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Ausgabe:

1899 Nr. 8

Spalte:

235-237

Titel/Untertitel:

Scriptores sacri et profani 1899

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 8.

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die bisherige Theologie, welcher erft durch Schlatter das
rechte Licht aufgefteckt wird. ,So weit verzweigt die
Diskuffion über den Presbyter Johannes geworden ift: es
gilt immer als felbftverftändlich, dafs man fich um Johannes
von Jerufalem nicht zu kümmern habe, weil fich Papias
umdiefen feinen älteren Zeitgenoffen unmöglich gekümmert
haben könne' (S. 40). 5. Juda Cyriakus. So betitelt Schi,
den 'lovöaq, welchen Eufebius als den letzten in feinerLifte
nennt; denn er ift identifch mit dem Judas, welcher in der
Kreuzauffindungs-Legende eine Rolle fpielt (Martyrolo-
gium des Hieronymus zum 4. Mai: in Hierosolymis natalis
s. Judae sive Quiriaci episcopi). Diefer Juda führt in den
Acten ein feltfames Doppelleben, das ohne jeden Ausgleich
bleibt. Er wird einerfeits korrekt in die dritte
chriftliche Generation verfetzt. Seine Genealogie lautet:
Zachäus, Simon, Juda, wobei fein Grofsvater die älteften
chriftlichen Dinge, den Tod des Stephanus, die Verfolgung
des Saulus, miterlebt hat. Andererfeits ift er der
Zeitgenoffe der Helene' (S. 61). Aber ,der Parallelbericht
des Sozomenus macht alles durchfichtig: Juda Cyriakus
wurde zum Entdecker des Kreuzes durch das, was in
feinem Buche ftand. Darum lebt er gleichzeitig unter
Hadrian und unter Konftantin, weifs, wo Golgatha ift,
und weifs es wiederum nicht' (S. 61). Es ift alfo anzunehmen
, dafs Juda, der letzte in der eufebianifchen
Bifchofslifte, ein Buch hinterlaffen hat, in welchem auch
von Golgatha die Rede war. ,Auch diefer Presbyter
Jerufalems hat fomit den Gang der Kirche lange beein-
flufst. Noch im vierten Jahrhundert ftand fein Buch in
den jüdifch-chriftlichen Gemeinden des Oftens in Ehren,
und es hat in einem kritifchen Moment die Haltung der
gefamten Kirche mitbedingt' (S. 66).

Die beiden letzten Abfchnitte in Schlatter's Arbeit
behandeln ,Arifton von Pella' (S. 68—78) und den
,Kanon der jüdifchen Kirche' (S. 78—87). Arifton ift
zwar kein directer Zeuge für die Kirche von Jerufalem.
Aber ,ein jüdifcher (d. h. judenchriftlicher) Lehrer Pella's
hat enge Beziehungen zur Kirche Jerufalems' (S. 68).
Aus der Unterfuchung über ihn ergiebt fich u. A., dafs
auch die Angaben über die LXX bei Juftin Tryph. 68.
71, Irenaeus III, 21 {al. III, 24), Clemens Alex. Strom. I,
22 aus Arifton gefchöpft find.

Der nüchterne Beurtheiler wird in den mehr als gewagten
Combinationen Schlatter's kaum irgendwo eine
Bereicherung unferer hiftorifchenEinficht erblicken können.
Ihm felbft ift aber diefe Methode fo zur anderen Natur
geworden, dafs keine Kritik ihn davon abbringen wird.
So wollen wir uns denn darein ergeben, auch künftig
von feiner dichterifchen Mufe Gaben zu empfangen,
die er für gefchichtliche Darftellungen hält und mit
prophetifcher Sicherheit als folche verkündigt.

Göttingen. E. Schürer.

Scriptores sacri et profani auspiciis et munificentia sere-
nissimorum nutritorum AlmaeMatris Jenensis ediderunt
seminarü philologorum Jenensis magiftri et qui olim
sodales fuere. Fasciculus II. Lipsiae, in aedibus B. G.
Teubneri, 1898. (8.)

II. Patrum Nicaenorum nomina latine, graece, coptice, syriace,
arabice, armeniace, sociata opera ediderunt Henricus Geizer, Hen-
ricus Hilgenfeld, Otto Cuntz. Adiecta est tabula geographica.
(LXXIII, 266 S.) M. 6.—

Es mufs Jedem einleuchten, welch' ein Gewinn es
für die kirchenhiftorifche Forfchung wäre, wenn wir die
Acten des 1. ökumenifchen Concils noch befäfsen, ins-
befondere alle Unterfchriften der belchliefsenden Bifchöfe
und damit ein feftes Fundament für die kirchliche Geographie
der conftantinifchen Epoche. In dem vorliegenden
Buche wird der fehr dankenswerthe Verfuch gemacht
, diefen Verluft, foweit die vorhandenen Quellen
es menfchlicher Kraft ermöglichen, zu erfetzen. Ver-

zeichnifse der nicänifchen Väter find nämlich in reicher
Zahl vorhanden, in 6 Sprachen, die meiften find auch
fchon, freilich zum Theil wenig zuverläffig, veröffentlicht
worden; aber zu einer kritifchen Verarbeitung diefer
Materialien auf Grund methodifcher Vergleichung aller
nachweisbaren Texte hatte fich Niemand entfchloffen.
H. Geizer hat mit Hülfe von Heinrich Hilgenfeld (Jena)
und Otto Cuntz (Strafsburg) eine Mufterausgabe fämmt-
licher bekannten Indices der Väter von Nicaea veran-
ftaltet und alles Mögliche gethan, um diefe Texte auch
direct nutzbar zu machen.

Die Arbeitstheilung ift folgende. Die lateinifchen
Texte hat Cuntz übernommen, der darüber auch in Cap. 1
der Einleitung (S. VII—XVII) referirt. Unter den lateinifchen
Zeugen ftellt er 4 Familien feft, von denen die
erften und die letzten beiden wieder näher zufammen-
gehören; die Texte werden uns S. 2—57 in 4 Columnen
auf je zwei gegenüberliegenden Seiten zu bequemer
Ueberficht geboten. Griechifch liegen 2 Verzeichnifse
vor, eins nach Provinzen eingetheilt, aus Theodorus lector,
und eins ohne folche Ordnung, aus einem jungen cod.
Vaticanus. Die Edition hat hier Geizer beforgt (S. 61—75,
vgl. XVIII—XXI; S. XX vermuthet er, dafs der Verf.
des vaticanifchen Index eine fyrifche oder arabifche Vorlage
überfetzt habe. Ebenfo hat Geizer — hier von
G. Steindorff unterftützt — die koptifche Verfion (S. 78
—93, vgl. XXIf.) bearbeitet, endlich auch die armenifche
(S. 184—215, vgl. XXXI—XXXVII), die er mit einleuchtenden
Gründen auf einen griechifchen Urfprung (nicht
einen fyrifchen, noch weniger einen lateinifchen) zurückführt
. Der Reft kommt auf H. Hilgenfeld. Es find das
ein Araber (S. 144—181) — wohl der unzuverläffigfte
von allen Zeugen, gerade weil er allein die erwünfchte
Zahl von 318 Namen zu Stande bringt, — und 2 Syrer,
ein Regifter aus einem nitrifchen Klofter (S. 96—117)
und ein von dem Neftorianer Ebedjefu um 1300 überliefertes
(S. 118—141), beide aus griechifcher Vorlage übertragen
f. S. XXII—XXXI, und den Nachtrag S. LXXI.

Die zweite Hälfte der Vorrede verdanken wir Geizer;
da behandelt er in cap. VII das Verhältnifs der einzelnen
Verfionen zu einander, cap. VIII die Zahl der Synodalen
von Nicaea, cap.IX die Quelle der uns überlieferten Namen.
In cap. X fucht er die Reihenfolge im Archetyp unferer
Indices, in cap. XI diefen felbft wiederherzuftellen, worauf
er cap. XII noch die Namen befpricht, die einzelne Indices
aus anderen Quellen zu dem Archetyp hinzugefügt haben
oder die uns aufserdem Kirchenhiftoriker und Menologien
liefern.

Die Ergebnifse langwieriger Arbeit find hier auf
engem Räume zufammengedrängt. Bei der Vertheilung
der — mindeftens 9 — Index-Familien in 2 grofse Claffen
ftellt fich die intereffante Thatfache heraus, dafs der
Marcellus von Ancyra in der 2. Gaffe durch einen fic-
tiven Pancharius von Ancyra erfetzt worden ift, natürlich
weil man den inzwifchen für ketzerifch erklärten
Marcell nicht unter den Säulen der Orthodoxie haben
wollte; in 2 Zweigen der Tradition haben fich Marcell
und Pancharius zufammen behauptet! Die Zahl 318 für die
Nicäner hält G., wie mir fcheint mit Recht, für erkünftelt;
in den Brief des Athanafius ad Afros ift fie, wie bei
Theodoret in des Athanafius Brief anjovian, erft hinein
interpolirt worden. Der Archetyp all' unferer Indices
geht günftigftenfalls auf das Synodicon des Athanafius
zurück, alfo eine um faft 40 Jahr jüngere Quelle als die
Acten vonNicaeafelber. Eine ein feit ige Bevorzugung einer
Familie von Zeugen ift zu vermeiden; ein paar Ortsname0
bleiben räthfelhaft. Befonderes Vertrauen fchenkt G. i°
Bezug auf ägyptifche Namen dem Kopten, auch den
vatikanifchen Griechen mager nicht ganz beifeite fchieben;
den Novatianerbifchof Akefios ftreicht er wie die aus
den Menologien gefchöpften Bifchofsnamen, mit Ausnahme
der auch anderweit bezeugten Paphnutius und
Spiridon.