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Ausgabe:

1899 Nr. 10

Spalte:

312-314

Autor/Hrsg.:

Lazarus, Moritz

Titel/Untertitel:

Die Ethik des Judenthums, dargestellt 1899

Rezensent:

Schürer, Emil

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3ii

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 10.

312

vor ftellt der Herr Vf. die ,textes musulmans', in denen
wir beifpielsweife lefen: ,Unter den Händen deines
Scheikhs follft du fein, wie der Leichnam unter den
Händen des Totenwäfchers1. Doch aus was für Quellen
nimmt der Herr Vf. feine pextes musulntans'l Er führt
die Fahrasa des Scheikhs Snuffi an, ferner angebliche
Dictate des Scheikhs Mulei Ali el Djemal, des Gründers
der Derqa-u-a, und die Regel der Rahmanija (S. 70:
Raltnania ift offenbar verdruckt). Die beiden genannten
Orden, beziehungsweife Ordenszweige, gehören ins vorige
Jahrhundert, der Scheikh Snuffi gar ift erft in der zweiten
Hälfte diefes Jahrhunderts geftorben. Wohl darf man
dieZufammenhänge der verfchiedenen muhammedanifchen
Orden und die gefiiffentliche Berufung darauf fcitens
ihrer Stifter nicht aufser Acht laffen. Aber bei Infti-
tutionen, die in dem Mafse der Variation fähig find, wie
die religiöfen Orden des Islam, beweifen diefe fpäten
Quellen garnichts für den Stand der Dinge, wie ihn
Ignatius kennen gelernt haben könnte.

Einen feiten Anhaltspunkt zu der Annahme eventueller
Verbreitung in Spanien hat man bei dem vom
Herrn Vf. ebenfalls berückfichtigten alten Orden der
Kadelija, deffen Urheber, in Sevilla geboren, wenigftens
zeitweife fpäter in feinem Vaterlande gewirkt hat. Es
wäre nicht undenkbar, dafs fich aus fpanifchen oder ara-
bifchen Quellen der Beweis führen liefse, dafs diefer oder
ein anderer Derwifchorden bis an die Schwelle der neuen
Zeit in Spanien exiftirt hätte. Indes, wenn wir auch gern
zur Entlaflung des Herrn Vf.s die aufsergewöhnlich grofse
Schwierigkeit, aller etwa in Betracht kommenden Quellen
habhaft zu werden, hervorheben, das hätte der Herr Vf.
verrathen dürfen, ob er denn wenigftens einen Verfuch
gemacht hat, an eine urfprüngliche Kenntnifs des Derwifch-
wefens in den hier in Betracht kommenden Gebieten
heranzukommen.

Die ftarke Beeinfluffung der fpanifchen Kultur durch
die maurifche ift eine Thatfache. Damit ift die Möglichkeit
einer etwaigen vielleicht verlteckten Beeinfluffung
chriftlicher Inftitutionen durch etwa in Spanien vorhanden
gewefene Derwifchorden gegeben. Auch die Möglichkeit,
dafs unter den Morisken, d. h. den pro forma bekehrten
Mauren, fo lange die Inquifition fie ziemlich ungeftört
liefs, bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein fleh Refte
des Derwifchthums haben halten können, und es Ignatius
fo kennen gelernt haben kann, ift wohl nicht zu beftreiten.
Mit Nachdruck hat H. Müller auf diefe Möglichkeiten
und auf die thatfächlich im Derwifchthum zum Jefuiten-
orden fich findenden merkwürdigen Parallelen aufmerkfam
gemacht. Sein Beweis für Anleihen des Ignatius ift freilich
mifslungen. Derartige Parallelerfcheinungen in der
Religionsgefchichte mögen fich manchmal durch äufser-
liche Berührung erklären; häufiger vielleicht werden fie
ohne eine folche aus gleichen oder ähnlichen pfycho-
logifchen Vorausfetzungen hervorgegangen fein.

Es wäre übrigens nicht ohne Intereffe, zu erfahren,
wie der Herr Vf. zu feinen Beobachtungen gekommen
ift. Ob durch Andeutungen in der antijefuitifchen pole-
mifchen Literatur, auf die er felbft hinweift? Oder follte
er durch Gobineau's racentheoretifche Ausführungen angeregt
fein? Wenn der Herr Vf. mit feiner Entlehnungs-
hypothefe Recht hätte, dann möchte man an das Wort
jenes fich erinnern: ,l'Asie est un mets tres-seduisant, mais
qui empoisonne ceux, qiti le mangenf.

Rummelsburg b. Berlin. F. Hubert.

Gerhardi, D. Joannis, Homiliae XXXVI seu meditationes
breves diebus dominicis atque festis aecomodatae. E ma-

nuscriptis Gerhardinis ab illustrissima bibliotheca
Gothana asservatis primum edidit Georg Berbig.
(Studien zur Gefchichte und Theologie der Kirche,

hrsg. von N. Bonwetfch u. R. Seeberg. III. Bd. Heft 5.)
Leipzig, Dieterich, 1898. (VIII, 43 S. gr. 8.) M. 1.—

Die bisher noch nicht veröffentlichten Homiliae
Gerhardi werden bereits von Erdm. Rud. Fifcher in
| feiner Vita Joannis Gerhardi (Lipsiae 1722) erwähnt. Sie
finden fich auf der herzoglichen Bibliothek zu Gotha
unter Lit. Chart. B. No. 894. Nach des Herausgebers
Meinung ift es wahrfcheinlich, dafs Gerhard die Homilien
im Jahre 1603 verfafst hat, als er von dem Studium der
Medizin zum Studium der Theologie fich wandte.

Den Namen Homiliae führen die Blätter mit Un-
1 recht; es find mit Ausnahme der fünf erften Stücke, die
I Gebete an Jefus Chriftus (das vierte: an Gott) enthalten,
1 kurze Meditationen über die evangelifchen Perikopen;
i doch liegt der Meditation zu Dom. III p. Tr. (p. 2) nicht
Lc. 151—10, fondern Lc. 1511 f., und der zu Dom. V
p. Epiph. (p. 42) nicht Mt. 1321—30, fondern die Verklärung
Chrifti zu gründe. Nur fehr feiten wird die ganze
Perikope der Betrachtung unterzogen; meiftens ift es ein
I Wort, ein einzelner Ausdruck, der dem Verfaffer Veran-
laffung giebt, in engem Anfchlufs an die Sprachweife
Auguftin's in Antithefen und Allitterationen feine Gedanken
auszufpinnen. Auch darin folgt er Auguftin, dafs
er vor abenteuerlichen Allegorien mitunter nicht zurück-
fchreckt, wenn fich nur gute, vor allem ,geiftliche', Gedanken
dadurch gewinnen laffen; fo in den Meditationen
zu Dom. XIII, XV, XVII p. Trin., I. Adventus, Festo
I Epiphanias. Nur feiten ftöfst man auf fo nüchterne Beobachtungen
, wie zu Dom. XXI p. Trin. (p. 25): Jn
lectione hac fidei gradus et incrementa proponunturK — Die
! Meditationen beginnen mit Dom. I p. Trin. und fchliefsen
mit Dom. V p. Epiph.; doch find die beiden letzten
Trinitatis-Sonntage nicht berückfichtigt. — An Druckfehlern
find aufgefallen: p. 35 v. u. tu ftatt tuo 1311
occulis ftatt oculis; 1310 v. u. origio ftatt origo; 3010 v. u
occurite ftatt occurrite.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Lazarus, Prof.Dr. M., Die Ethik des Judenthums, dargeftellt.
Frankfurt a. M., J. Kauffmann in Komm., 1898. (XV,
469 S. gr. 8.) M. 3.—; auf Luxuspapier M. 6.—

Der als Völkerpfychologe bekannte Verfaffer giebt
uns hier eine Darfteilung der jüdifchen Ethik, welche von
der Vorausfetzung ausgeht, dafs ,in der ethifchen Schö-
pfungsthätigkeit des jüdifchen Geiftes' eine Continuität
herrfche, die durch alle Zeiten hindurchgeht (S. 8). ,Üie
Bedeutung des Individuums und feiner zeitlichen Be-

] ftimmtheit verfchwindet vor der treibenden Macht der
dem Gefammtgeift angehörigen Ideen und den Gefetzen
ihrer inneren Entwickelung' (ebendaf.). Eben dies er*

I möglicht es ,ein vollftändiges und in fich gefchloffenes

I Syftem der Sittenlehre des Judenthums zu entwerfen'.
,Die wefentliche Aufgabe einer Darftellung der Ethik des
Judenthums befteht deshalb darin, den inneren Zufammen-
hang aller zerftreuten fittlichen Gedanken erkennen zu
laffen, alfo das objective und immanente Syftem in der
mannigfaltigen ethifchen Schöpfungsthätigkeit nachzu-
weifen. Die grofse Maffe der zerftreuten und vereinzelten
ethifchen Gedanken foll durch die fubjective Arbeit des

1 fyftembildenden Denkers zu einer harmonifchen Einheit
geftaltet werden' (S. 9). Dabei ,darf man weder den Grund-
rifs noch den Aufbau der jüdifchen Ethik fremden Muftern
nachbilden'. ,Maimonides trägt im Grunde genommen
die Ethik des Ariftoteles vor und Faffel die von W. y
Krug' (S. 11). Von einer folchen Anlehnung an fremde
Mufter will der Verf. fich frei halten. ,Es dürfen in einer
Ethik des Juden thums durchaus nur Gedanken vorgetragen

1 werden, die wirklich aus jüdifchem Geifte geboren, ah0
aus lebendigen Thatfachen gefchöpft oder in überlieferten
Ausfprüchen niedergelegt find' (S. 12). Dafs der Ver ■