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Ausgabe:

1899 Nr. 1

Spalte:

24-26

Autor/Hrsg.:

Lobstein, P.

Titel/Untertitel:

Einleitung in die evangelische Dogmatik 1899

Rezensent:

Reischle, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 1.

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fpecielle Materie des Bücherverbots doch eine ver-
hältn ifsmäfsig einfache und durchfichtige geworden.

Man kann das an H's Schriftchen ftudiren, welches
nicht allzuviel dubiöfe Fragen auftreten läfst. Immerhin
hebe ich z. B. die folgenden hervor. Es bleibt auch
jetzt unficher, welche Quantität des Gelefenen zu einer
fchweren Sünde und fomit zur Incurrirung der Strafe
erfordert werde. ,Die Anflehten fchwanken zwifchen
einer Zeile und mehreren Seiten'. H. meint, eine folche
Abwägung als ,zu formaliftifch' abweifen zu follen, und
bemerkt, ,der Zweck des Verbots' fei entfeheidend: ,es
kann die Lektüre weniger Zeilen gefährlich werden und
die Lektüre mehrerer Seiten ganz harmlos fein'; doch
fügt er dann hinzu — m. E. in inconfequenter Weife —
.im Allgemeinen darf man jedoch annehmen, dafs die
Lektüre mehrerer Seiten (etwa fechs) jedenfalls als
fchwere Sünde zu qualificiren fei, mag nun im gelefenen
Paffus ein Irrthum enthalten fein oder nicht'. Der
letztere Zufatz ift intereffant. Das ,verbotene' Buch gilt,
wie H. öfter hervorhebt, als ganzes für ein noli me
tangere, lelbft Vorrede und Regifter dürfen nicht ein-
gefehen werden. Es ifl, als ob das Buch als folches für
contagiös angefehen werde. Doch hat die Beftimmung
wohl die Abficht, auch der blofsen Neugier zu wehren.
In diefem Sinne ift fie pfychologifch und pädagogifch
richtig gedacht. — Auch die Frage ift zu erörtern, ,wie
Anhörung eines aus verbotenen Büchern Vorlefenden zu
beurtheilen fei'. Es giebt allerhand ,probabele' Ent-
fcheidungen: Sanchez u. a. haben gemeint, ,vorlefen'
dürfe fich einer alles laffen, fei er da doch eben kein
Jegens1. Sehe ich recht, fo giebt die Conftitution auf
jene Fragen keine directe Antwort. Aber fie drückt fich
durchweg objectiv aus: fie redet von Büchern, die
,prohibentur' oder ,permittunturi, und läfst die Weife, wie
man etwa Kenntnifs von ihnen nehme, einfach dahin-
gcftellt. So hat H. Recht, wenn er auch hier keine
,formaliftifchen' Erwägungen anftellen will. Er hebt hervor
, dafs nach Sanchez etc. z. B. ein Augenfchwacher
ftets entfchuldigt fein würde. Der ,Vorlefer' würde dann
einer Cenfur verfallen ftatt des Hörers, in deffen Dienft
er etwa flehe. Aehnlich verfländig wie den Begriff des
degens1 behandelt H. den Begriff des dmpritnens'1, S. 48.
Auch hier haben .formaliftifche' Ausleger der Index-
beftimmungen, darunter aber z. B. auch eine folche
Autorität auf diefem Gebiet wie Cardinal d'Annibale,
die ärgerlichften Anflehten entwickelt. Nach d'Annibale
wären als dmprimenics' nur die phyfifch beim Druck
Thätigen, alfo die Setzer und Mafchiniften, zu verftehen.
Der Verleger [,typographus editor') nicht! ,Das heifst man
aber doch die Dinge auf den Kopf ftellen, — meint H. —;
dann hat der Gefetzgeber die Hauptfchuldigen nicht
treffen wollen, fondern nur jene armen Arbeiter, die in
der Regel gar nicht überfehen können, worum es fich
handelt'. Soll mich freuen, wenn Ho.'s Polemik gegen den
Formalismus Erfolg hat. — Noch eine Frage. Wie fleht
es mit den Zeitungen? Sind fie Jiiri'l Eine Ent-
fcheidung der Congreg. Inquis. vom 21. April 1888 hat
benimmt, dafs fie nicht als Jibed gelten, ,folange fie nicht
gefammelt und gebunden find'. H. fcheint diefe Ent-
fcheidung als zu Recht beftehend anzufehen. Nicht unverdient
fpottet aber Hoensbroech über diefelbe: nach
diefer Theorie dürfe alfo jede Nummer einer verbotenen
Zeitung für fich gelefen werden, auch verliere ein Band
Zeitungsblätter offenbar dann feine angeblich .feelen-
mörderifche' Kraft, wenn er nur auseinander genommen
werde; ,werden Leim und Bindfaden des Buchbinders
entfernt, fo weicht auch die Excommunication'. Gilt die
Entfcheidung vom 21. April 1888, fo wüfste auch ich
nicht, wie diefer ,formaliftifchen' Auffaffung zu fteuern
fei. Man begreift ja, wie eine Abwehr des Begriffs diber*
von der einzelnen Zeitungsnummer zu Stande gekommen.
Der wundefte Punkt aller Indexbeftimmungen ift überhaupt
offenbar, dafs neue Bücher und Tageserfcheinungen

kaum unmittelbar zu treffen find. Da mufs die Seelforge,
oder, wie H. gewöhnlich fagt, das ,Naturrecht' eintreten.
,Die Beftimmungen der Conftitution Officionun aemunerur*
über die Lektüre, fo hebt er fogleich an, decken fich
nicht durchaus mit der naturrechtlichen, alfo [sie] rein
ethifchen Verpflichtung, fchlechte, dem Glauben und der
Sittlichkeit gefährliche Schriften zu meiden. Die naturrechtliche
Verpflichtung erftreckt fich auf alle Bücher
von welchen der Lefer aus Erfahrung und nach Maafs-
gabe feiner fpeciellen Anlage weifs, dafs fie ihm Gefahren
und Verfuchungen bereiten, mögen die Bücher nun unter
die allgemeinen oder fpeciellen Verbote der Kirche fallen
oder nicht. Es dürfte Jemand, falls er ungünftige Wirkung
aus der Lektüre verbotener Schriften erfahren hat, nicht
einmal von einer ihm feitens der competenten kirchlichen
Oberen gewährten Erlaubnifs Gebrauch machen . . .'
Aber es ift nun kein geringer Unterfchied, ob einer nur
nach dem .Naturrecht', nach der ,Ethik', in Bücherfachen
fündigt, oder nach dem ,kanonifchen Recht' d. h. wider
die neue Conftitution. In jenem Falle kann er gewifs
oft eine Todfünde begehen, aber da rettet alsbald das
Bufsfacrament. In letzterem Falle droht vielfach die
Excommunication, zum Theil in der ,exorbitanten Form
einer von felbft eintretenden Strafe {latae sententiaef.
Und zwar ohne Zweifel das auch, wenn einer bei der
Lektüre oder Aufbewahrung des verbotenen' Buches
in keiner Weife fchädliche Wirkungen für feinen Glauben
oder feine Sittlichkeit verfpürt hätte! Die Befreiung von
der Excommunication ift aber keine fo leichte Sache,
als die ,blofs' von einer .Todfünde'! Man rührt da an
die tiefften Schäden des Curialismus nach evangelifchem
Verftändnifs vom Chriftenthum. Auch das hat Graf
Hoensbroech in feiner herben Weife, aber mit Recht,
hervorgekehrt.

Hollweck hebt mancherlei Milderungen hervor, die
! die neue Conftitution gegenüber dem .älteren Recht'
enthalte. Die hauptfächlichfte fei, dafs die Schriften der
Härefiarchen (z. B. Luther's, Calvin's, Melanchthon's, Döl-
linger's) nicht mehr fchlechthin verboten find, mögen fie
Feindfeliges gegen den Glauben enthalten oder nicht.
Diefe Schriften (die Praxis war allerdings bisher fchon
foweit gegangen) können dann gelefen werden, wenn in
ihnen nichts gegen den katholifchen Glauben oder fonft
Injuriöfes gegen die Kirche enthalten ift'. ,Wefentlich
erleichtert ift auch der Gebrauch akatholifcher Bibelausgaben
'. Das Gefammturtheil H.'s über die Conftitution
lautet nach S. 14 t. folgendermafsen: diefelbe ,ift in mehrfacher
Beziehung eine fehr erhebliche Milderung gegenüber
dem älteren gefchriebenen Recht, aber der bisherigen
Praxis gegenüber, die vielfach als gerechtfertigt dargeltellt
wurde, bedeutet fie eine nicht unerhebliche Verfchärfung.
Wer noch vor kurzem in der Doctrin unter Berufung auf
die älteren Gefetze die Sätze vertreten hätte, welche nun
I als unzweifelhaftes Recht neuerdings feftgeftellt worden
J find, dem wäre der Vorwurf des Rigorismus ficher nicht
erfpart geblieben'. H. freut fich der Feftlegung der Strenge.
Wir Evangelifchen können aufs neue conftatiren, wie
confequent der moderne Romanismus ift und — wie
wenig er fich frei überzeugende Kraft zutraut.

Giefsen. F. Kattenbufch.

' Lobstein, Prof. D.P., Einleitung in die evangelische Dogmatik.

Aus dem Franzöfifchen überfetzt von Pfarrer a. D.
Maas. Vom Verfaffer durchgefehene und ftark vermehrte
Ausgabe. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1897.
(X, 292 S. gr. 8.) M. 5.6b

Da das franzöfifche Werk, deffen deutfehe Ausgabe
hier vorliegt, fchon im Jahre 1897, Col. 86 ff. von Herrn.
Schultz befprochen worden ift, kann und mufs ich meiner
Anzeige Befchränkung auferlegen. Abfichtlich habe ich
von einer deutfehen Ausgabe, nicht von einer blofsen