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Ausgabe:

1899

Spalte:

250-251

Autor/Hrsg.:

Opitz, H.G.

Titel/Untertitel:

Grundriss einer Seinswissenschaft 1899

Rezensent:

Ritschl, Otto

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gewifs richtig. Er betagt nichts anderes, als dafs Gott
jn feinem ganzen Wefen fittlich ift, demgemäfs nur einen
fittlichen Endzweck in der Welt und mit den Menfchen
verfolgen kann und auch gegenüber der Sünde der Men-
Ichen diefen feinen fittlichen Zweck ficher aufrecht erhalten
und zur Geltung bringen wird. Aus diefem Gedanken
wird mit Recht der Grundfatz abgeleitet, dafs Gott nicht
■ohne Weiteres' Sünde vergeben kann, nämlich nicht ohne
dafs der Sünder principiell fich von der Sünde abwendet
und die fittliche Weltordnung Gottes in feinen Willen
aufnimmt. Wer vertritt denn aber auch den ,Abälard-
Ichen Typus' der Verföhnungslehre in dem frivolen Sinne,
dafs er meint, Chriftus habe eine folche Gnade und Liebe
Lottes offenbart, gemäfs welcher auch der unbufsfertige
Runder fich der Sündenvergebung Gottes getröften könne?
f^ur das ift die Frage, ob neben dem bufsfertigen Glauben,
in welchem die fittliche Weltordnung Gottes beim Sünder
zur Anerkennung kommen mufs, auch noch Straferduldung
als indispenfable Bedingung der Sündenvergebung Gottes

Opitz, H. G., Grundriss einer Seinswissenschaft. 1. Band.
Erscheinungslehre. i.Abtheilg.Erkenntnislehre.Leipzig,
H. Haacke, 1898. (XXVII, 319 S. gr. 8.) M. 7.—
Die Philofophie ift Grundwiffenfchaft für alle anderen
Wiffenfchaften. Denn fie ift dieWiffenfchaft von der inneren
Erfcheinung unferes Ich. Da aber diefe ,kraft ihrer alles
umfaffenden Allgemeinheit nichts anderes ift als die
Wiffenfchaft von unferm Sein fchlechthin', fo nennt fie
der Verf. ,Seinswiffenfchaft'. Obgleich er felbft den
Fremdwörtern in der wiffenfchaftlichen Sprache fehr
energifch den Krieg erklärt und fich ihrer bis zu einem
gewiffen Grade felbft enthalten hat, fo ftöfst ihn bei dem
Wort Philofophie doch weniger deffen Herkunft aus einer
fremden Sprache, als feine ,Allgemeinheit und Inhalt-
lofigkeit'. Daher alfo rührt die Umnennung, die auch in
dem Titel des vorliegenden Buches zum Ausdruck gekommen
ift.

Den Darlegungen felbft ift ein Vorwort vorausge-

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als indispenfable Bedingung der bundenvergeDung uouw Pd"cäu '^" «» ■ -" t^u

d"rch diefe fittliche Weltordnung Gottes gefordert ift. fchickt, das nach feinem Umfang und feinem Inhalt

Und zwar handelt es fich hier nicht um die Strafe, fofern beffer Einleitung überfchrieben worden wäre. Der Verf

»e zui^rwtckung oder Vertiefung der Bufse oder zur bekämpft darin den Kant'fchen Apnonsmus. die auf

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bekämpft darin den Kant'fchen Apriorismus, die auf
Kant'fchen Ideen fufsende ,Identitätsphilofophie', an der

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"«md ,„„ Einem für Andere oder für Alle erfahren danke_ felbft zuwider au/ein fcheint, ferner vJeH«-bart-

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fche Anwendung der Mathematik auf die Philofophie;
dann lobt er zwar nicht die Grundlage, wohl aber die
Methode in Schopenhauer's Syftem, beurtheilt Fechner,
Lotze und namentlich Wundt als folche, die in ihrer
Aufraffung der Philofophie bereits über Kant hinausgekommen
feien, vermifst aber auch bei ihnen noch eine
confcquente Ueberwindung des Kantfchen Apriorismus.
Diefe Aufgabe ergreift er felbft nicht ohne Selbftbewufst-
fein, damit ,für die Erkenntnislehre die Bahn wieder frei
und es ermöglicht wird, die ihrem Gebiete angehörigen
Fragen einer ihrem Wefen angemeffenen I.öfung zugängig
zu machen'.

Die Seinswiffenfchaft hat nun das innere Ich 1) nach
feiner Erfcheinung, 2) nach feinem Wefen darzuftellen.

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We<"den. Sondern es handelt fich um die Strafe als folche,
als gebührende Sündenfolge, die um der Ordnung willen
eintreten mufs, aber auch ftellvertretend erfahren werden
*ann. Woher weifs K., dafs die Strafe diefer Art in der
fittlichen Weltordnung Gottes indispenfabel ift? Er kann
das nur behaupten, weil es eben zur Begründung feiner
Yerföhnungstheorie nothwendig ift. Aber unfer Gewiffen,
nicht zwar das heidnifche und jüdifche, wohl aber das
ehriflliche Gewiffen, welches durch die Predigt Jefu Mt.
54*ff. 1821fr. Lc. 1511fr. gebildet ift, weifs etwas anderes
von der fittlichen Weltordnung Gottes.

Auch der Gedanke, dafs es eine Gefammthaftbarkeit
'Ur die Gefammtfchuld der Menfchheit giebt, hat ohne

Zweifel fein Recht. Es giebt einen verkehrten Individua- 1 feiner Erfcheinung, 2) nach feinem Wefen darzuftellen.
'isinus bei der Beurtheilung der menfehlichen Sünde. | Unter jenem Gefichtspunkt zerfällt fie in Erkenntnislehre
t^Der in dem Falle Chrifti handelt es fich darum, dafs : und in Lehre vom Gemüth. Die Wefenslehre dagegen
jffi" die Gefammtfchuld der Menfchheit fich mitverhaftet hat es mit dem ,Verhältnis der inneren Erfcheinung
-hle-n und ftellvertretend die Strafe auf fich nehmen foll 1 unferes Ich zur äufseren Erfcheinung desfelben' und mit
c'er Einzige, der nach feinem eigenen Bewufstfein und j ftem ,Verhältnifs unferes Ich zum All der Dinge' zu thun.
"ach Gottes Urtheil thatfächlich nicht betheiligt ift an Der vorliegende Halbband umfafst nur erft die Erfchei-
a,efer Gefammtfchuld. Sonft ift doch diefes thatfächliche, ! nungslehre. Für die darin enthaltenen Darlegungen ift
Wenngleich vielleicht ganz indirecte, Mitbetheiligtfein des ; Von fundamentaler Bedeutung der Unterfchied, den der
ft'nen an der Sünde der Anderen die felbftverftändliche Verf. zwifchen den Begriffen Verftand und Vernunft auf-
v.°rausfetzung dafür, dafs er mit verantwortlich gemacht ftellt. Auch die Thiere nämlich haben Denken und
Vjard fur die Schuld und fich mitverhaftet fühlt für fie. ; Wollen, das indeffen in ihren Erhaltungs- und Fort-
Wenigftens gilt diefe Vorausfetzung für unfere fittliche | pflanzungstrieb eingefchloffen ift. Darüber hinaus aber
^curtheilung, die wir eventuell in Gegenfatz dazu ftellen, kommen fie nirgends. Dazu tritt nun bei dem Menfchen

aaE das formale Recht oder die Unbilligkeit und Härte ~r,~—---u j:_ tt_„:u„:t Wr-ii««,*

d?r Menfchen oder der Naturprocefs auch denjenigen
dle Sündenfolgen aufladen kann, die thatfächlich nicht
*Jt eigener Schuld an der Sünde betheiligt waren. Wie
Jjann man mit Bezug auf Chriftus diefen wichtigen Ge-

»chtspunkt der fittlichen Beurtheilung aufser Geltung Feld für die Bethätigung diefes Triebes, d. h. die Mögetzen
? Alle die Speculationen, mit denen K. einleuchtend , lichkeit für die Seele, noch mehr zu erkennen und mehr
jü. machen fucht, dafs Chriftus aus Liebe bei feinem zu wollen, als zur Befriedigung des Erhaltungs- und Fort-
Leiden das Schuldbewufstfein der Gefammtheit auf fich pflanzungstriebes erforderlich ift'. So kommt zu diefen
f 'jhmen konnte, bleiben dem einfachen fittlichen Urtheil , Trieben beim Menfchen noch ,der Forfchertrieb, deffen
chlechterdings unverftändlich. Feld nicht mehr das engbegrenzte des thierifchen Ge-

,. Gewifs wird K.'s Werk dankbarft begrufst von allen, fichtskreifes, fondern die ganze Welt der Dinge ift'. Das
i1^ des Rechtes der überlieferten kirchlichen Verföhnungs- Ergebnifs diefer Erörterungen enthält folgender Satz:

v;fire gewifs find. K. zeigt ihnen in feiner, geiftvoller JJnter „Vernunft" haben wir die Erfcheinung der Seele

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obendrein noch die Freiheit des Wollens und Erkennens.
Diefe ift bei ihm ,einerfeits der Trieb, von feiner Fähigkeit
zum Erkennen und Wollen, die über den Erhaltungsund
Fortpflanzungstrieb weit hinausgeht, unbefchränkt
Gebrauch zu machen und andererfeits ein erweitertes

gcwns imu. rv. icigi- iuus" e>---- -

weife, wie man diefe Lehre entwickeln und begründen,
*le man insbefondere den Schriftbeweis für fie geftalten
muls. Ift es K. aber auch gelungen, die gegnerifche
*7°fition wefentlich zu erfchuttern? Mir fcheint, dafs K.
H,e Stärke diefer Pofition, ihre biblifche und ihre ethifche

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in der Form der Freiheit, unter „Verftand" die Erfcheinung
der Seele in der Form der Gebundenheit [an den
Erhaltungs- nnd Fortpflanzungstrieb] zu verftehen'.

Gegen diefe doch wohl höchftens auf den erften
Blick beftechende Auffaffung des Unterfchieds zwifchen

v - vJLdl KC GieiCr rUllUvU, IHIC UlUlULUi: UllVi Uli v viu..— - iu.iiv.rv uvilCIvUCUUC iTUliainiiig v.v..j V.111V1IVIIIVUH iuiiviivii

*,undirung, erheblich unterfchätzt. Thier und Menfch, Verftand und Vernunft ift zunächft

Jena. ' H. H. Wendt. I einzuwenden, dafs der von dem Verf. fog. ,Forfchertrieb',