Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1899 Nr. 16

Spalte:

465-468

Autor/Hrsg.:

Müller, F. Max

Titel/Untertitel:

Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie. 1. Band 1899

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

465

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 16.

466

um in Beziehung zu Gott gebracht zu werden, eine übernatürliche
Erhöhung ihres Wefens. Daher ift die Gnade
iur Engel, Protoplaften und fündige Maffe gleich nöthig,
he unterscheidet Geh in beiden Beziehungen nur dadurch,
aafs fie gegenüber den beiden erften blofs elevans, gegenüber
der letzteren aber elevans et medianalis ift. Die
gratia elevans ift daher der Hauptbegriff. Dem ent-
iPrechend zerfällt auch die Behandlung in die beiden
"aupttheile, ein Lehrftück von der gratia actualis und
e,n folches von der gratia habitualis. Die Ausdrücke
wie der Verf. zugiebt, nicht ganz zutreffend. In
Wahrheit wird im erften Abfchnitt die Gnade nach ihrer
ahgemeinen und formellen Seite behandelt, fofern fie die
'"Jedem chriftlich-guten Act wirkende und unentbehr-
•Che übernatürliche Kraft ift und in ein Verhältnifs zur
natürlichen Kraft gebracht werden mufs. Das Haupt-
herna bildet hierbei der Streit zwifchen Molinismus und

nornismus, der möglichft auf blofsen Wortftreit zurückgeführt
und fchliefslich für in letzter Linie unauflöslich

ezeichnet wird, wie das bei dem quantitativen Abwägen
zWifchen natürlichen und übernatürlichen Kräften auch
f„'u . a"ders möglich ift. Der zweite, viel kürzere Abweis
auf folare und meteorologifche Vorgänge. Als Abbilder
folcher Vorgänge erfchienen dann alle Mythen
und Erzählungen des hiftorifchen Epos, der Lyrik und
der gelehrten antiken Mythographie. Aus Sommer und
Winter, Dämmerung und Morgenröthe, Wolkenkühen
und Sonnenroffen wurden die Göttergeftalten, ihre Beziehungen
und ihre Depotenzirungen zum Sagen- und
Liederftoff erklärt. M. Müller hat diefer Betrachtungsweife
fpeciell noch feine Theorie von der Entftehung
diefer appellativifchen Ausdrücke und ihrer religiöfen
Deutung als handelnder Mächte aus einer Notwendigkeit
urfprünglicher Sprachbildung hinzugefügt und fo aus
einer disease of language das Gebilde der Religion abgeleitet
, bei dem er einen Unterfchied von Religion,
Mythologie, Philofophie und Wirkung fprachlicher Bedingungen
überhaupt gar nicht mehr kannte, was ihn
aber freilich nicht hinderte, zugleich in Anlehnung an
Schelling in diefer disease of language die Erkenntnifs
des Unendlichen zu behaupten. Scharfe logifche Durchdringung
und Gliederung feines Stoffes war nie eineEigen-
fchaft Müller's, ebenfowenig als ruhige und urfprüngliche
Empfindung für das Eigenthümliche der lebendigen und

'chnitt behandelt das befondere Ergebnifs der Gnade realen Religion.
arr» fündigen Menfchen, den Habitus justificationis et Gegen diefe linguiftifch-philologifche Mythologie,

Sa,ictificationis, wobei vor allem die den habitus initi- die alles Verftändnifs aus den Namen der Götter

~ ftde Rechtfertigung gegen lutherifche Irrlehren ficher
sCtellt wird.

fch -^'P ^C'1't 'e'der zu fenr das Verftändnifs für die Unter-
, bcidung der Haaresbreiten, in denen die Originalität
^tholifcher Dogmatiker zu Tage tritt, als dafs ich den
j^rt diefer Gnadenlehre in der gegenwärtigen katholifchen
£,°grnatik genauer beftimmen könnte. Wer fich über die

"adenlehre orientiren will, findet hier jedoch ein bequemes
Mittel. Nur orientirt das Werk felbft nicht fehr

eutlich über feine eigene Stellung in der katholifchen
^ogmengefchichte.
Heidelberg. Troeltfch.

Müller, F. Max, Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie
. Aus dem Englifchen überfetzt von Dr. Heinrich
Lüders. Autorifirte, vom Verfaffer durchgefehene Ausgabe
. 1. Bd. Leipzig, W. Engelmann, 1898. (XXXII,
408 S. gr. 8.) M. 11.— ; geb. M. 13.50

Das Buch ift der erfte Theil einer fehr breit und
^ftändlich, mitunter geradezu geziert gefchriebenen j .vergleichend^ wird. Mehr-

und deren urfprünglicher Wurzelbedeutung fuchte und
die zugleich die Fortpflanzung und Ueberlieferung der
Religion fich als völlig gleichartig mit der der Sprachwurzel
und der Sprache dachte, hat fich mannigfacher
Widerfpruch erhoben: ein Widerfpruch gegen die philo-
logifch - linguiftifche Behandlung, der nicht aus den
Götternamen und den Wortbedeutungen irgend einer
Urzeit, fondern aus den lebenden und beobachtbaren
Realien der Religion, aus Cultus, Sitte und reli-
giöfer Vorftellungswelt das Wefen der Götter erkannt
wiffen und die Vergleichung nicht als Vergleichung der
Namen und Worte, fondern als Vergleichung der Realien,
Bräuche und concreten Gedanken forderte; und ein Widerfpruch
gegen die übereilte und fouveräne Vergleichung,
der die Götterwelt der Slaven, Germanen, Italiker,
Griechen, Inder, Perfer in erfter Linie aus den vorliegenden
Documenten diefer Völker ftudiren wollte und nicht
aus blofs erfchloffenen Antecedentien, der auf religiöfem
Gebiete den einzelnen Völkern mit ihren befonderen
hiftorifchen und geographifchen Situationen eine viel
gröfsere eigene Productionskraft zutraute, als bei der

°Tati° pro domo. M. Müller will die Principien und Refultate 1 fach haben fich auch beide Einwendungen vereinigt,
Ser von ihm in Anfchlufs an Bopp, Grimm, Kuhn, und hat man aus der Vergleichung der Realien analoge

]0 noi>f und den fpäteren Schelling betriebenen mytho
^buchen Forfchung gegen die inzwifchen aufgeftandenen
lJri -er. uncl andersartigen Richtungen vertheidigen. Die
ju'jf'pien einer rein philologifch-linguiftifch verfahrenden
füll °gie beruhten bei ihrer erften blendenden Durch-
ejnrung durch jene Gelehrten auf der Vorausfetzung
Fjr^r.. ^enr ftarken Continuität zwifchen dem arifchen
zve- und feinen fpäteren hiftorifchen grofsen Ab-
gion'gUngen und hatten fur die mythologifche und reli-
gronsSefchichtliche Forfchung den Hauptwerth darin,
ljcll Se Gruppen der Menfchheit als ein religionsgefchicht-
z.ufammengehörendesGebiet zu erweifen undda

Tendenzen und Bildungen primitiver Völker erfchloffen,
die zum Verftändnifs der religiöfen Production eines
beftimmten Volkes trotz feines unleugbaren Zufammen-
hanges mit dem arifchen Urvolk doch mehr beitragen
als die paar dürftigen Berührungen der Götternamen.
Dies ift der Standpunkt den die hervorragendften Gelehrten
der letzten Zeit im Ganzen angenommen haben: Erwin
Rohde und Ed. Meyer für die Griechen, Oldenberg für
die vedifchen Inder und Mannhardt für die Germanen und
Slaven. Daneben haben fich auch mehr dilettantifche
oder auf Entwurzelung der Religion ausgehende, prak-
tifche Ziele verfolgende Auffaffungen erhoben: die

Ifiif _ • u ui 1111 t-ii ui u u >-o vjuuici v-i vvciicu «v. I-------- ^»»-**- vt,iiuig«_iiut .znuiiaiiuiigcii ciiiuucu; un

U ein.e grofse Strecke und Breite der Religionsgefchichte , darwiniftifch zugeftutzte anthropologifche Religionserklä
8u ^einheitliche Auffaffungs- und Erklärungsbedingungen ! rung, welche die Religionen der ,Wilden' wie die foffilen
gio der Entdeckung der Wurzeln diefer Reli- Thierfunde für die Conftruction und Erklärung der

gl nfgebiete in den poftulirten einfachen arifchen Urformen höheren Erfcheinungen verwendet; die modernen Eu-
^ "bte man dann auch der Erklärung der Religion über- 1 hemeriften aus Spencer's Schule, die fich in einer un-
deuPt näher gekommen zu fein und durch den Aufweis | geheuerlichen Verallgemeinerung des indianifchen To-
Yy urfprünglichen appellativifchen Bedeutungen diefer j temismus die thatfächliche Unterlage ihrer Theorie
Gl rf-fln das Wefen diefer Götter und des religiöfen j fchufen; die Fanatiker der Ahnenverehrung; die aus
"icht - S an ne aufhellen zu können. Indem man von j Fetifchismus und Animismus conftruirenden Erklärer und
losif unimer eingeftandenen philofophifchen und pfycho- ähnliche. Die letzteren haben Max Müller am fchärfften
''vir MVorausfetzungen ausging, fuchte man die appella- zugefetzt, während die erftgenannten Gelehrten ihm immer
'Che Bedeutung diefer Wurzeln vor allem in dem Hin- mit Achtung begegneten.

**