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Ausgabe:

1899 Nr. 10

Spalte:

308-310

Autor/Hrsg.:

Treu, M.

Titel/Untertitel:

Der Philosoph Joseph 1899

Rezensent:

Dräseke, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 10.

308

(S. 135—162) mit umfaffender Verwerthung der gefammten
jetzt zugänglichen Ueberlieferung, befonders des Cod.
Patin. 213 sae'C. XI (Q) hergeftellt. Auf die zahlreichen,
höchft mühevoll ermittelten Einzelheiten, z. B. die Sinnes-
paufen (S. 88/89, io3/io4)i ^ie Entwürfe der rythmifchen
Gliederung (S. 96. 105—m), wie fie befonders im 1. Ab-
fchnitt — und in ähnlicher Weife auch in den drei anderen
— behandelt werden, kann hier nicht näher eingegangen
werden. — 2. ,Der Hirmus To (poßtgöv öov'
(S. 96—105) wird von Kr. auf Grund der beiden von ihm
veröffentlichten Lieder ,Der jüngfte Tag' (S. 163—183)
und ,Mariä Lichtmefs' (S. 184—201) behandelt, der 3. Ab-
fchnitt bringt ,Die kleineren Hinnen' (S. 105—m), der
4. Bemerkungen ,Zum Hirmus Tgslq oxavgovq' (S. in —113).

Die nach Titel und Umfang bereits genannten (II.)
Texte find von Kr. in muflerhafter Weife herausgegeben,
der gegenüber fich vor der Hand durchaus akademifche
Befcheidenheit geziemt. Erft genauere Bekanntfchaft mit i
der Ueberlieferung, der Sprache und den metrifchen Be- j
fonderheiten des Romanos wird Philologen und Theologen
auf diefem Gebiete zur Mitarbeit befähigen. Von
der handfchriftlichen Grundlage, die Kr. zu Gebote ftand,
wird fpäter beim Erfcheinen feiner Ausgabe des Romanos
vielleicht beffer die Rede fein als jetzt; es feien von jener
nur die beiden Patmifchen Handfchriften 212 saec. XI
(P) u. 213 saec. XI (Q) hervorgehoben, die Kr. als Hauptgrundlage
feiner Texte bezeichnet.

Der (III.) Commentar zeigt überall eine gleichartige
Gliederung. Voran fleht eine Schilderung des Inhalts
der Dichtung, dann folgt die ftoffliche Grundlage, die
Ueberlieferung und endlich die Einzelbehandlung der
fprachlichen und fachlichen Theile der Ueberlieferung
in allen Verfen, die dazu Anlafs bieten, mit befonderer
Berückfichtigung vor allen Pitra's. Nur wenige Bemerkungen
mögen hier noch eine Stelle finden, um uns den
Inhalt und den dichterifchen Gehalt der hier zum erften
Male allgemeiner zugänglich gemachten Lieder des Romanos
, die Kr.'s Lobfprüche vollauf rechtfertigen, in
etwas näher zu bringen.

Im 1. Liede ,Petri Verleugnung' geftaltet Romanos
den kurzen evangelifchen Bericht des Matthäus durch
gefchickte Gliederung der Erzählung, durch anfprechende
Ausmalung einiger Einzelheiten, durch die überaus wirkungsvolle
Wiederholung der SchaltverfeJSüreüöon, Om0ov,
ccyie, xrjp jtoiuv/jv Oov und befonders durch die Einfügung
lebhafter Wechfelreden zu einem kleinen Drama der
menfchlichen Ueberhebung und Schwäche, das durch des
Herrn Verzeihung einen verföhnenden Abfchlufs findet.
Auch claffifche Anklänge, wie fie im Chor der alten
Tragödie fich verkörpern, fehlen nicht. Die Sänger des
Liedes vertreten den Chor, indem fie wiederholt (Str. 14,
16, 17) dem Petrus richtend gegenübertreten und ihm in
einer für unfer Gefühl faft zu kühnen und anmafslichen
Weife Vorwürfe machen. — 2. Die fchöne und rührende
Gefchichte von Jofeph in Aegypten hat Romanos in 3
Liedern behandelt, von denen Kr. das umfangreichfte,
das dritte mitgetheilt hat. Hier fällt das Hauptgewicht
auf die Darfteilung der Jugend Jofephs und die Gefchichte
von der Verführung durch die Frau des Potiphar, den
Schlufs bildet die Erwähnung der Einkerkerung Jofephs
und ein kurzer Hinweis auf feinen endlichen Triumph.
Hier hat Romanos den dankbarflen Theil des Stoffes in
den Vordergrund geneilt, und es ift ihm fehr gut gelungen
, durch wirkfame Heraushebung des Spannenden,
durch Einfchaltung lebendiger Zwiegefpräche und Monologe
(ein Meifterftuck Jofephs Monolog in Str. 27—28)
und durch finnlich kräftige Ausführung mancher Einzelheiten
, wie der Reife des alten Jakob nach Aegypten in
Str. 38, eine echt dramatifche Wirkung zu erzielen. —
3. ,Der jüngfte Tag' ift eine feierlich ernfte Dichtung.
,Die Art, wie der Dichter den grofsartigen Vorwurf behandelt
hat, ift bezeichnend für feine volksthümliche
Auffaffung und feine lehrhafte Geiftesrichtung. Im Anfang
des Gedichtes widmet er der allgemeinen Betrachtung
des jüngften Gerichtes nur eine Strophe. Schon
mit der zweiten Strophe beginnt die erzählende Dar-
ftellung. Nach einem einleitenden Bericht über die
Menfchwerdung, die Himmelfahrt und die zweite Er-
fcheinung des Herrn geht der Dichter zum Hauptthema
über, der Schilderung des Antichrift, die von Strophe
6—19 reicht' (S. 241). Mit den Strophen 20—24 wendet
er fich zum Ausgangspunkte zurück in einer grofsartigen,
tief ergreifenden Ausführung, die, wie mir fcheint, mit
den erfchütternden Strophen des Dies irae wohl verglichen
werden darf. Am Schlufs bittet der Dichter Gott
für feine Perfon um Nachficht und um die Gnade, dafs
es ihm vergönnt fein möge, das, wozu er andere ermahnt,
auch felbft zu beachten und zu befolgen. — 4. ,Zum
Liede Mariä Lichtmefs' ftellt Kr. über die Urfprünglich-
keit der Proömien Erwägungen an, deren hier nicht weiter
näher zu beleuchtendes philologifches Ergebnifs Zuftim-
mung finden dürfte. — Den Schlufs des Buches bildet
ein Regifter zu Capitel I—III (S. 266—268) und eine für
S. 184 fr. u. S. 203 zu beachtende Lichtdrucktafel, eine
Nachbildung von Cod. Vindob. suppl. gr. 96, fol. 60—6ir
in natürlicher Gröfse.

Aufserordentlich viel Neues und Wichtiges ift aus
diefer jüngften Veröffentlichung Krumbacher's zu lernen.
Möge fie recht viele aufmerkfame und dankbare Lefer
finden.

Wandsbeck. Johannes Dräfeke.

Treu, M., Der Philosoph Joseph. (Byzantinifche Zeitfchrift,
VIII, S. 1—64.)

In diefer durch überaus anziehende und werthvolle
erftmalige Textesveröffentlichungen verfchiedener Schrift-
fteller begründeten Unterfuchung Treu's handelt es fich
um einen höchft eigenartigen Mann, der durch fein um-
faffendes Wiffen, feine bewundernswerthen Grundfätze,
j den tiefen, eindrucksvollen Ernft feiner Perfönlichkeit,
; kurz durch fein ganzes Leben und Wirken in der byzan-
tinifchen Welt des 14. Jahrhunderts hohes Anfehen und
begeifterte Verehrung genofs, von dem bisher aber äufserft
wenig bekannt war. Es ift der Philofoph Jofeph, deffen
Tod den am 24. Mai 1328 geftürzten Grofslogotheten
Theodoros Metochites in eben diefen Tagen der Trauer
tief erfchütterte. Metochites gab feinem Schmerze und
feiner Verehrung für den Mann beredten Ausdruck in
einer uns in dem leider lückenhaften, vortrefflichen Cod.
Vindob. Phil. Gr. IV, 95 erhaltenen Schrift, die, ohne
Zweifel in dem von dem Verf. reich ausgeftatteten Klofter
Chora in Konftantinopel, vielleicht noch unter feiner
eigenen Aufficht, gefchrieben, jetzt von Treu a. a. O.
S. 2—31 mit der Auffchrift Ilgoq xiva <pilov im rß
xilevxfi xov <piXooo(pcoxaxov oöicoxaxov vtov 'icoörjip in
fauberer Faffung vorgelegt wird. Treu giebt a. a. O-
S. 3132 den grofsartigen Eindruck wieder, den Metochites
' Schrift von Jofeph hervorruft, aber nicht in der
Abficht, die in keiner Weife leicht verftändliche, aber
durch Natürlichkeit und Wahrheit des Gefühls ausgezeichnete
Schrift näher zu befprechen. Er will vielmehr
das Gedächtnifs des von Metochites fo bewunderten
Mannes wieder wachrufen, indem er nach kurzer Feft-
ftellung feiner äufseren Lebensverhältniffe aus der anderen
Ueberlieferung den Stoff zufammenftellt, welcher
das von Metochites gezeichnete Bild zu vervollftändigen
und fomit die hohe Bedeutung Jofephs für feine Zeit zu
beftätigen geeignet ift. Die Nachrichten über Jofephs
äufseres Leben find ungemein dürftig. Nach Treu (a. a. O-
S. 33) ift er um 1280 geboren, flammte von den ionifche0
Infein aus vornehmer, echt griechifcher Familie, verlieh5
um 1300 feine Heimath, lebte als Mönch an verfchie-
denen einfamen Stellen und wurde durch feinen Wiffens'
dürft gegen 1311 nach Konftantinopel geführt. Hif'
bald bekannt und gefucht, wurde er viermal (d. h. wohl