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Ausgabe:

1899 Nr. 16

Spalte:

469-471

Autor/Hrsg.:

Köstlin, Julius

Titel/Untertitel:

Christliche Ethik 1899

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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469

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 16.

470

Köstlin, Prof. DD. Oberkonsift,R. Julius, Christliche (bndern viel zu abstract viel zu fehr von vornherein
r.,.' 0 v> ■ u a ,s™ /vttt fonS vom chriftlichen Standpunkte aus gedeutet zu fein. Als

Ethik. Berlin, Reuther & Reichard, 1899. (Vlll, 099 ö. 1

gr. 8.) M. 10. —; geb. M. 12. —

Dafs J. Köftlin die Mufse, die ihm durch den Zurücktritt
von der akademifchen Lehrthätigkeit gelaffen ift,
zur Ausarbeitung diefes grofsen Werkes verwerthet hat,
ift um fo dankbarer zu begrüfsen, als eine moderne wiffen-
fchaftliche Darfteilung der chriftlichen Ethik einem vielfach
^pfundenen Bedürfnifse entgegenkommt. Luthardt's
Kompendium der theol. Ethik hat diefes Bedürfnifs infofern
noch nicht ganz decken können, als in ihm die
reiche Mittheilung des hiftorifchen Stoffes die fyftema-
tifche Gedankenentwickelung zu fehr überwiegt. K.'s
Ethik ift nun rein fyftematifch ausgeführt. Abgefehen
von der biblifchen Begründung und von der Hervorhebung
des Unterfchiedes der cvangelifchen Auffaffung von der
katholifchen ift der hiftorifche Stoff fehr wenig in Betracht
gezogen. Auch die Literatur zur chriftl. Ethik im
Allgemeinen und zu den einzelnen Thematen ift nicht zu-
fammengeftellt. Nur verhältnifsmäfsig feiten wird ausdrücklich
auf einzelneNamen und Werke Bezug genommen,
tu diefer Beziehung bildet alfo Luthardt's Kompendium
eine Art Ergänzung zu K.'s Werk. So ift diefes letztere
jfüch kein .Lehrbuch' für Studenten. Dafür ift es andreres
trotz feines wiffenfchaftlichen Charakters fo allge-
neinverftändlich gefchrieben, dafs es auch gebildeten
Nichttheologen zur Leetüre empfohlen werden kann.
Ueberrafchende neue Bahnen führt der Vf. nicht. Dazu
bietet auch gerade die Ethik am wenigften Raum. Doch
hat der Vf eine ftete Auseinanderfetzung mit den
"Modernen Problemen gefucht. Leider ift die Darftellung
[echt breit. Vieles wiederholt fich. Zum Theil ift dies
bedingt durch das Streben des Vf.'s, den fyftematifchen
Eufammenhang der einzelnen Glieder recht klar zu
dachen und die Uebergänge durch Recapitulation des
pöfseren Gedankenganges zu vermitteln. Zum Theil
»nd die Wiederholungen aber auch in der Dispofition

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wefentlicher Inhalt diefer Aufgaben wird die Hingabe
des Willens an Gott, den göttlichen Willen, die göttlichen
Zwecke und daneben die Nächftenliebe hingeftellt. So
hat denn auch die fpäter (S. 186 ff.) dargeftellte göttliche
Grundforderung mit Bezug auf das chriftlich-fittliche
Leben keinen wefentlich höheren Inhalt. Nur dafs hier
als fpeeififeh chriftliches Moment noch die Liebe zu Chrifto
zu der Liebe zu Gott hinzutritt. K. möchte den Gedanken
zur Geltung bringen, dafs der Menfch zu dem, was von
uns im Chriftenthum als Forderung Gottes erkannt wird,
fchon urfprünglich durch die Gewiffensftimme angelegt
und angetrieben ift. Das ift allerdings ein richtiger und
fehr wichtiger Gedanke. Er müfste aber m. E. ganz
anders begründet und ausgeführt fein.

Mit Recht betont K. bei der Befprechung der Bufse
und des Glaubens, das blofse Wohlgefallen am Guten bewirke
noch nicht die rechte Bufse. Das fittlich Gute
müfste an das Gewiffen des Menfchen als ftrenge, unbedingte
Forderung herantreten, die in ihm ein Schuldbe-
wufstfein und Gnadenbedürfnifs wecke. Dies feien die
Schrecken des Gewiffens, die ftatthaben müffen, damit
eine rechte innere Umkehr des Sünders zu Stande
komme (S. 158 ff.). Es wäre dabei aber auch zu bemerken
gewefen, dafs der Menfch ein um fo gröfseres
Bewufstfein feiner Schuld Gott gegenüber gewinnt, je
deutlicher ihm fein fittliches Verpflichtetfein Gott gegenüber
durch die Heilserweifungen und den Heilswillen Gottes
bewufst ift, dafs alfo eine rechte Predigt des Evangeliums
von dem Heilsverhalten Gottes doch zur Verftärkung
der Bufspredigt und zur Vertiefung der Bufse dient.

Dafs K. feiner Ethik nicht das dreitheilige Schema:
Güterlehre, Tugendlehre, Pflichtenlehre zu Grunde legt,
ift m. E. durchaus zu billigen. Doch hätten die Tugenden
des chriftlichen Charakters wohl eine etwas eingehendere
Darftellung verdient, als fie in dem Abfchnitte

"«« die Wiedernoiungen ac-er auui m uu ----- S. 278 ff. finden. Was hier über Glaube, Liebe, Hoffnung

Degründet. gefagt wird, ift im Wefentlichen eine Wiederholung des

fchon vorher S. 186 ff. Ausgeführten und gehört m. E.

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leif,,D'erAnlage ift folgende. Nach Erledigung der Ein- j fchon vor

fj'tungsfragen behandelt der Vf. im erften Theile die I trotz des altüberlieferten T t der n T^'

LeSf? TO" T Grundlage» d« chriftlich-fittlichen i genden' nicht in die IgA^T^^^
Bah * allgemeinen fittlichen Anlagen und Auf- ' ' - • -----_™™„'if...?V •

s oen, dann den Sündenftand, endlich die alt- und neu-
namentliche Offenbarung. Im zweiten Theile befchreibt
zueft chriftlich-fittliche Leben in feiner Verwirklichung,
r , r« als Leben des inneren Menfchen in feiner Gemein-

■• - «7.1. T...

cnaft mit Gott, dann als Leben in diefer Welt. Im
d deren diefer beiden Untertheile wird die Entftehung
»es neuen inneren Lebens im Gegenfatz gegen das
ßeben im Stande der Sünde behandelt und dann der Bend
und die Entwickelung diefes neuen Lebens im Ganzen
| 'childert. Dabei werden fpeciell die Acte der inneren

ammlung und Erhebung zu Gott erörtert. Bei der Dar-
H-eiUng des chriftlich-fittlichen Lebens als Lebens in

'efer Welt wird zuerft das Verhalten des Menfchen zu

'Cn- felbft und zu der ihn umgebenden natürlichen und
leJ>er'"on''chon Welt befprochen. Dann wird das Gemein-
n ^n und Verhalten der Perfönlichkeiten zu einander
Sehl a"gemeinen Gefichtspunkten dargeftellt. Den
lufs macht die Befprechung der verfchiedenen Haupt-
fjg^'ufchaften innerhalb des fittlichen Gemeinlebens:
q l'amilie, verfchiedener minder fefter und abgegrenzter
p uieinfchaften des weltlichen Lebens (Verwandtfchaft,

eundfchaft u. f. w.), des Staates, der Kirche.
der a (ei mir geflattet» mit Bezug auf einige Punkte
ka- Ausführung meine Bedenken zu äufsern. Ich
8rün(j k'Cr fre'l'cn nur andeuten, nicht gehörig bc-

fiCL G'e Darftellung der aus dem natürlichen Gewiffen
fCk .gebenden allgemeinen fittlichen Aufgaben (S. 63 ff.)
Dacht m'r n'cllt einer recnten pfychologifchen Beo-
ung der concreten Gewiffensregungen entnommen,

gCIIU<_l» '"Vi..... --- —0------------D----------

Was dann über die Weisheit und einzelne andere Tugenden
hinzugefügt ift (S. 286 ff), ift viel zu fummarifch abgemacht
. Man kann freilich auch über die Tugenden nichts
Genaueres ausführen, bevor man von den Temperamenten
gehandelt hat, was K. erft fpäter thut (S. 346 ff.).
Denn die Tugenden des erworbenen chriftlich-fittlichen
Charakters müffen in ihrem Verhältnifs zu den Vorzügen
und Schwächen der natürlich gegebenen pfychifchen Dis-
pofitionen des Menfchen dargelegt werden. M. E. ift der
richtige Platz für eine Tugendlehre erft hinter der fpe-
ciellen Pflichtenlehre. Hier kann in dem chriftlichen
Charakter mit feinen befeftigten Tugenden das Gut ge-
fchildert werden, das der Menfch durch das fittliche
Pflichtverhalten allmählich für fich felbft erwirbt, und es
kann in der Zeichnung des gefchloffenen Ganzen diefes
chriftlichen Charakters der Lehre von den einzelnen
Pflichten, die niemals eine cafuiftifch vollftändige werden
kann, eine abfchliefsende, einheitliche Ergänzung gegeben
werden.

Nicht zuftimmen kann ich dem Urtheile K.'s, dafs
dieUnterfcheidung zwilchen Pflichtmäfsigem und Erlaubtem
abzuweifen fei (S. 299 fr.). Diefes Urtheil ift mir um
fo unverftändlicher, als die fpätere genauere Erörterung
diefes Themas auf S. 419 fr. dem Sinne nach gerade auf
die Nothwendigkeit jener Unterfcheidung hinausläuft.
Ebcnfo kann ich der Anfchauung nicht beipflichten, dafs
es keine eigentlichen Pflichtencollifionen geben könne
(S. 302 ff.). Es ift durch die Dispofition K.'s bedingt,
fcheint mir aber nicht glücklich zu fein, dafs diefe
Themata und Alles, was fich auf die Selbfterhaltung des
Menfchen bezieht, ihre Erörterung finden, bevor die