Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1899 Nr. 13

Spalte:

395-398

Autor/Hrsg.:

Steinbeck, Johannes

Titel/Untertitel:

Das Verhältnis von Theologie und Erkenntnis-Theorie, erörtert an den theologischen Erkenntnis-Theorien von A. Ritschl und A. Sabatier 1899

Rezensent:

Kaftan, Julius

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

395

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 13.

396

gefammte Staatsgebiet verhindert. Das letztere Verdient! macht und anflatt allgemeingültiger Refultate nur folche
thut Mirbt in einer Anmerkung (S. 26) mit den Worten ' erzielt, die von dem fubjectiv bedingten philofophifchen

ab: ,das hätte gerade noch gefehlt'. Aber eben das
waren doch die Intentionen der Kurie, wie fie Confalvi
nicht nur in einer Denkfchrift für Hannover zum Ausdruck
brachte, fondern in den Bullen für Hannover und die
oberrheinifchen Bisthümer auch durchfetzte (Treitfchke,
3, 204 und 228).

Halte ich hiernach den gefchichtlichen Beweis gegen
die Gefandtfchaft nicht für erbracht, fo kann ich auch
meine Bedenken gegen die Beurtheilung derfelben, die der
zweite Theil der Schrift bringt, nicht verfchweigen. Das
Urtheil läuft auf die Feftftellung des Wideifpruchs hinaus,
der fich bei der Auffaffung des Papftes als Oberhaupt
der Kirche und als politifchen Souveräns zeigt. Mirbt
hat mit aller wünfchenswerthen Klarheit die Zweideutigkeit
diefer Doppelwürde gekennzeichnet. Er hat auch
nicht unterlaffen, diefen Widerfpruch über die Perfon
des Papftes hinaus in feine Wurzel, die im katholifchen
Kirchenbegriff verborgen liegt, zu verfolgen. Allein den
Gegenfatz von politifcher Macht und religiöfer Wirkfam-
keit unterfcheiden wir leicht an diefem Kirchenthum.
Verlangen wir, dafs er auch von Katholiken als folcher
anerkannt werde, fo conftruiren wir ein religiöfes Bewufst-
fein, das nirgends exiftirt. Denn die kleine Minderheit
der Altkatholiken ift, weil fie ecclesia pressa ift, kein
Beweis dagegen, dafs mit der Thatfache des hierarchifchen
Episkopats — vollends mit monarchifcher Spitze —
rechtliche und damit zugleich politifche Machtanfprüche
unweigerlich verbunden find. Geht aber von hier aus
das Verhältnifs von Kirche und Staat — folange das
ideell geforderte der Subordination nicht in Frage kommt
— thatfächlich in dasjenige coordinirter politifcher Gröfsen
über, fo wird auch die Forderung, den Verkehr zwifchen
beiden in den Formen zu regeln, in denen der diplo-
matifche Verkehr der Zeit fich überhaupt bewegt, eine
von jener Seite unabweisliche bleiben. Dagegen kann
auch die Beobachtung nicht aufkommen, dafs Preufsen
die einzige ,proteftantifche' Grofsmacht ift, die fich den
fchädlichen Luxus einer Gefandtfchaft am Vatican leiftet.
Denn welche andere proteftantifche Grofsmacht hat einen
gleichgrofsen Bruchtheil katholifcher Bevölkerung aufzuweiten
?

Rumpenheim. S. Eck.

Steinbeck, Lic. Johannes, Das Verhältnis von Theologie
und Erkenntnis-Theorie, erörtert an den theologifchen
Erkenntnis-Theorien von A. Ritfehl und A. Sabatier.
Leipzig, Dörffling & Franke, 1898. (VII, 254 S. gr. 8.)

M. 4.—

Dem Gedenken Frank's ift diefe Schrift in Dankbarkeit
gewidmet. In der That geht fie überall von den
Vorausfetzungen der Frankfchen Theologie aus. Wo von
Chriftenthum die Rede ift, meint der Verf. immer die
Auffaffung und Darfteilung des Chriftenthums, die Frank
in feiner Theologie bietet. Das ift die Stärke diefer
Schrift, fie knüpft überall an eine feftgeformte und geift-
reiche theologifche Arbeit an, verirrt fich nicht oder
doch nur vorübergehend auf ungebahnte Wege — wie
es Erftlingsarbeiten zur fyftematifchen Theologie fonft
leicht paffirt. Andererfeits ift eben daffelbe freilich auch
ihre Schwäche. Nicht als wenn es an eigener und ernft-
hafter Gedankenarbeit fehlte. Aber diefe ift mit allen
Abfonderlichkeiten der Frank'fchen Theologie belaftet.
Ueber deren Grenzen gelangt der Verf. nirgends hinaus
und fördert daher die theologifche Arbeit nicht.

In einem erften Theil (S. I—21) wird dargethan,
dafs eine vorausgefchickte philofophifche Erkenntnifs-
theorie für die Theologie nicht nothwendig, fondern
fchädlich ift, weil fie die Theologie und damit die Er-
kenntnifs des Chriftenthums von der Philofophie abhängig

Urtheil des betreffenden Theologen abhängig find. In
einem zweiten Theil (S. 22—209) werden die Erkenntnifs-
theorien Ritfchl's und Sabatier's dargeftellt und beur-
theilt und zwar in einem erften Abfchnitt (S. 22-82)
die Ritlchl's, in einem zweiten Abfchnitt (S. 82—209)
diejenige Sabatiers. In den Ritfehl gewidmeten Erörterungen
wird zwifchen feinen religiös-theologifchen
und feinen philofophifchen Grundfätzen unterfchieden,
an jenen manches als richtig anerkannt, diefe dagegen
als irrig erwiefen, auch gezeigt, inwiefern fie, obwohl fie
in der Theologie Ritfchl's nicht eigentlich durchgeführt
find, doch auf diefe einen irreführenden Einflufs ausgeübt
haben. Sabatier kommt etwas weniger gut weg, weil er
dem Verftändnifs des Chriftenthums eine religionsphilo-
fophifche Theorie zu Grunde legt und darüber die Eigenart
des Chriftenthums verkennt, namentlich die religiöfe und
damit auch die chriftliche Erkenntnifs als blofs fubjectiv
und fymbolifch viel zu fcharf von der objectiven wiffen-
fchaftlichen Erkenntnifs trennt. Immerhin ift der Verf.
auch hier ernftlich darum bemüht, allererft die Theorie
des Gegners fich verftändlich zu machen und das relativ
Berechtigte an ihr anzuerkennen. In einem dritten
Theil (S. 210—254) trägt der Verf., aus den von ihm
angeftellten kritifchen Erörterungen die Summe ziehend,
feine eigene, an Frank fich anfchliefsende — Er-
kenntnifstheorie vor und widerlegt damit thatfächlich,
was er im erften Theil gegen die Nothwendigkeit eines
folchen Unternehmens vorgebracht hatte. Ganz hat er
fich auch felbft der Einficht nicht entzogen, dafs er fich
damit in einen Widerfpruch verwickelt. Zwar will er es
nicht Wort haben. Aber was er in diefem Sinn vorbringt
, find Ausreden der Verlegenheit, die das alte
Thema variiren: Bauer, das ift ganz was Anderes!

Als Erftlingsfchrift ihres Verf.s fcheint mir diefe
Arbeit alle Anerkennung zu verdienen. Die Darftellung
ift klar und wohlabgewogen, die Kritik fachlich und be-
fonnen. Auch wird in diefer Kritik manches Beachtens-
werthe vorgetragen. Ritfchl's philofophifche Theorie
vom Ding fordert in der That die Kritik heraus. Sabatier
's Aufftellungen leiden auch nach meiner Einficht
darunter, dafs fie von einer religionsphilofophifchen
Theorie ausgehen, die wie alle diefe Theorien weder dem
Object — den in der Gefchichte gegebenen Religionen —
noch dem concreten Ideal völlig gerecht wird: in diefem
Sinne fcheint mir der Verf. manchen richtigen Einwand
zu erheben. Die Sicherheit endlich, mit der er feine
Urtheile ausfpricht, verliert, was fie Unangemeffenes
haben könnte, durch den engen Anfchlufs an Frank,
in deffen Namen er gleichfam redet — ohne in die Unart
diefes feines Lehrers zu verfallen, der die Vertreter abweichender
Anflehten, auch folcher die feinen eignen
recht ähnlich fahen, von oben her abzukanzeln liebte.

Aufs Ganze gefehen halte ich freilich die Arbeit des
Verf.s für verfehlt. Die Theologie ift in der chriftlichen
Kirche in der Wechfelwirkung mit dem geiftigen Ge-
fammtleben der Zeit entftanden, und ihre Exiftenz t™
daran gebunden, dafs fie diefen Zufammenhang und folg"
lieh auch den mit der Philofophie aufrecht erhält. Dm
Theologie, wie Frank es wollte, auf den Ifolirfchernel
fetzen, heifst fie der Auflöfung anheimgeben. Ueberdms
ift, wenn einer nun doch dabei Theologie machen W|1m
das ganze Unternehmen undurchführbar. Es hat nur dm
Folge, dafs der philofophifche Einflufs am unrechten Gr
und uncontrolirt fich durchfetzt. Beurtheilt man nun
die vom Verf. verhandelte Frage unter diefem Gefichts-
punkt, dann mufs es heifsen, dafs, wenn Kant die Aus"
einanderfetzung des Chriftenthums mit der Imilofophm
in die erkenntnifstheoretifche Erörterung verlegt ha,
gerade damit in der Sache die Unabhängigkeit des ehr»
liehen Glaubens von den wechfelnden Syftemen de
Philofophie erreichbar geworden ift. Indem er Fran