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Ausgabe:

1899 Nr. 9

Spalte:

260-261

Autor/Hrsg.:

Beck, J. T.

Titel/Untertitel:

Erklärung der Propheten Micha und Joel 1899

Rezensent:

Löhr, Max

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259

Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 9.

260

zeugnis an der Stirn: „Und der Herr fprach zu Mofe".
In den Empfang der Worte ift auch ihre Niederfchrift
als natürliche Folge eingefchloffen'. Das Dt. ift durch
Selbftzeugnifs ebenfalls von Mofis Hand. ,Ift aber Exod. —
Dt. Mofis Werk, dann natürlich auch die Genefis.' Hiernach
heifst es S. 92 : .Somit find wir aus wiffenfchaftlich
gültigen Gründen genöthigt, Mofe, und nur ihn, als Verf,
des ganzen Pentateuch zu bezeichnen, bis auf das Schlufs-
kapitel, das Jofua hinzufügte'. —

Erwähnenswerth ift wohl auch folgender Satz aus
§ 14: Quellen im Pentateuch: S. 91: ,Dafs übrigens die
Urgefchichte von Gen. 1—11 bei ihrer knappen Form
mit aller Leichtigkeit blos mündlich fich intact hätte
fortpflanzen können, das erhellt fchon aus der Thatfache,
dafs Adam felbft noch feine Erlebnifse und Gottes Belehrungen
(Gen. 1—4) an ihn dem Vater Noahs erzählen
konnte, Sem aber mit Abraham noch 150 Jahre nach
biblifcher Chronologie zufammenlebte'.

Das Buch ift gefchrieben, wie der Verf. S. XVI mit
Stolz fagt, ,um zu überzeugen'; die .Steinwurfsargumente
der Radicalen' find ihm fremd. Man vergleiche hierzu
S. 257: Von den Argumenten Kuenen's, Cornill's u. a.
für die fpäte Abfaffungszeit des Joel heifst es kurz und
bündig: ,ihre Gründe find völlig nichtsfagend'. — Ferner
S. 261: Betreffs der Ausfcheidung judaiftifcher Interpolationen
wie 2, 4f. oder meffianifcher Zufätze, wie 9, 8ff.
im Arnos heifst es knapp und eindrucksvoll: .Alles wert-
lofe Einfälle'. — Endlich S. 307 wird in Betreff der Rache-
Pfalmen ,unferer weichlichen Theologie, die es für chrift-
liche Liebe hält, Arm in Arm mit vergeblich vermahnten
offenen Irrlehrern und Verfälfchern göttlichen Wortes,
Arianern, ja Ebioniten zu marfchiren', überhaupt jedes
Recht, ja jede Befähigung' abgefprochen, über ,die Rache-
Pfalmen Davids, des auserwählten Knechtes Jehovas, ein
der Beachtung würdiges ethifches Urtheil zu fällen'.

Ueber den Autor der Klagelieder heifst es: ,Die
fpätere Tradition nennt Jeremia (LXX und Talmud). Es
befteht kein Grund, fie abzuweifen'. Hat der Verf. feine
Ausführungen über die wiffenfchaftlich gültige Tradition
völlig vergeffen?

Zum Schlufs fei hier erwähnt, wie der Verf. umftänd-
lich das Wunder von dem Aufenthalt des Jonas im Fifch-
bauch behandelt, als fei es das Wefentlichfte an dem
ganzen Buche. Es heifst S. 265: ,Dafs ein Menfch in
einem grofsen Fifchbauch längere Zeit lebend bleiben
kann, befonders, wenn Gott ihm einen tiefen Schlaf, einen
Starrkrampf (— Jonas dichtet ja einen Pfalm! —) oder
dergleichen zu fenden, für gut findet, das unterliegt fchon
nach dem grofsen Cuvier keinem Zweifel. Dafs ein Hai (!)
fchon öfter Menfchen Verfehlungen hat, und wieder
lebendig von fleh gab, ift Thatfache; dafs ein Menfch
3 Tage in eines Wallfifches (!) Bauch, in den er durch
den fich erweiternden engen Schlund hinabfank, erhalten
blieb, und am 3. Tag herausgefchnitten wurde, ift wieder
Thatfache aus 1892'.

Die Kritik fchiefst naturgemäfs bisweilen über das
Ziel hinaus. Doch corrigirt fie fich immer wieder felbft.
Die von Harnack begonnene rückläufige Bewegung auf
dem Boden der n. tftl. Forfchung, auf welche der Verf.
wiederholt anfpielt, ift ja der befte Beweis dafür. Fühlt
fich nun Jemand berufen, der Kritik gegenüber als Cato
Censorius aufzutreten, fo wird er jedem unbefangenen
Forfcher willkommen fein, fofern er Argumente bringt,
nicht Vorwürfe; ftichhaltige Argumente, nicht folche,
wie er fie felbft an der Kritik tadelt. So lange das nicht
gefchieht, find Arbeiten, wie die vorliegende, nur eine
bedauerliche Vergeudung von Zeit und Geld.

Breslau. Max Lohr.

Beck, Prof. D. J. T., Erklärung der Propheten Micha und
Joel, nebft einer Einleitung in die Prophetie. Herausgegeben
von Jul. Lindenmeyer. Gütersloh, C. Bertelmann
, 1898. (VII, 246 S. gr. 8.) M. 3.60; geb. M. 4.50

Mit diefem neuen Beitrag zur Beck'fchen Schrifterklärung
, dem in befonderem Bande Nahum und
Zephanja folgen werden, ift, wie im Vorworte p. III
bemerkt wird, die Veröffentlichung des literarifchen Nach-
lafses Beck's in der Hauptfache abgefchloffen.

Von diefer Veröffentlichung gilt, was der Herausgeber
p. VI des Vorwortes mit Recht angefichts früherer Angriffe
von Recenfenten betont: ,Wer ein folches Buch
zur Hand nimmt, will eben Beck lefen und nicht einen
Andern'. — Das Buch will in erfter Linie daraufhin
angefehen fein, inwieweit es unfere Kenntnifs Beck's und
feiner Theologie bereichert; erft ein Weiteres ift es, ob
I diefes Buch auch im Einzelnen beachtenswerthe Beiträge
zur Löfung der uns heute befchäftigenden Fragen und
Probleme enthält.

Unverkennbar fleht Beck vor uns in der Behandlung
z. B. von Mich. 4, 2: Der Zion, eine Quelle göttlicher
Gefetzgebung, Belehrung und moralifcher Erneuerung.
Daran fchliefst fich an Luc. 2, 30—33, 24, 47. Das ift
Erfüllung. Aufser diefer geiftlichen Erfüllung, wie sie
durch die erfte Evangelifirung unter den Völkern vor
fich geht, fordern andere Ausleger auch eine leibliche,
und fie haben Recht. Die vollendende Erfüllung beginnt
mit der Aufrichtung des meffianifchen (1000jährigen)
Friedensreiches (Act. 3, 21, Apok. 20), fie bleibt aber
dabei nicht flehen. Schon im allgemeinen dringt nach
biblifchem Begriff das Geiftliche immer hinaus ins Leibliche
, und die Erfüllungskraft des Chriftenthums befteht
eben darin, dafs, was es im Geifte anfängt, auch leiblich
vollendet wird. Jerufalem, in feinem ehemaligen, theo-
kratifchen Typus, war eben nur Vorbild eines künftigen
Jerufalems, welches eben daher das neue Jerufalem heifst,
und letzteres ift das in's Geiftig-Leibliche verklärte Jerufalem
. Apok. 21, if., 5, iof. Mit der Welterneuerung
fteigt aus dem Himmel ein Neu-Jerufalem, die Central-
ftadt des göttlichen Reiches auf Erden, im Gegenfatz
zu dem alten Jerufalem, das Centralftadt des antichrift-
lichen Reiches geworden war. Hebr. 12,22, Gal. 4, 24fr.
Die geweisfagte Höhe des Tempelberges ift alfo keine
blofs moralifche. Oder Joel 3, 3: Die Geiftes-Ausgiefsung
tritt v. 3 f. als welterfchütternde Epoche auf, vgl.
Hebr. 12, 26. Wie fie Rettung herbeiführt denen, die den
Herren anrufen, und die berufen werden nach v. 5 (vgl.
Akt. 2, 21), fo ein durchgreifendes Völkergericht 4, iff.
Die anfehaulichfte Darfteilung und Auslegung unferes
Verfes giebt die Offenbarung Johannis. Sie enthüllt das
ganze Gemälde von göttlichen Zeichen und von Welterfchütterungen
, die im Geleite der neuen Offenbarung
über Himmel und Erde fich erftrecken. So entfpringt
in der Schrift oft aus einem Vers ein ganzes Buch, fo
der Römerbrief aus Habak. 2, 4.

Zu den Wunderzeichen in v. 4 bemerkt B.: Es ift
nicht Aberglaube, fondern nur centrale Einficht in das
Weltfyftem, wenn folche Erfcheinungen als Zeichen eines
kommenden göttlichen Weltgerichtes, d. h. Weltauf löfungs-
proceffes angefehen werden.

Wie künftlich die Exegefe um des Syftems willen
zuweilen ift, zeigt Joel 2, 4. Hier beftreitet B., was gar
nicht beftritten werden kann, dafs die Vergleiche die
Meinung, es fei an ein wirkliches Heer gedacht, verbieten,
und fagt: Die unmittelbare Schilderung eines feindlichen
Heeres will der Prophet zwar nicht geben, fondern nur
die Darftellung des feindlichen Heeres verweben mit der
fchon gegebenen Darfteilung der Heufchrecken. Der
Heufchreckenzug ift die Folie eines neuen, daran ficU
anfchliefsenden Strafgerichts. Es bildet fich eine Allegorie
, wo fich Vergleichung und eigentliche Darfteilung
durchdringen.