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Ausgabe:

1899 Nr. 8

Spalte:

243-249

Autor/Hrsg.:

Kähler, Martin

Titel/Untertitel:

Zur Lehre von der Versöhnung 1899

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 8.

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Gottes ihren Zweck an der Bewirkung des Heils hatte
(p. 21); ebenfo ift die innere Anerkennung des Guten
und das zunächft ohnmächtige Streben nach feiner Verwirklichung
, wie es in den terrores conscientiae fich bezeugt
, nicht nur Vorausfetzung des Glaubens (35 ff.) —
wenigftens für Luther nicht — fondern felbft fchon eine
Form des Glaubens. Diefe Fehler find Folgen der angewendeten
Methode. Während die Ausfagen der Kon-
kordienformel frifchweg als gleichartig mit denen der
Apologie behandelt werden, als ob nicht eine erhebliche
theologifche Entwickelung zwifchen beiden Schriften läge,
werden fonftige Ausführungen Luther's und Melanchthon's
zur Beleuchtung nur fehr fparfam herangezogen. Damit
hängt wieder zufammen, dafs die grofse Schwierigkeit
der Probleme erheblich unterfchätzt ift. So ift die Frage
nach dem Verhältnifs der chriftlichen Freiheit zu Gottes
Gebot durch die Bemerkungen auf p. 19—22 nicht erledigt
, weil fich eben fragt, ob auch für den Gläubigen
als folchen Gottes Wille Gebot bleibt. Die gelegentlich
ausgefprochene Erkenntnifs, dafs die Ifolirung des rechtfertigenden
Glaubens von den Werken eine blofse Ab-
ftraction fei (,diefer von eignem Thun abftrahirende Wille'
p. 32) übt keinen Einflufs auf den Gang der Unterfuchung,
fondern die Ifolirung des Heilsglaubens von aller fitt-
lichen Thätigkeit behält das letzte Wort, während doch
Luther deutlich genug den Glauben, der die Sündenvergebung
ergreift, als hö'chfte Bewährung des in allem
Handeln wie in allem Leiden fich auswirkenden allgemeinen
Gottvertrauens denkt (vgl. befonders Sermon
von guten Werken zum 5. bis 8.). Demgemäfs weifs Ver-
faffer, trotzdem er fcharf die fittliche Art des Glaubens
betont, doch mit dem in der Apologie wie bei Luther
vorliegenden, wenn auch nicht eben häufigen Gedanken
einer Rückwirkung der fittlichen Thätigkeit auf den
Glauben (p. 23) nichts anzufangen (43. 49 u. ö.), und das
ift um fo merkwürdiger, als er richtig erkennt, dafs zur
Seligkeit des (urfprünglichen) Menfchenwefens die freie,
ununterbrochene Ausübung des Guten gehört (21) und
darauf weift, dafs Chriftus im Thun des göttlichen Willens
feine Speife d. h. doch feine innere Befriedigung
fand (50).

Kiel. Titius.

Kahler, Prof. D. Martin, Dogmatische Zeitfragen. Alte und
neue Ausführungen zur Wiffenfchaft der chriftlichen
Lehre. 1. Hft. Leipzig, A. Deichert Nachf., 1898. (XII,
276 S. gr. 8.) M. 5.—

Kahler, Prof. D. Martin, Zur Lehre von der Versöhnung.
(Dogmatifche Zeitfragen. 2. Heft.) Leipzig, A. Deichert
Nachf., 1898. (VI, 482 S. gr. 8.) M. 8.50

Im erften Hefte diefes Werkes ift eine Reihe früher
fchon veröffentlichter Vorträge des Verf.'s wieder abgedruckt
. Nur das einleitende Stück, ,Chriftenthum und
Syftematik', Eröffnungsrede zu den Vorlefungen über
Dogmatik und Ethik, fcheint hier zum erften Male veröffentlicht
zu fein. Wenigftens ift bei ihm allein im In-
haltsverzeichnifs keine Jahreszahl früherer Publication
angegeben. ,Dogmatifche Zeitfragen' titulirt der Verf.
diefe Vorträge, weil er durch befondere Anläffe zur Auswahl
der einzelnen Themata gekommen war und diefe
dann mit abfichtlicher Beziehung auf die Bewegungen und
Bedürfnifse der Gegenwart befprochen hat. Er will diefe
Zeitfragen aus dem Dogma, oder wie er es im Vorworte
genauer formulirt: aus dem biblifch berichtigten und ver-
ftändigten Dogma heraus beantworten. Der Nebentitel
des Buches zeigt an, dafs der Verf. in diefen Vorträgen
Ausführungen von Gedanken feines grofsen fyftematifchen
Werkes ,die Wiffenfchaft der chriftlichen Lehre' fieht.
Er möchte, dafs die breiteren Darlegung en und Begründungen
in diefen Vorträgen zur Verftändlichmachung der
knappen, oft fchwierigen Formulirungen jenes fyftematifchen
Werkes dienten. In der That wird man durch
fie vortrefflich in die theologifche Gedankenwelt des Verf.'s,
in feine dogmatifche Methode, in die Art feiner biblifch -
theologifchen Beweisführung eingeführt.

Ich befchränke mich auf ein kurzes Verzeichnen der
Hauptpunkte, um die es fich in diefen älteren Vorträgen
handelt. Im erften Vortrage: ,Chriftenthum und Syftematik
' wird die Nothwendigkeit für den Theologen dargelegt
, einebeftimmteUeberzeugung in Betreff des Ganzen
der chriftlichen Anfchauungen zu erwerben. Im zweiten:
,Der Menfchheit Fortfehritt und des Menfchen Ewigkeit'
wird ausgeführt, dafs fich für die Menfchheit aus der
menfehlichen Natur und den Beziehungen zur Welt heraus
kein echter fittlicher Fortfehritt ergiebt und ergeben hat,
dafs aber das Chriftenthum den Menfchen über feine
Natürlichkeit hinaushebt, den Einzelnen und der Menfchheit
im Ganzen Kräfte der fittlichen Erneuerung und
Entwickelung zuführt und für diefe in der Zeit liegende
Entwickelung das in der Ewigkeit liegende Vollendungsziel
zeigt. Der dritte: .Unbewufstes und bewufstes
Chriftenthum', einft im Jahre 1867 gegen Rothe gerichtet,
führt aus, dafs unbewufstes Chriftenthum noch kein rechtes
Chriftenthum ift, dafs es zwar ein Sehnen nach dem
Chriftenthum giebt, das fich diefes Zieles noch nicht be-
wufst ift, dafs es aber kein echtes Chriftenthum giebt,
ohne dafs fich folches unbewufstes Sehnen gewandelt
hätte in ein Wiffen um Chriftum als den Lebendigen.
Der vierte Vortrag: ,Die moderne Theologie und die
Stellung der Kirche zu ihr auf Kanzel und Katheder'
ftellt einer folchen ,modernen' Theologie, welche nur die
vorausfetzungslofe Wiffenfchaft, d. h. eine moniftifche
Weltanfchauung, als Erkenntnifsprincip gelten laffen will,
gegenüber das Bedürfnifs der Kirche nach einer Theologie
, die fich auf der Bafis der in dem gefchichtlichen
Chriftus gegebenen Gottesoffenbarung hält. Der fünfte:
,Warum ift es in der Gegenwart fo fchwer, zu einem feften
Glauben zu kommen?' findet die Urfachen des gegenwärtigen
Erfchwertfeins des Glaubens darin, dafs das
Chriftenthum nicht mehr Sache einer allgemein anerkannten
öffentlichen Meinung ift und dafs in der Kirche
nicht mehr eine fefte Ueberlieferung über die Unfehlbarkeit
des Schriftbuchftabens herrfcht. Aber im Grunde
werde doch bei diefer Sachlage der rechte fefte Glaube
an Chriftum als den Heilsmittler infofern gefördert, als
falfche Hülfen des Glaubens, die nur zu unficherem Glauben
führen, wegfallen. Im fechften: ,Das fchriftgemäfse Be-
kenntnifs zum Geifte Chrifti' wird die dem Geifte Gottes
und dem Geifte Chrifti in der Bibel zugewiefene Bedeutung
dargelegt, mit dem Refultate, dafs nach biblifcher An-
fchauung der Geift Chrifti es ift, durch den fich Chrifti
ftetige Fortwirkung auf die Menfchen vollzieht. In dem
Bekenntnifs zur Perfönlichkeit des Geiftes Gottes fei nicht
ausgedrückt, dafs Gottes Geift Gott gegenüber Perfon
ift, fondern dafs er uns gegenüber Perfon ift, indem Gott
in feinem Geifte uns perfönlich mit feinem felbftändigen
Wollen und mit feiner erbarmenden Liebe begegnet. Der
folgende Vortrag: ,Berechtigung und Zuverfichtlichkeit
des Bittgebets' legt auf Grund der hl. Schrift das chrift-
liche Recht des Bittgebets als des unwillkürlichften Ausdrucks
des Glaubens an den lebendigen Gott dar, erörtert
die Einwendungen gegen die Erhörung der menfehlichen
Bittgebete, weift aber auch auf die nothwendigen inneren
Bedingungen hin, die bei dem rechten chriftlichen Beter
vorhanden fein müffen. Im vorletzten Vortrage: ,Die
richtige Beurtheilung der apoftolifchen Gemeinden nach
dem NT.'giebt der Vf. eine Charakteriftik der apoftolifchen
Gemeinden, der Lebendigkeit und zugleich der Schwierigkeiten
ihres Glaubenslebens, als Mafsftab für die heutigen
Miflionsgemeinden. Im letzten endlich wird ,Die Bedeutung
, welche den „letzten Dingen" für Theologie und
Kirche zukommt', fo erörtert, dafs der unlösliche Zu-
fammenhang der chriftlichen Eschatologie mit dem Ganzen
der chriftlichen Dogmatik und Plthik erhellt.