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Ausgabe:

1898 Nr. 6

Spalte:

163-165

Autor/Hrsg.:

Roy, H.

Titel/Untertitel:

Die Volksgemeinde und die Gemeinde der Frommen im Psalter 1898

Rezensent:

Beer, Georg

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163 Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 6. 164

fiäsidee (f. diefe Zeitung, voriger Jahrgang Sp.675) etwas
eingehender begründet gefunden u. a. m. Auch kann
er die an Gunkel fich anlehnende neu, hinzugekommene
Bemerkung (S. 77 n.) von den ,vielen Reften altbabylo-
nifcher Mythen, die auf dem Boden Kanaans fich erhalten
haben' nicht als Bereicherung begrüfsen, folange nicht
der Beweis dazu geliefert wird; denn was Gunkel an
den angezogenen Stellen anführt, ift nicht als folcher
zu bezeichnen. Doch damit genug! Weder ift hier der
Ort, um auf alles Detail einzugehen, noch auch wäre es
angefichts des Ganzen angebracht, mit dem verdienten
Herausgeber um Einzelheiten zu rechten. Das Buch ift
in der ihm von Marti gegebenen Geftalt unbefcha-
det der gemachten Ausftellungen ausgezeichnet, und man
kann nur wünfchen und hoffen, dafs es noch oft feinen
Weg durch die literarifche Welt antrete, fich und der
von ihm vertretenen Sache zu den alten immer neue
Freunde erwerbend.

Der Druck ift correct. Sinnftörender Druckfehler
wüfste ich blofs S. 27 rT23)2 ftatt nctSE und S. 215 v-ryn:
ftatt "HSTQ zu verzeichnen.

Marburg. R. Kraetzfchmar.

Roy, H., Die Volksgemeinde und die Gemeinde der Frommen
im Psalter. (Jahresbericht des theolog. Seminariums der
Brüdergemeine in Gnadenfeld 1896/97, hrsg. v. Dir-
P. Kolbing.) Gnadenfeld, Unitätsbuchhandlung in
Komm. (80 S. Lex. 8.) M. 1.50

Verf. betheiligt fich mit diefer Studie an der von R.
Smend ZATW 88, S. 49ff. angeregten Discuffion über
das Ich in den Pfalmen und bringt die Debatte, wie von
vornherein anerkannt werden foll, wenn auch nicht zum
Abfchlufs, fo doch um ein gutes Stück vorwärts.

Hatte Smend den Begriff der Gemeinde, die er faft
überall zum redenden Subject in den Pfalmen machte,
nicht näher beftimmt, fo verfuchte Ref. in feinen Indi-
vidual- und Gemeindepfalmen 1894, S. CI eine
Claffification der Pfalmen unter dem Gefichtspunkt, dafs
er zwar fämmtliche Lieder auch als Gemeindegefänge
auffafste, näher aber zwifchen Liedern, in denen die Ge-
fammtgemeinde mehr oder weniger felbft fpricht, und
Liedern aus der Gemeinde unterfchied; eine dritte Gruppe
bildeten ihm folche Lieder, deren Subject eine Gemeinde
der Frommen, eine ecclesiola innerhalb der jüdifchen
ecclcsia ift. Im Anfchlufs an diefe Gruppirung fchlägt
Roy vor, die Pfalmen in Nationalpfalmen und Pfalmen
der Gemeinde der Frommen einzutheilen.
Die vom Ref. als Lieder aus der Gemeinde bezeichneten
Pfalmen werden von Roy unter feine beiden Hauptgruppen
vertheilt. Im Allgemeinen deckt fich die Ein-
theilung Roy's mit der von F. Coblenz, deffen
Buch ,Ueber das betende Ich in den Pfalmen', Frankfurt
1897, ungefähr zur gleichen Zeit wie die Roy'fche Studie
erfchien; nur will Coblenz noch eine befondere Art
von Individualpfalmen annehmen. Ref. kann der Anordnung
von Roy im Wefentlichen zuftimmen, fie hat vor
feiner eigenen das voraus, dafs ihr ein Princip zu Grunde
liegt: der Gegenfatz, der zwifchen der jüdifchen Religionsgemeinde
und der Heidenwelt und zwifchen den
Frommen und Gottlofen innerhalb Israels befteht. Bedenklich
ift nur die Bezeichnung .National'pfalmen.
Denn es handelt fich keineswegs in den Liedern diefer
Gattung um einen wefentlich nationalen, fondern reli-
giofen Gegenfatz zwifchen Israel und den übrigen Völkern
, wie ja Roy wiederholt felbft erklärt, dafs die jü-
difche Volksgemeinde in erfter Linie Religionsgemeinde
ift S. 26, 42. Daher ift vielleicht empfehlenswerther eine
Eintheilung der Pfalmen in 1) Gemeindelieder, d. h. Lieder
, in denen die jüdifche Religionsgemeinde und 2) Con-
■ ventikellieder, d. h. Lieder, in denen eine pietiftifche Ge-
meinfchaft innerhalb der Gefammtgemeinde am Worte ift.

Verf. ift mit Ref. a. a. O. S. LXXXVII darin einver-
ftanden, dafs die äufsere Unterfcheidung von ,Wir' und
I ,Ich' für eine Eintheilung der Pfalmen belanglos ift. Ebenfo
darin, dafs es verfehlt ift, das ,Ich' durchweg als Perfoni-
fication einer Mehrheit aufzufalten: zuweilen fleht das
Ich im Sinn eines gröfseren oder kleineren Wir; zuweilen
umfafst es die einzelnen Frommen, in deren Namen,
oder aus deren Herzen der Dichter fpricht; zuweilen
endlich giebt diefer durch Ich feinen perfönlichen Em-
I pfindungen Ausdruck, aber auch hier fo, dafs das Ich in
I engfter Beziehung zum Leben der Gemeinde bleibt S. iof.
21 ff. 59 ff. Bei der Durchführung diefer Thefen für die
einzelnen Pfalmen wird unter den Erklärern oft Meinungs-
vcrfchiedenheit fein, indeffen hat fich, wie ein Vergleich
der Arbeiten aus den letzten Jahren über diefen Gegen-
ftand zeigt, fchon ein ziemlich weitgehender Confenfüs
gebildet. Hinfichtlich der Pf. 7, 51 zieht Ref. feine
frühere Erklärung gegen die von Roy S. 21, 23 zurück —
allerdings war er zu einer folchen Auffaffung fchon vor
der Leetüre der Roy'fchen Schrift durch eigene erneute
Unterfuchung gelangt. Sehr richtig hebt Roy S. 62 u.
ö. hervor, dafs bei der Erklärung der Pff. auch auf die
Beziehungen zwifchen der jerufalemifchen Mutter- und den
Diafporagemeinden zu achten fei. Umfoweniger befriedigt
aber, dafs Roy nirgends in den Pff. eine directe
Rückfichtnahme auf Profelyten finden will S. 33.

In feinen hiftorifchen Vorausfetzungen Hellt fich
Verf. durchaus auf den Boden der modernen Pfalmen-
kritik. Der Pfalter ift ihm im wefentlichen ein Product
der nachexilifchen Frömmigkeit S. 14; die Sammlung
der Lieder erfolgte für die Zwecke des jüdifchen Cultus
und der privaten Andacht S. 15; die hiftorifchen Ueberfchrif-
ten der Pf. 3, 7 u. f. w. dürfen für die Frage nach dem
zeitgefchichtlichen Anlafs der Lieder nicht der Ausgangspunkt
fein S. 13; felbft die Erwähnung des Königs in
den Pf. 20 u. 21 beweift nichts für den vorexilifchen Ur-
fprung diefer Lieder, da der König wahrfcheinlich ein
ausländifcher Regent fei S. 45 f.; für die Datirung der
Pfalmen empfiehlt fich von der Betrachtung der Parti-
cularpfalter innerhalb des ganzen Pfalters und der grup-
j penweifen Behandlung inhaltlich verwandter Lieder auszugehen
— das alles find Vorausfetzungen, die zwar von
dem Verf. in dem gefleckten Rahmen feiner Arbeit nicht
i näher begründet werden, denen Ref. aber um fo freu-
j diger im Princip zuftimmen kann, als fie fich mit feinen
j eigenen Ausführungen über den gleichen Gegenftand
a. a. O. S. XVIII ff. aufs engfte berühren.

Am gelungcnften hält Ref. die Charakteriftik des
religiöfen Inhaltes des Pfalters, die Verf. auf Grund der
oben befchriebenen Eintheilung der Pfalmen giebt. Diefe
Charakteriftik ift gewiffermafsen die Stichprobe auf die
Richtigkeit der vorgefchlagenen Eintheilung der Pfalmen.
Ref. erklärt gern, dafs die Ausführungen, die hier geboten
werden, neben den betreffenden Abfchnitten in R.
Smend's altteftamentl. Theologie S. 375 ff, an die fie fich
! zum Theil anfchliefsen und die fie zu ergänzen geeignet find
; S. 16, mit zu dem Bellen gehören, was in letzter Zeit über
| die religiöfen Vorftellungen der Pfalmen gefchrieben
worden ift.

Verf. ift Docent für altteftamentliche Exegefe am
theologifchen Seminar der Brüdergemeine in Gnadenfeld.
Seine Schrift ift ein erfreuliches Zeichen dafür, dafs auch
in den Kreifen der Brüdergemeine, die für viele als von
der modernen theologifchen Krankheit noch nicht ange-
fteckt gelten, die neueren wiffenfehaftlichen Anfchauungen
über das alte Teftament fiegreichen Einzug gehalten
haben. Nicht blofs mit der Kritik fpiclen, fondern fie
ernft nehmen, unbefchadet der perfönlichen Frömmigkeit,
das ift das Ideal eines echten Theologen. Zu diefem
Ideal bekennt fich ficher auch der Verf. diefer äufsert
anziehenden Studie.

Die von Smend angeregte Unterfuchung über das
Ich in den Pfalmen hat für die Erklärung des Pfalters