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Ausgabe:

1899 Nr. 15

Spalte:

435-438

Autor/Hrsg.:

Burckhardt, Jakob

Titel/Untertitel:

Griechische Kulturgeschichte. Herausgegeben von Jakob Oeri. 2 Bände 1899

Rezensent:

Wendland, Paul

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435 Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 15. 43^

ausgeführt hat, nicht immer zuverläffig, und wird daher j zu berichtigen fein wird, man wird diefen Theil nicht

eine genaue Kenntnifs des Ti-Grabes erfl die in Ausficht
flehende Publication desfelben durch Maspero vermitteln
können. — Es folgen die Gräber des mittleren Reiches,
insbefondere die des Chnum-hotep und des Bakti zu
Beni-Hassan. — Die Befprechung der Gräber des neuen
Reiches zerfällt in die Unterabtheilungen: Privatgräber,
Necropole von Teil el Amarna, Königsgräber, wobei fich
in erflerer abgefehen von einigen Bemerkungen über El
Kab eine lange Schilderung thebanifcher Gräber der
18.—19. Dynaftie findet. Ein fehr wichtiger Abfchnitt
des Buches ift der Teil el Amarna gewidmete dadurch
geworden, dafs die ihn begleitenden Tafeln Reproductionen
unedirter Zeichnungen Nestor L'Höte's — auch Taf.
80—81 aus dem Grabe des Hui zu Theben find diefen
entlehnt — und fomit ein reiches und theilweife neues
Material für die Zeit der Reformen Amenophis' IV. geben.
Es wäre höchft verdienftlich, wenn auch die übrigen,
auf der Parifer National-Bibliothek aufbewahrten Aufnahmen
diefes forgfamen Beobachters im Facfimile veröffentlicht
würden, unfere Kenntnifs der altägyptifchen
Kultur und Kunft würde hierdurch eine fehr wefentliche
Förderung erfahren. — Bei den Königsgräbern, deren
Befprechung das Buch abfchliefst, bleiben die religiöfen
Texte unberückfichtigt; nur die Darftellungen aus dem
täglichen Leben im Grabe Ramfes' III. werden kurz erwähnt
.

Diefe Inhaltsangabe wird genügen, um zu zeigen,
was alles in bunter Folge in diefem ungemein reich mit
Tafeln und Textbildern ausgeftatteten Werke zur Behandlung
kommt. Ueber feinem Erfcheinen hat ein
fonderbares Verhängnifs gewaltet. Dem Nachwort zu
Folge wurde es im Febr. 1893 abgefchloffen, aber erfl
Oct. 1895 im Druck vollendet und bis dahin mit Nachträgen
verfehen, datirt ift es von 1896 und damals wurde
es von Maspero [Rev. crit. 1896, II p. 313 fr.) eingehend
und mit kritifcher Schärfe befprochen. Allgemein zugänglich
aber ward es erfl Anfang diefes Jahres, nachdem
durch zahlreiche Funde im Nilthale, die wir z. Th.
Amelineau lelbft verdanken, weit ältere Gräber als die
der Pyramidenzeit zugänglich geworden find, abgefehen
von neuen Königsgräbern, u. f. f. Funde, die den Verf.
felbft dazu bewegen werden, manche feiner hier entwickelten
Anfchauungen aufzugeben oder anders zu
faffen.

Unter diefen Umftänden erfcheint es richtiger, an
diefer Stelle von einer kritifchen Betrachtung der Punkte,
an denen Ref. von den Anfchauungen des Verf. abweicht
, von einer Nachprüfung feiner Quellen und besonders
feiner Ueberfetzungen ägyptifcher Infchriften,
u. a. m. abzufehen. Eine folche Erörterung würde für
die Lefer diefer Zeitfchrift nur wenig Intereffe haben
können; fie werden ohnehin, um fich über einfchlägige
Fragen zu unterrichten, auch fernerhin zu den knappern,
überfichtlichern, grundlegenden Darftellungen von Wil-
kinfon, Maspero oder Erman greifen.

Bonn. A. Wiedemann.

Burckhardt, Jakob, Griechische Kulturgeschichte. Herausgegeben
von Jakob Oeri. 2 Bände. Berlin, W. Spe-
mann, 1898. (IX, 370 u. 443 S. gr. 8.)

M. 14. — ; geb. M. 17.20

Das Werk ift aus Vorlefungen, die B. in den Jahren
1872—1887 wiederholt gehalten hat, hervorgegangen.
Die zwei vorliegenden Bände find von B. felbft ausgearbeitet
worden; die zwei weiteren Bände, die folgen
follen, werden nur auf den Collegienheften beruhen.

Der anziehendfte Abfchnitt ift der über ,Staat und
Nation' (I S. 55—332), der befonders Wefen und Ent

ohne Anregung lelen, wird hier oft B.'s Kunft der Cha-
rakteriftik, feine Fähigkeit, die Dinge lebendig vorzu-
ftellen und durch treffende Analogien anfchaulich zu
machen, auch feine feine Ironie, von der die ganze Darfteilung
Spartas durchzogen ift, wiedererkennen.

Ungünftiger mufs ich urtheilen über die Abfchnitte I
S. 1—53 ,Die Griechen und ihr Mythus' und II S. 1—270
.Religion und Kultus'. Man kann fich hier vielleicht
einen Unterfchied der hiftorifchen Forfchung auf modernem
und auf antikem Gebiete recht klar machen.
Der moderne Hiftoriker ift oft in der glücklichen Lage,
über eine folche Fülle des Stoffes zu gebieten, dafs feine
Hauptaufgabe ift, das Charakteriftifche auszuwählen und
zu gruppiren, die Maffe des Unwefentlichen auszu-
fcheiden. B. hat fich oft als Meifter in diefer Kunft gezeigt
. Der Hiftoriker des Alterthums — und für die Reli-
gionsgefchichte gilt das Folgende ganz befonders —
mufs, da die Quellen nicht reichlich fliefsen, auch die
entlegenften Züge zu einem Gefammtbilde vereinigt und
durch eine möglichft vollftändige Synthefe der Einzelheiten
zur Analyfe fich vorbereitet haben. — Er mufs,
was bei der fragmentarifchen Ueberlieferung befonders
fchwierig ift, fich über Charakter und Tendenzen der
Quellen klar zu werden fuchen.

B. ignorirt oft die wichtigften Quellen und er fleht
auch den Quellen, die er benutzt, rathlos gegenüber.
Wahre Zeugnifse echter Religion, rationaliftifche und
fynkretiftifche Tendenzfchriften, ja apokryphe Machwerke
und dreifte Fälfchungen gelten ihm oft gleich; Zeiten
und Geifter werden oft garnicht gefchieden. Die Be-
lefenheit in den antiken Quellen, der lebendige Verkehr
mit ihnen, von dem diefe Vorlefungen zeugen, geben
einen neuen Beweis von der wunderbaren Vielfeitigkeit
des Mannes. Dafs fie allein nicht genügen, um eine
Culturgefchichte zu fchreiben, hat B. felbft am heften
gewufst; denn es wäre ein trauriges Zeugnifs für die
neuere philologifche und archäologische Forfchung, wenn
fie ohne Schaden vernachläffigt werden könnte, wenn
aus ihr nichts zu lernen wäre.

Eine Kritik der Einzelheiten verbietet fich nach dem
oben Gefagten von felbft. Nur auf einige Grund-
anfchauungen will ich eingehen: Die Götter waren anfangs
phyfifche Potenzen (II S. 47 ff.). Sie erhalten
dann thierifch-menfchliche Geftalt. So Unzufammen-
gehöriges wie kultifche Vorftellung der Götter in Thier-
fymbolen, Seelenwanderung in Thierleiber, Metamern
phofen von Menfchen in Thiere wird II S, 5 ff. zn'
fammengebracht, um damit die Anficht zu ftützen, dafs
einft die Götter in Thiergeftalt gedacht feien; dabei
werden die ficheren Beifpiele theriomorpher Vorftellunge0
nicht einmal erwähnt. Der epifche Gefang hat dann
die Griechen von den fratzenhaften, aus menfchliche/
und thierifcher Geftalt gemifchten Göttern heften
(S. 34- 33)- — B. felbft hat diefe Anfchauungen über die
Entwickelung der Religion nur zu richtig als dilettan-
tifche Verfuche angefehen. Er legt gar kein Gewich1
auf fie, wenn fie auch oft unbewufst bei ihm nachwirken,
und fie wären beffer unterdrückt worden. Denn was
man fich auch als älteften Hintergrund denken map
Animismus, Fetifchismus, Perfonification der Naturkrafte
oder Anleihe bei Aegyptern und Phöniciern, um dm
Religion der gefchichtlichen Zeit zu begreifen, gebrauchen
wir das alles nicht. Und B. hat fich die Aufgabe ge'
ftellt, zu zeigen, was die Religion und die Götter den
Griechen der hiftorifchen Zeit waren (S. 3). Hat er uns
das Wefen der griechifchen Götter und der griechifcheI(
Frömmigkeit verftändlich gemacht? Gewifs nicht. Fft?
migkeit läfst fich doch immer nur in einzelnen In°lV')
duen und Erfcheinungen (etwa dem Motiv des Mytrnw
faffen. Ein Gefammtbild der Religion, wie B. es 2

ftehung der Polis, ihre Gefchichte, das Verhältnifs des I geben verfucht und wie es fich aus wirklich volkstfiu
einzelnen zum Staate fchildert. So viel auch im einzelnen ' liehen Vorftellungen, aus Phantafie und Reflexion