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Ausgabe:

1899 Nr. 6

Spalte:

179-180

Autor/Hrsg.:

Werner, Johannes

Titel/Untertitel:

Dogmengeschichtliche tabellen 1899

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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1/9 Theologifche Literaturzeitung. 1899. Nr. 6. 180

fugnifse diefer Landdecane befchreibt Sägmüller eingehend
; fie erinnern lebhaft an die unferer heutigen pro-
teftantifchen Superintendenten und S. macht in höchft
intereffanter Weife darauf aufmerkfam, wie nun auch der
Decanatsbezirk, deffen Presbyter fich regelmäfsig ver-
fammelten, der Rahmen wurde für den Zufammenfchlufs
der einzelnen Geiftlichen zu freien Gebetsverbrüderungen.
Das alte Archipresbyterat verlor durch diefe Entwicklung
des Landdecanats in Frankreich völlig feine Bedeutung
(S.46—69). — In Italien dagegen wo die Bifchofsfprengel
auch räumlich fehr klein waren, beftand ein Bedürfnifs
für ein folches Zwifchenorgan zur Beauffichtigung der
Presbyter nicht. Soweit es alfo auch dort — und es
fehlte daran nicht — Landarchipresbyter gab, behielten
fie auch zur Karolingerzeit die Stellung des älteften
Presbyters, der je nach Bedürfnifs den Bifchof, zumal
in gottesdienftlichen Dingen, zu vertreten hatte. Die
Archipresbyter waren und blieben dort die Grofspfarrer
der ländlichen Taufkirchen (S. 69—72).

In Deutfchland endlich mehrten fich die einzelnen
Landpfarreien viel langfamer als in Frankreich. Die Vertretung
des Bifchofs aber wurde noch lange durch die
Chorbifchöfe ausgeübt. Das Decanat als Auffichtsamt
bildete fich daher in Deutfchland erft viel fpäter. Den
Rang des Archipresbyters aber hatten die erften Pfarrer
der alten Taufkirchen, von denen fich dann allmählich
filiae abzweigten, die aber — weil ohne Taufrecht —
noch lange den Titel einer felbftändigen Pfarrei entbehrten
, obwohl fie es fonft, zumal wenn fie das Anrecht
auf den Zehnten erhielten, de facto waren. Dem Archipresbyter
, dem Pfarrer der Mutterkirche, blieb aber noch
lange das alleinige Recht, an den hohen kirchlichen
Feilen zu taufen. Das Auffichtsrecht hatte er nur über
die in titulis minoribus angeflehten Presbyter feines Bezirkes
. Es blieben alfo in Deutfchland auch innerhalb des
immer weiter verzweigten Syftems von Mutter- und
Tochter-Kirchen die Archipresbyter und die Pfarrer der
Mutterkirchen wefentlich in derfelben Stellung, die fie
unter den einfachereren Verhältnifsen der Merovingerzeit
gehabt hatten. Dabei deckten fich in der Regel, wenn
auch lange nicht überall, die Grenzen der Cantone oder
des politifchen Untergaues mit denen des kirchlichen
Archipresbyteratfprengels (S. 73—88).

Diefe kurze Ueberficht über den Inhalt der reichhaltigen
Abhandlung zeigt, wie der Verf. in präcifer Weife
eine Reihe wichtiger Einzelfragen erörtert, die meift zu
allgemein gefleht und beantwortet werden. Nicht nur
die Entwicklung des Archipresbyterats, fondern auch die
Entftehung und Entfaltung der einzelnen Landpfarreien in
den verfchiedenen Theilen des fränkifchen Reiches wird
durch Sägmüller's Darfteilung verfländlicher. Je mehr
wir folche gewiffenhafte Einzelunterfuchungen erhalten,
defto klarer wird auch das Gefammtbild der abend-
ländifchen Kirche und ihres Lebens in der Zeit ihrer
erften Organifation für uns werden.

Deyelsdorf i. Neuvorpommern. Ed. von der Goltz.

Werner, Prof. Lic. Dr. Johannes, Dogmengeschichtliche

Tabellen. 2., ftark vermehrte Auflage. Gotha 1898,
F. A. Perthes. (49 S. gr. 8.) Kart. M. 1.80

In der neuen Auflage lind zu den dogmengefchicht-
lichen Tabellen, die den monarchianifchen, trinitarifchen
und chriftologifchen Streit behandelten, noch vier Tabellen
von Werner hinzugefügten denen die Vorgefchichte diefer
Streitigkeiten dargefteht wird. Die erfte handelt von der
Entwickelung der chriftlichen Kirche im zweiten Jahrhundert
, von der Stellung der Grofskirche zum Montanismus
und Gnofticismus, die zweite von der häretifch
gnoftifchen, der kirchlich apologetifchen und der kirchlich
katholifchen Theologie, die dritte von der Einführung
der Logos-Chriftologie und ihren Folgen, die vierte giebt
eine Ueberficht über den Zufammenhang der chriftologifchen
Streitigkeiten. Dann folgen die Tabellen über
den monarchianifchen, trinitarifchen und chriftologifchen
Kampf, die bereits die erfte Auflage enthielt. Als achte
Tabelle bringt die neue Auflage noch eine tabellarifche
Ueberficht über die Verdrängung des altkatholifchen
Kirchenbegriffes durch den katholifchen in den Streitigkeiten
über die Möglichkeit der Sündenvergebung durch
das Bufsinftitut und über die Art der Wirkfamkeit des
heiligen Geiftes in den Sacramenten. Hier kommen der
Montanismus, Novatianismus, Ketzertaufftreit und Donatismus
zur Darftellung. Für eine fpätere Auflage ftellt
j Werner Tabellen über die Dogmengefchichte des Mittelalters
und die Gefchichte der proteftantifchen Theologie
in Ausficht. Man kann über den Werth folcher Tabellen
verfchiedener Anficht fein; richtig gebraucht werden fie
aber den Studirenden — und für diefe find fie beffimmt —
zur Einführung in die dogmengefchichtlichen Probleme
der alten Kirche einen guten Dienft leiften. Werner hat
fich inhaltlich eng an Harnack's epochemachendes Werk
angefchloffen, die Form der Tabellen ift klar, gefchickt
und überfichtlich, fo dafs fie zu dem Zweck, zu dem fie
gefchrieben find, empfohlen zu werden verdienen.

Heidelberg. Grützmacher.

Schalkhausser, Georg, Aeneas von Gaza als Philosoph. Diss.
Erlangen, F. Junge, 1898. (VI, 108 S. gr. 8.)

Der um 500 verfafste ,Theophraft' des der rhetori-
fchen Schule von Gaza angehörigen Aeneas widerlegt
in drei Theilen die neuplatonifchen Lehren von der
Präexiftenz und Wanderung der Seele in ihren verfchiedenen
Faffungen, die Gründe für die Ewigkeit der
Welt, die Bedenken gegen die chriftliche Auferftehungs-
lehre, indem er zugleich die chriftlichen Anfchauungen
mit Vernunftgründen zu beweifen fucht. Die Anfchauungen
des Aeneas werden S. 12—73 forgfältig entwickelt,
womit namentlich denen gedient ift, denen die Leetüre
des Originals Schwierigkeiten macht.

Uns intereffirt weniger der Gedankengehalt der
Schrift an und für fich — denn Aeneas hat kaum einen
originalen Gedanken hervorgebracht —, als die neu-
platonifchc Tradition, die Aeneas wiedergiebt, und fein
Verhältnifs zu der früheren Behandlung derfelben Probleme
in der chriftlichen Literatur. Seit Athenagoras und
Tertullian z. B. ift die Auferftehung oft behandelt worden,
an Specialunterfuchungen einzelner Schriften fehlt es
auch nicht, wohl aber an einer zufammenfaffenden Behandlung
der gefammten Literatur und der Continuität der
Lehrentwickelung, die in mancher Hinficht lehrreich
wäre. Das Verhältnifs des Aeneas zum Piatonismus,
feine Abhängigkeit von demfelben in allen neutralen
Fragen wird S. 74 ff. richtig beurtheilt, aber eine Quellen-
unterfuchung lehnt der Verf. leider ab. Leicht wäre
l diefelbe auch nicht bei der rhetorifchen Haltung der
Schrift, die mich fofort fehr lebhaft an Hermias erinnerte,
den Diels etwa in diefelbe Zeit gefetzt hat, und der fehr
wohl mit dem Rhetor identifch fein kann, an den Prokop
feinen 129. Brief gefchrieben hat (vgl. auch die Beitreibung
des Proklos durch Prokop). Die Quellenanalyfe des
Verfaffers hält fich im wefentlichen an die von Aeneas
felbft angeführten Namen und an die Verweife bei
Boiffonade. Schon Zeller, deffen Werk dem Verf. unbekannt
ift, hätte weiter führen können. S. 5. 6 B. berührt
fich auffallend mit Jamblich bei Stob. Ecl. I.

S. 378,21-28 (367,2).

Was den Philologen befonders an der Schrift inter-
reffirt, ift die Literaturform. Die fpätere Sophiftik
bringt eine Nachblüthe des Dialoges hervor; vgl. Hirzel,
Der Dialog II, S. 371 ff. Gemeinfam ift der gazäifchen
Rhetorik die naive Verwendung heidnifcher Anfchauungen.
Norden, Antike Kunftprofa S. 406 fondert fie von der
chriftlichen Literatur ab, weil fie ,durchaus auf antikem
j Fundamente ruht'. — Ueber die Compofition des Dia-