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Ausgabe:

1899 Nr. 16

Spalte:

471-473

Autor/Hrsg.:

Kronenberg, M.

Titel/Untertitel:

Moderne Philosophen. Porträts und Charakteristiken. Inhalt: Hermann Lotze - F. Alb. Lange - Victor Cousin - Ludwig Feuerbach - Max Stirner 1899

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 16.

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Pflichten im Gemeinfchaftsleben anderen Menfchen gegen- | eines perfönlichen Gottes, die ihn dazu führt, gerade
über genau befprochen find. Denn die Erkenntnifs ; Gott allein Perfönlichkeit im vollen Sinne des Wortes

diefer Pflichten ift die Vorausfetzung für die Beurtheilung
jener Themata. Für unpraktifch halte ich es auch, dafs
vom Rechte und feinem Verhältnifse zur Sittlichkeit gehandelt
wird (S. 530 ff.), bevor vom Staate gehandelt ift. Ebenfo
wäre m. E. die Erörterung über den Beruf und die
Berufspflichten (S. 511 ff.) dem letzten Abfchnitte
einzuordnen gewefen, in welchem die fpeciellen fitt-
lichen Gemeinfchaftsbeziehungen und -pflichten befprochen
werden.

zuzufchreiben, wird man Lotze auch nicht in diefem ein-
gefchränkten Sinne als Pantheiften bezeichnen dürfen.
Die gefchichtliche Bedeutung Lotze's, den der Verf. mit
Recht zu den Claffikern der Philofophie zählt, fieht er
in feinem Verfuche der Vermittelung zwifchen der reali-
ftifchen Strömung feiner Zeit und den idealiftifchen Traditionen
der Vergangenheit, in einem Verfuche, Verftand
und Gemüth, Wirklichkeit und Ideal, Empirie und Tran-
fcendenz, die Welt des Wirklichen und die der Werthe

Was ich hier bemerkt habe, find Einzelheiten. Im : von neuem zu verföhnen.
Ganzen darf diefe Ethik K.'s als eine werthvolle Be- 1 Auch Friedrich Albert Lange, der Verfaffer der
reicherung unferer theologifchen Literatur bezeichnet immer noch jugendfrifchen Gefchichte des Materialismus,
werden. Sie ift ausgezeichnet durch diefelbe Sorgfalt, fuchte diefe Verformung anzubahnen. Aber während
Sachlichkeit und vorfichtige, allem Extremen abholde Be- Lotze ein neues Syftem bildet, welches jene Gegenfätze
fonnenheit des Urtheils, welche auch den früheren auslöfcht, führt Lange eine neue Betrachtungsweife
Arbeiten des Vf.'s eigen ift. Sie bildet fpeciell zu feinen | ein, welche diefen Widerftreit reflectirend zu befeitigen

fucht. Er gewinnt für fich einen einfachen Standpunkt
des Ideals, d. h. einen freien Höhenort der Betrachtung,
der über die nüchterne Welt der einfachen Thatfachen
emporragt und als eigenftes Gebiet der Phantafie den
Zweifeln des Verftandes nicht zugäng lieh ift. Dafs diefe
Verwandtfchaft der Welt des Ideals mit der Welt der
Dichtung, fobald fie klar zum Bewufstfein kommt, den
Werth der erfteren für das wirkliche Leben wieder aufhebt
, fcheint der Verf. nicht zugeftehen zu wollen.

Befonders dankbar werden deutfehe Lefer für den
Auffatz über Victor Cousin, den franzöfifchen Eklektiker
fein. Der Einflufs, den feine Reife in Deutfchland,
feine Beziehungen zu Hegel, Schleiermacher, Fries, Goethe

fyftematifchen Werken: ,Die Begründung unferer fittlich-
religiöien Ueberzeugung' (1893) und ,der Glaube und feine
Bedeutung für Phkenntnifs, Leben und Kirche' (1895) eine
fchöne Ergänzung.

Jena. H. H. Wen dt.

Kronenberg, Dr. M., Moderne Philosophen. Porträts und
Charakteriftiken. Inhalt: Hermann Lotze — F. Alb.
Lange — Victor Cousin — Ludwig Feuerbach —
Max Stirner. München, C. H. Beck, 1899. (XI, 221 S.
gr. 8.) M. 4.50; geb. M. 5.50

Das vorliegende Buch umfafst 5 Auffätze, welche j auf ihn und durch ihn nicht blofs auf die franzöfifche

mit Ausnahme eines einzigen (desjenigen über Ludwig j Philofophie, fondern auf Frankreichs Geiftesleben über
Feuerbach) fchon früher in Zeitfchriften veröffentlicht 1 haupt ausübte, kommt zu anfprechender Darfteilung-

wurden. Inhalt und Form derfelben rechtfertigen diefe
erneute, zufammenfaffende Ausgabe. In einer Darftellungs-
weife, welche den Lefer von der erften bis zur letzten
Seite feffelt, erreicht der Verf. feine Abficht, mit diefen

Auch die Verflechtung diefer geiftigen Strömungen mit
der politifchen Gefchichte tritt bedeutfam hervor. Die
Vorlefungen der drei Akademiker Cousin, Villemain
Literatur) und Guizot (Gefchichte) haben — meint der

kurzen Monographien nicht nur zurWürdigung der einzelnen Verf. — für die Julirevolution faft eine ähnliche Bedeutung
Philofophen, fondern des ganzen — etwa durch die Jahre wie das Erfcheinen der Encyklopädie für die Revolution
1825—65 begrenzten — Zeitalters, dem fie angehören, ] von 1789

beizutragen. Zugleich treten aber Perfönlichkeit, wiffen
fchaftlicher Charakter, Gefammtanfchauung der einzelnen
Philofophen in lebensvollen Bildern dem Lefer entgegen

Es folgt Ludwig Feuerbach, der in einfamer
Denkerarbeit die im Zeitalter des deutfehen Idealismus
fcheinbar neugewonnene Einheit von Glauben und Wifl*eri

Hier laffen fich nur einige charakteriftifche Punkte daraus j von Grund aus zerftörte. In diefem negativen Refultate
anführen. ftimmt er durchaus überein mit dem fpeeififchen Charakter

Voran fteht Lotze, dem, wie fich's gebührt, die um- ! der Aufklärung feiner Zeit, mit dem Naturalismus, der
fangreichfte Darftellung gewidmet ift. Deber feine Philofophie
fagt der Verf.: fie ,erweckt auf der einen Seite
den Eindruck eines Kunftwerks, das in jedem Zuge den
Stempel einer beftimmten Perfönlichkeit trägt, auf der
anderen den einer farblofen Zufammenfaffung wiffenfehaft-
licher Lehrmeinungen, die nur lofe aneinandergereiht find'
(S. 5). Die Vereinigung diefer beiden charakteriftifchen
Eigenthümlichkeiten werde erft verftändlich, wenn man
einerfeits die befondere Geiftesart Lotze's, andererfeits
die befonderen Zeitumftände ins Auge faffe, durch welche
er zur Ausbildung feiner Weltanfchauung veranlafst wurde.
Es wäre noch der von dem Verf. nicht angeführte Um-
ftand hinzuzufügen, dafs Lotze durch feinen unverhält

nach der befonderen Art und Gefetzmäfsigkeit der Natur*
erfcheinungen alles mafs und richtete. Aber er unter-
fcheidet fich davon fogleich durch die pofitive Löftmfl
des religiöfen Problems, die er der negativen zur Sehe
ftellt, durch die Erklärung des unwirklichen Göttlichen
aus dem wirklichen Menfchlichen, aus den Bedürfnifsen
des Gemüths, mit welcher er die Theologie in Anthropologie
verwandelt. Dabei verleitet ihn aber die ver-
nachläffigung des hiftorifchen Gefichtspunktes zu manche1"
lei Einfeitigkeiten (S. 177).

Der letzte Auffatz ift Max Stirner gewidmet, dem
Geiftesverwandten des auch direct von ihm beeinflußte
Modephilofophen Nietzfche. Hatte Feuerbach nachzuwei^
nifsmäfsig frühen Eintritt in ein vollwichtiges akademifches gefucht, dafs die idealen Forderungen des menfchliche

Lehramt zu Gefammtdarftellungen philofophifcher Dis
eiplinen in einer Zeit veranlafst wurde, in welcher er zu
einem felbftändigen Durchdenken des gefammten Stoffes
und zu einer darauf gegründeten Gefammtanfchauung
noch nicht gelangt fein konnte. Von befonderem Intereffe
ift für uns, wie der Verf. Lotze's mannigfach umftrittenen

Dafeins irrthümlicherweife in Gott perfonificirt und n ,
als von diefem auferlegte Gebote gedacht werden, d.3.
fie aber in Wahrheit für fich fchon exiftiren und in j1 -
felbft verbindliche Kraft haben, fo will Stirner auch d'e'
letztere Anficht als eine Täufchung, als den noch ^rri%
gebliebenen Reft religiöfen Irrglaubens aufzeigen, d1)1" .^

"'•<■»■ uns, wie uer veri. i^olzcs iiicumigiciuii uuuuiiLenen geuiicuciicii x.cii rcugiuicii irrgiauuens auizcig«-«", j-illrüf
Gottesbegriff auffafst. Er findet in Lotze's Weltanfchau- j welchen das fouveräne Ich in feiner grenzenlofen Wjrg
ung ,die charakteriftifchen Züge des Pantheismus, aber 1 fich nicht befchränken laffen dürfe (S. 197)- Vn
nicht des naturaliftifchen, fondern des zugleich fpiritu- Philofonhie des unbefchränkten Individualismus und L

aliftifchen und humaniftifchen Pantheismus, der in wefent-
lichen Punkten dem Theismus angenähert ift' (S. 46). Angesichts
der fcharffinnigen Vertheidigung der Denkbarkeit

Philofophie des unbefchränkten Individualismus uno
archismus vertritt Stirner in feinem Hauptwerke:»
Einzige und fein Eigentum'(1844), mit welchem jedoch e ^
geiftige Schaffenskraft fich völlig erfchöpft zu 'ia