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Ausgabe:

1899 Nr. 11

Spalte:

347-350

Autor/Hrsg.:

Munzinger, Carl

Titel/Untertitel:

Die Japaner. Wanderungen durch das geistige, soziale und religiöse Leben des japanischen Volkes 1899

Rezensent:

Schmiedel, Otto

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347

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. Ii.

348

Kirche erhalten, dafs fie Verftändnifs für die grofsen
Aufgaben der chriftlichen Kirche und ein einigermafsen
begründetes Urtheil über die verfchiedenen Erfcheinungen
und Richtungen in ihr gewinnen, vor allem aber auch
eine Stärkung ihres evangelifchen Bewufstfeins und
Glaubens aus dem Unterrichte davontragen'. Von diefem
Gefichtspunkte ausgehend, hat fich der Verf. eine forg-
fältige Auswahl des zu behandelnden Stoffes angelegen
fein laffen, den er in klarer und anfprechender Darftellung
darbietet. Nach einander werden im wefentlichen unter
Fefthaltung der üblichen Periodifirung die alte Kirche
(§ 2—14), die mittelalterliche (§ 15—26), die neuere
(§ 27—50) zur Anfchauung gebracht, nachdem im § I
der Begriff der chriftlichen Kirche erörtert worden ift.
Die Ereignifse find, foviel wir fehen konnten, richtig
erzählt, einzelne hervorragende Perfönlichkeiten gut
charakterifirt, Lehren und Lehrmeinungen genau wiedergegeben
und fachlich beurtheilt. Dafs den Lehrftreitig-
keiten in der alten Kirche nicht zuviel Raum geftattet
worden ift, dafs ferner die Behandlung der mittelalterlichen
Kirche knapp gehalten, die der neueren ausführlicher
geftaltet ift, können wir nur lobend anerkennen.
Im einzelnen verdient aus dem erften Theile § 12
(Auguftin), aus dem zweiten § 22 (Irrlehren und Mifs-
bräuche in der mittelalterlichen Kirche), aus dem dritten
§ 46 (der deutfche Proteftantismus im 19. Jahrhundert)
noch befonders hervorgehoben zu werden.

Dürfen wir uns noch einige Bemerkungen erlauben,
fo ift S. 10 Z. 9 v. o. ftatt Xäog zu lesen Xaog. S. 20
wird von Antonius gefagt: ,In härenem Gewände, kümmerlich
von Datteln lebend, verbrachte er unter fchweren
inneren Kämpfen und dämonifchen Verfuchen gegen
70 Jahre in fchauerlicher Einfamkeit'. Ohne Zweifel
Druckfehler für Verfuchungen. S. 22 Z. 5 v. u. 1. Eutyches,
ein Archimandrit in Konftantinopel ftatt bei Konftanti-
nopel. S. 34 Z. 11 v. u. 1. Xanten ftatt Xanthen. Zu
§ 33, I ift zu fagen, dafs die Mennoniten nicht nur die
Kindertaufe, fondern auch den Eid verwerfen. S. 59
wird von Zwingli gemeldet: ,Da er gegen ein Bündnifs
mit Frankreich eiferte, mufste er fein Pfarramt (in Glarus)
aufgeben und wurde in Maria-Einfiedeln, dem berühmten
Wallfahrtsorte in Schwytz, Vicar.' Die Sache verhielt
fich nicht ganz fo. Wohl hat Zwingli, dem Haffe feiner
franzöfifch gefinnten Feinde weichend, ein von dem Ad-
miniftrator zu Einfiedeln ihm gemachtes Anerbieten
ergriffen, auf eine Zeit lang den vacant gewordenen
Polten des dortigen Leutpriefters zu übernehmen. Allein
die Mehrzahl der Gemeinde willigte in feinen Weggang
nur in dem Sinne ein, dafs derfelbe als ein proviforifcher
angefehen würde. ,So blieb Z. während feines ganzen
Aufenthalts in Einfiedeln noch Pfarrer zu Glarus . . und
bezog fogar das Pfarreinkommen noch fort, foweit es
nicht für den feine Stelle verwaltenden Vicar verwendet
wurde.' (Stähelin, Huldreich Zwingli I, S. 85). — In
Zürich wurde er nicht Leutprediger, fondern Leut-
priefter; auch verdummten dafelblt wohl die Orgeln,
aber u. W. nicht die Glocken. (S. 60.)

Krefeld. F. R. Fay.

Munzinger, Carl, Die Japaner. Wanderungen durch das
geiftige, fociale und religiöfe Leben des japanifchen
Volkes. Berlin 1898, A. Haack. (V, 417 S. 8.) M. 5.—

Carl Munzinger war von 1890—1895, wo er leider
wegen feiner fehr angegriffenen Gefundheit nach Deutfch-
land zurückkehren mufste, Miffionar des allg. ev.-prot.
Miffionsvereins in Japan und hatte als der erfte unter
feinen Mitarbeitern genügende Mufse zu gründlichem
Studium der japanifchen Sprache. Die erfte literarifche
Frucht desfelben war die in den Mitteilungen der deut-
fchen Gefellfchaft für Natur- und Völkerkunde Oftafiens',
Heft 53, 1894 erfchienene ,Pfychologie der japanifchen

Sprache'1). Schon hierin zeigte fich das feine pfycho-
logifche Verftändnifs, mit welchem er die Sprache ana-
lyfirte und aus ihr wichtige Folgerungen auf den Volkscharakter
zog. Diefelbe pfychologifche Analyfe hat M.
nun in dem vorliegenden Buch auf das gefammte japa-
nifche Geiftesleben angewendet und feine Reflexion in
fo gefchickter Weife mit Erzählung und Schilderung ver
flochten, dafs die Leetüre feines Buches fowohl hohen
Genufs als tiefgehende Belehrung bietet. Zur Orientirung
über den japanifchen Volkscharakter ift es unter allen
Japanwerken das vortrefflichfle und für Jeden, der fich
mit dem fernen Infelvolke befchäftigt, für den Miffionar
und Religionsforfcher, für den Philologen und Juriften,
für die Volkswirthfchaftler und Diplomaten geradezu unentbehrlich
.

M. hat fein Buch aus eigener Beobachtung und Erfahrung
gefchrieben und die einfehlägige Literatur nur
in mäfsigen Grenzen citirt. Ich möchte noch Hering's
inftruetive Auffätze in Z.M.R. nachtragen.2) Der Verf.
erwartet durchaus nicht unbedingte Zuftimmung zu feinen
Refultaten. Trotzdem kann ich, gerade weil ich die
japanifchen Verhältnifse genau kenne, in den überwiegend
meiden Fällen fie ausfprechen und werde bei Differenzpunkten
meine abweichende Meinung nur feiten notiren.
M. behandelt in 12 Capiteln: I. die äufsere Lebensführung
eines Miffionars in Japan, II. die Sprache, III. Geiftesleben
und Erziehungswefen, IV. Temperament und Gefühlsleben
, V. Familienleben und Sittenlehre, VI. Nationales
und politifches Leben, VII. Religiöfes Leben: Shintois-
mus, VIII. Buddhismus, IX. Entwickelung der evangelifch
chriftlichen Miflion, X. die Einzelbekehrung, XI. die Gemeinde
, ihre Qualität und ihr inneres Getriebe, XII. die
Volksbekehrung. Nur weniges, befonders Charakteriftifche
fei hier angeführt: Auf feiner Beobachtung beruht die
Schilderung der vulkanifchen Natur des japanifchen Temperamentes
, eines Productes des Bodens, auf dem es er-
wachfen. Daher erklären fleh die plötzlichen Eruptionen
der Volksleidenfchaft, die ohne warnende Vorzeichen in
der japanifchen Gefchichte erfolgt find — und noch erfolgen
werden. Mit ihnen, befonders mit dem glühenden
Hafs gegen Rufsland, der fich freilich jetzt forgfältig
verfteckt, wird unfere Politik rechnen müffen. — Das
Geiftesleben der Japaner ift, wie M. mit Recht bemerkt,
nicht original zu nennen, die Anftöfse zu feiner Weiterentwickelung
hat es faft ausfchliefslich von aufsen bekommen
, im 6. Jahrhundert von China und Korea durch
den Buddhismus und Confucianismus, im 16. Jahrhundert
von den Portugiefen und Holländern, vor 40 Jahren durch
die Invaflon der europäifchen und amerikanifchen Kultur.
In den beiden erften Fällen ift dem einmaligen rafchen
Fortfehritt ein jahrhundertelanger Stillftand gefolgt. Wird
fich diesmal Japan auf der erreichten Kulturftufe behaupten
, ja über fie hinausfehreiten? Eine Gewähr für
weiteren Fortfehritt fcheint darin zu liegen, dafs der Japaner
es von jeher verftanden hat, das Fremde fich völlig
zu affimiliren, es feiner Nationalität anzupaffen. Die nationale
Gefchloffenheit aber und die glühende Begierde
Japan zu einer der Weftttaaten ebenbürtigen Macht, ja
zur Vormacht Oftafiens zu machen, ift in feiner Gefchichte
noch nie fo gewaltig, wie gerade jetzt hervorgetreten-

Dies ift von höchfter Wichtigkeit zugleich für die
Zukunft der Religion, fpeciell der chriftlichen im Lande
der aufgehenden Sonne. Denn das Chriitenthum fcheint
bekanntlich vom japanifchen Nationalismus ernftlich bedroht
zu fein. Blicken wir zunächft auf die einheimi-
fchen Religionen. Den im Lande felbft erwachfenen
Shintoismus hat M. aufser in der zugänglichen Literatur

1) Bruchltücke daraus in der .Zeitfchrift für Miffionskunde und Re-
ligionswiffenfchaft' (Z.M.R.) IX, 139—44 205—8 X, 18—25. Recen»«"1
vom Referenten IX, 177—81.

2) IV, 1—9. 77—83: Urteile des modernen .gebildeten' Japan über
Religion und Moral und V, 15—27 101—in die Frauen Japans im
Spiegel der für fie beftimmten Literatur.