Die griechifchen christlichen Schriftsteller
der erften drei Jahrhunderte. 2. und 3. Band.) Leipzig,
J. C. Hinrichs, 1899. (Lex. 8.) M. 28.— ; geb. M. 32.—
i. Die Schrift vom Martyrium. Buch I—IV gegen Celfus (XCII
374 S.) — 2. Buch V—VIII gegen Celfus. Die Schrift vom Gebet'
("I. 545 S.)

Wendland, P., Anzeige des Obigen in: Göttingifche
gelehrte Anzeigen 1899, Heft IV, S. 276—304.