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Ausgabe:

1899 Nr. 9

Spalte:

280-281

Autor/Hrsg.:

Thomas, Carl

Titel/Untertitel:

Handbuch der Geschichte des Alten und Neuen Bundes. I. Geschichte des Alten Bundes 1899

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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279 Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 9. 280

Der Titel ,Das ideale Leben' giebt das Thema der
erften Anfprache an, in welcher auf Grund von Apoftel-
geschichte 13, 22 ,der Mann nach dem Herzen Gottes'
gefchildert wird. Die folgenden Anfprachen behandeln
verfchiedenartige Themata, die nurzumTheil miteinander
in Zufammenhang flehen; doch ift die Färbung und Tendenz
vorwiegend eine ethifche. Die eigenthümliche
Begabung des Vcrfaffers, religiöle und fittliche Wahrheiten
lebendig zu veranschaulichen und in konkreter
Weife anzuwenden, verleugnet fich natürlich auch hier
nicht. Doch fcheinen mir die vorliegenden Reden den
früher veröffentlichten an Werth und Eindrucksfähigkeit
nachzuflehen. Ich will aber, ftatt mich in allgemeinen
Urtheilen zu ergehen, lieber zwei diefer Reden ihrem Inhalte
nach kurz ikizziren. Sie haben beide denfelben Text,
Pf. 103, 3 und 4: ,Der dir alle deine Sünde vergiebt und
heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben
erlöfet'. In diefen drei Sätzen findet der Ver-
faffer ,die drei Hauptthatfachen der Sünde' und ,die
drei grofsen Heilsthatfachen', und das find zugleich die
Themata der beiden Reden. Das eine Mal legt er in
den genannten drei Sätzen den Ton auf die Hauptwörter
, das andere Mal auf die Zeitwörter, und fo fpricht
er in der erften Rede über die Schuld, die Befleckung
und die Macht der Sünde, und in der zweiten darüber,
dafs Gott dem unter dem Banne der Sünde Liegenden
helfend fich zuwendet, dafs er vergiebt, heilt und erlöft.
Viel Vortreffliches findet fich nun da im Einzelnen;
befonders wahr und ergreifend wird die ,Befleckung'
der Sünde gefchildert, worunter ihre böfen Nachwirkungen
in der eigenen Seele und im Leben anderer
verftanden werden, die auch dadurch, dafs man fich bekehrt,
nicht mehr zurückzunehmen und gänzlich auszurotten
find. Doch ift die exegetifche Grundlage des Ganzen
fehr anfechtbar. Schwerlich redet der Pfalmift von der
,Befleckung der Sünde', wenn er fagt: ,und heilet alle
deine Gebrechen', und Schwerlich denkt er an die Er- 1
löfung von der Macht der Sünde, an die Erhebung der
Seele zu innerer Freiheit, wenn er fagt: ,Der dein Leben j
vom Verderben erlöfet'. In der zweiten Rede wird die
Verföhnung oder Vergebung der Schuld auf den Tod,
die Erlöfung oder Befreiung von der Macht der Sünde
auf das Leben Chrifti zurückgeführt. ,Chrifti Tod ift die
eherne Schlange, Chrifti Leben ift das Manna, das Brot j
des Lebens'. Oder mit einem anderen Bilde: Ein Müller
öffnet die Schleufe, um das Wafferrad in Gang zu setzen; 1
aber es bewegt fich nicht. Da dreht er's ein oder zwei
Mal mit ftarkem Arm: nun kommt's den ganzen Tag
nicht mehr ins Stocken. ,Chrifti Blut ift der flarke Arm
Gottes, der bei deiner Bekehrung das Räderwerk eines
chriftlichen Lebens bei dir in Gang bringt'. Aber ,an
fich allein genügt es nicht, das Waffer des Lebens mufs
forthin in unaufhörlichem Strom heute und alle Tage
dein Räderwerk treiben'. Angeführt wird dazu noch
Rom. s, t0: ,Denn fo wir Gott verföhnet find durch
den Tod feines Sohnes, da wir noch feinde waren, vielmehr
werden wir feiig werden durch fein Leben, fo wir
nun verföhnet find'. Aber wenn wir nun fragen, inwiefern
wir denn durch das Leben Chrifti erlöft werden,
empfangen wir eine etwas dürftige Antwort: ,Wie durch
Athemholen geht das Chriftusleben in uns ein. Ein zu
Gott auffteigendes Gebet am Morgen, und er geleitet
uns durch den Tag; ein Abendfegen und er befchirmt
uns in der Nacht. So wird unfer Leben vom Verderben
erlöfet. Soviel Gebetskraft, foviel Lebenskraft'. Das ift
doch eine etwas ungenügende Schilderung der erlöfenden
Kraft des Lebens Chrifti. Noch ungenügender ift
die Ausführung über die Worte: er heilet alle deine
Gebrechen. Drummond hat in der erften Rede die
/Befleckung' der Sünde eigentlich als unheilbar dargeftellt,
er hat gezeigt, dafs es Folgen der Sünde giebt, die
fchlechterdings nicht mehr aufgehoben werden können.
Da wird es ihm natürlich nun fchwer, in der zweiten

Rede eine Heilung nachzuweifen. Er hilft fich denn auch
damit, foweit es die eigene Seele angeht, an die Stelle
der Heilung die Vergebung zu fetzen. ,Er tilgt deine
Sünden aus feinem und deinem Gedächtnifs'. Sofern es
fich aber um die verderblichen Einwirkungen auf andere
handelt, giebt er den Rath, fie möglichft wieder gut zu
machen. ,Und wenn wir uns fagen müffen, dafs wir
leider fo wenig gut machen können, .... wollen wir
J diefen entfetzlichen Gedanken nicht dazu dienen laffen,
I dem fchlechten Einflufs unferer Vergangenheit einen
! guten entgegenzufetzen ?' Das ift doch wahrlich keine
Veranfchaulichung einer ,Heilsthatfache'. Das weckt
doch nicht den Eindruck, dafs Gott alle Gebrechen heilt.
Wenn man folche Probleme nicht beffer löfen kann,
thut man wohl, fie gar nicht aufzuftellen. Ucberhaupt
zeigt Drummond manchmal fehr deutlich Schwierigkeiten
, aus denen er dann doch nicht herausführt. So
wirft er z. B. die Frage auf: Wie erkennt man den Willen
Gottes, und zwar in Bezug auf feine befondere Lebensführung
und die Wege, die man einfchlagen foll. Er
giebt aber im Grunde keine andere Antwort als die:
Sei willig ihn zu thun und du wirft ihn erfahren. Das
ift ein recht guter Grundfatz, aber ich fürchte, er wird
gerade in den fchwierigften Fällen als Wegweifer doch
oft verfagen. — Doch fo unbefriedigt auch manche Ausführungen
find, foviel halbwahre und fragliche Behauptungen
fich finden, foviel wahre und treffliche Gedanken
find auch eingeftreut, und es fpricht aus allem ein kräftig
entwickeltes perfönliches Leben, das die Wahrheit des
Chriftenthums in eigenthümlicher Weife fich angeeignet
hat.

Augsburg. J. Hans.

Thomas, Seminarlehr. Lic. theol. Dr. C., Handbuch der
Geschichte des Alten und Neuen Bundes. I. Gefchichte
des Alten Bundes. Ein Handbuch zum gefchichtlichen
Verfländnifs des Alten Teftaments. Befonders für
Lehrer. Magdeburg, S. Bühling, 1897. (XII, 819 S.
gr. 8.) M. 9.—

Die Abficht des Herrn Verfaffers ift, die Gefchichte
des Alten Bundes fo zu erzählen, wie fie fich auf Grund
der Ergebnifse der altteftamentlichen Forfchung in neuerer
Zeit darfteilt; er will dadurch die Erträge der Wiffen-
fchaft befonders den Lehrern, dann auch allen Gebildeten,
zugänglich machen. Es ift unferes Wiffens der erfte Vernich
, die Lehrerkreife an der emfigen Arbeit der Forfchung
theilnehmen zu laffen und die Kluft ausfüllen zu
helfen, welche die traditionelle Anfchauung von dem
heutigen Stand der hiftorifch-kritifchen Forfchung trennt.
Doch nicht nur als erfter Vernich ift das Werk zu begrüfsen;
der Verfuch ift gelungen, und ein Werk ift entftanden,
das dem Herrn Verfafler alle Fhre macht und trotz
allem ungewohnten Licht, das es über die Gefchichte
des Alten Bundes ausgiefst, in nicht geringem Grade geeignet
ift, das gefchichtliche wie das religiöfe Intereffe
auch derer anzuregen und zu befriedigen, welche mit
den Ergebnifsen der heutigen Kritik nicht einverftanden
find. Auch wenn der Herr Verfaffer die 38 Forfcher-
namen, auf deren Arbeiten er fich ftützt, nicht ausdrücklich
(S. 10) angegeben hätte, würde man doch überall
die Belefenheit und die forgfältige Benutzung der Literatur
anzuerkennen Veranlaffung haben. Auf gleicher
Höhe fleht die liebende Hingebung des Verfaffers an
feinen Gegenftand; er fchreibt keinen Satz, ohne mit peinlicher
Genauigkeit das gefchichtliche, geographifche,
archäologifche und literarifche Material bis ins kleinfte
Detail fich klar gemacht zu haben. Mit Befonnenhett
und in immerhin vorfichtiger Haltung geht er ans Werk,
ohne jedoch der unbefangenen und entfchiedenen Anerkennung
des von ihm als richtig Erkannten etwas zu
vergeben.