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Ausgabe:

1899 Nr. 9

Spalte:

276-278

Autor/Hrsg.:

Müller, Josef

Titel/Untertitel:

System der Philosophie 1899

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 9.

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Provinz Pofen —, wurden hier der Stamm der erften
evangelifchen Gemeinden und ein Hauptftützpunkt der
Reformation. Die damals begründeten Gemeinden haben
die Erinnerung an ihre Entftehung bewahrt. Bis heute
nennen fie fich Unitätsgemeinden und flehen in einem
gewiffen Zufammenhang. Es find die Petri-Gemeinde in
Pofen, die Johannis-Gemeinde in Liffa und die Gemeinde
Lafswitz, wozu noch die beiden fpäter entftandenen Gemeinden
Orzeszkowo und Wafchke kommen. Die Flüchtlinge
, die zur Pofener Gemeinde den Grund legten, trafen
am 25. Juni 1548 an ihrem Zufluchtsorte ein. Das 350-
jährige Gedächtnifs diefes Tages ift die Veranlaffung
vorliegender Schrift, die den heutigen Pfarrer der Petri-
Gemeinde in Pofen und I. Senior der Unitätsgemeinden
zum Verfaffer hat.

Indem fie die Entftehung der Unität in Böhmen, ihre
theilweife Verpflanzung nach Polen und ihr dortiges
Verhältnifs zum Lutherthum fchildert, beanfprucht fie
nicht, etwas Neues zu bringen. Sie will vielmehr nur in
mehr populärer Darfteilung ,die Bedeutung und das
Wefen der Unität weiteren Kreifen bekannt machen'.
Dennoch hat fie neben den Werken von A. Gindely
(Gefchichte der böhmifchen Brüder. 2 Bde. Prag 1857 f.)
und E. W. Croeger (Gefchichte der alten Brüderkirche.
Gnadau 1865), die auch den hier gebotenen Stoff behandeln
, theils durch ihre Mittheilungen aus der neueren
Zeit, namentlich aber durch ihre Beilagen, die faft den
dritten Theil des Buches ausmachen, auch einen felb-
ftändigen Werth.

Schon die aus alten feltenen Druckwerken (Regen-
volscius, Systema lüstorico-clironologiaun eccl. Slavoni-
carutn 1652; Jo. Arnos Comenius, hist. fratrum Bolicmo-
rum, neue Ausgabe von Budde 1702; Jablonski, Historia
Consensus Sendomiriensis 1731 u. a.) mitgetheilten Ab-
fchnitte find dankenswerth. Doch hat dem Herrn Verfaffer
auch ungedrucktes Material — namentlich aus der
Raczynskifchen Bibliothek und dem Kgl. Staatsarchiv in
Pofen — zur Verfügung geftanden, aus dem er einzelnes
veröffentlicht. So finden wir bei ihm ein Urtheil, das
Paulus Speratus als Bifchof von Pomefanien 1549 über
die Rechtgläubigkeit der böhmifchen Brüder gefällt hat,
ferner Urtheile von Calvin und Bullinger über ihre Con-
feffion von 1557, einen Bericht über eine Gefandtfchaft
der polnifchen Unität an die Wittenberger Facultät und
deren günftige Antwort von 1568 u. a. Auch ,die Gebete
der vereinigten Katholiken, Reformirten und böhmifchen
Brüder einerfeits und der Lutheraner anderer-
feits auf dem Religionsgefpräch zu Thorn' (abgedruckt
S. 119 ff.) und das ,Pro Memoria der bedrängten Evangelifchen
in Polen 1723' (S. 122 ff.) fcheinen aus hand-
fchriftlichen Quellen zu flammen.

Dafs Borgius der successio continua der Unitäts-
Bifchöfe ein befonderes Capitel widmet, ift bei der Wichtigkeit
, die man diefer Frage in der Unität beilegt, ganz
begreiflich. Nur hätte man das Capitel, zumal es auch
dogmatifche Auseinanderfetzungen den hiftorifchen Mittheilungen
einflicht, lieber mehr anhangsweife ans Ende
gerückt gefehen. An der Stelle, wo es fleht, ftört es den
gefchichtlichen Zufammenhang.

In einem befonderen Nachtrag zu diefem Capitel
fetzt Borgius fich mit J. Müller (Bifchofthum der Brüder-
unität. Herrnhut 1889) auseinander. Im Gegenfatz gegen
die trationelle Auffaflung, wie fie zuletzt bei Schweinitz
{The history of the Church known as the Unitas Fratrum
1885) fich findet, behauptet diefer (vgl. auch feinen Artikel
,Böhmifche Brüder' in der Real-Encyklopädie 3. Aufl.
III 452), es fei nicht nachzuweifen, dafs die erfte Bifchofs-
weihe in der Unität auf römifchen Urfprung fich zurückführen
laffe. Borgius fucht die Tradition zu ftützen. Bei
den widerfprechenden Quellenberichten hält es fchwer,
fich zu entfcheiden.

Ein äufserft Hörender Druckfehler, der nothwendig
vor der Benutzung des Buches verbeffert werden mufs,

ift es, dafs der am Schlufs von Cap. IV S. 18 Z. 13 v. u.
gedruckte Abfchnitt: ,Waren für die Brüder der Unität
u. f. w.' an das Ende von Cap. III gehört.

Die evangelifche Kirche Pofens ift ein dem Gegner
abgerungenes Gebiet. Deshalb follen wir fie doppelt
werth halten und allen danken, die an ihrem Werden
mitgearbeitet haben. Dafs folcher Dank vor allem auch
den muthigen Pioniren von der Brüder-Unität gebührt,
kann Borgius' Buch uns zeigen.

Efchershaufen (Brfchw.) Ferdinand Cohrs.

Müller, Dr. Josef, System der Philosophie. Enthaltend:
Erkenntnistheorie, Logik und Metaphysik. Psychologie
. Moral- und Religionsphilosophie. Mainz, F. Kirchheim
, 1898. (VII, 372 S. gr. 8.) M. 5.—

Ein Buch aus der Feder Dr. Jofef Müller's hat An-
fpruch auf das befondere Intereffe evangelifcher Theologen
. Steht er doch unter den Gefinnungsgenoffen und
Mitkämpfern Schelfs, der den ,Katholicismus als Princip
des Fortfehritts' aus jefuitifchen Banden löfen will, in
vorderfter Linie und hat in einer eigenen Schrift: ,Der
Reformkatholicismus die Religion der Zukunft' der Bewegung
den Namen gegeben, wie er auch fchon früher
I in der Frage: /Erlaubt die Kirche die eidliche Ableugnung
einer wiffentlichen Thatfache?' die ,katholifche
Kirche gegen Jefuiten und Ehrendomherrn' vertheidigte.

Der Schwerpunkt feiner fchriftftellerifchen Thätigkeit
liegt übrigens auf dem Gebiete der Philofophie, und das
vorliegende Werk bietet die reife Frucht langjähriger
philofophifcher Studien. Es berührt allerdings wie ein
; feltfamer Anachronismus, wenn man auf der Hinterfeite
des Titelblattes lieft: Imprimi permittitur. Dr.Joli. Mich.
Raich, Cons. eccl. et Can. capit. eccl. cathedr. {Moguntiae,
die 20. Martii 1898.) Ein bifchöflich approbirtes Syftem
der Philofophie fcheint faft eine contradictio in adjecto
zu fein. Doch mufs zugegeben werden, dafs fich diefe
j Schranke freier Forfchung nicht aufdringlich bemerkbar
macht, dafs der Verf. die Gefchichte der Philofophie bis
j zur neueften Zeit genau kennt und dafs fein Syftem auf
felbftändigem Durchdenken der Probleme beruht.

Der gefammte Stoff gliedert fich in vier Abfchnitte,
von denen der erfte Erkenntnifstheorie, Logik und
Metaphyfik, der zweite die Pfychologie, der dritte die
Moralphilofophie und der vierte die Religionsphilofophie
enthält. Den weitaus gröfsten Raum nimmt die von dem
Verf. mit befonderer Vorliebe, aber für ein ,Syftem der
Philofophie' doch gar zu eingehend (vgl. z. B. die Be-
fprechung der Nachbilder und Farbencontrafte S. 151fr.
oder die — übrigens wohlgelungene — Befchreibung der
verfchiedenen Raumtheorien S. 154fr.) behandelte Pfychologie
ein. Dagegen fehlt die Aefthetik, die der Verf. doch
offenbar zur Philofophie rechnet. Allerdings hat er diefes
Gebiet in einem befonderen Werk (,Eine Philofophie des
Schönen in Natur und Kunft' Mainz 1897) behandelt, in
welchem der Verf. — nach der auf dem Umfchlag wieder-
j gegebenen bezeichnenden Empfehlung der Germania, die
ich nicht umhin kann anzuführen — ,zum erften Mal
vom katholifchen Standpunkt aus eine durchaus modern
gedachte und dem modernen Geifte zufagende Aefthetik
I gefchaffen' hat. Eine ,katholifche Aefthetik' pafst aller-
! dings kaum in ein Syftem der Philofophie.

Der erfte Abfchnitt des Buches nimmt in gründlicher
Auseinanderfetzung mit Descartes feinen Ausgangspunkt
I im .denkenden Ich', wobei das Ich der angeblichen Verflüchtigung
der Seele in blofse Thätigkeit gegenüber als
| ,geiftige Subftanz' gefafst wird. Für den weiteren Schritt
j zur Anerkennung einer vom Subject unabhängigen Aufscn-
welt beruft fich der Verf. hauptfächlich auf das un-
j mittelbare naive Empfinden, das laut und zwingend dafür
I fpreche. Der Idealismus, der folgerichtig nicht blofs die
j Exiftenz einer Körperwelt, fondern auch diejenige anderer