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Ausgabe:

1898

Spalte:

156-157

Autor/Hrsg.:

Robertson, Frederick William

Titel/Untertitel:

Religiöse Reden. Neue Sammlung, dem Andenken Emil Frommels gewidmet 1898

Rezensent:

Hans, Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 5.

156

liehen in denfelben wird man verfchieden verfahren.
Was der alte, lang in einer Gemeinde wirkende und in
deren Vertrauen feftftehende vermag, darf der neueintretende
nicht unternehmen. Hohe Begabung und volle
Sachkenntnifs bedingen andere Verfchiedenheiten. Aber
viel lernen können aus Schnabel's Predigten Geiftliche
jeder Art, zunächft für ihre Predigten, aber auch für die
etwaige Behandlung der focialen Frage in befonderen
Vorträgen und in Gefprächen mit Gemeindegliedern.

Schnabel, ein durch lange Kränklichkeit fchwerge-
prüfter, überhaupt ein gereifter, bibelfefter Theologe von
ruhig vornehmer Haltung ift vor kurzem, 69 Jahre alt,
in den Ruhehand getreten. Befonders mit den ländlichen
Verhältnifsen verfchiedener Gegenden machte ihn fein
Amt wohlbekannt. In einer Dorfgemeinde hat er vorliegende
Predigten der Hauptfache nach wirklich gehalten,
aber nachher überarbeitet, fo dafs he eine abhandlungs-
artigere Gehalt empßngen. Letztere foll natürlich kein
Muher für das Predigen fein, aber zum ruhigen und
wiederholten Lefen eignet he hch trefflich. Zu haltende
Predigten müffen etwas kürzer fein, befonders die Einleitungen
, die für Lefer gerade in vorliegender Gehalt
hohen Werth haben, weil he klar und meines Erachtens
fehr gut von dem jemaligen Thema das für die Kanzel
nicht Geziemende ausfeheiden. Dafs Letzteres in den
Einleitungen erwähnt wird, gehört zum rechten Verftänd-
nifse der Sache und zu dem für andere Prediger am
meihen Beherzigenswerthen. Bei dem Predigen müffen
diefe etwas lebhafter anfallen, hch genauer an die Texte
halten, auch wohl die Erörterung focial wichtiger Punkte
mehr auf verfchiedene Predigten vertheilen. Doch könnte
es in Städten, wenn die focialen Kämpfe lebhaft werden,
hch empfehlen, dafs man geradezu fociale Themata vorher
anzeigt, damit die am meiden Betheiligten kommen
können. Dann id wie hier das Thema und nicht der
Text die Hauptfache und zwar um fo berechtigter, wenn,
wie gleichfalls von Sehn., die übrigen zugehörigen Schriftdellen
gut zugezogen werden. Aehnlich verfuhr Scriver
in feinem Seelenfchatze. Die Themata erfcheinen übrigens
bei Sehn, in der Gedalt weiter Ueberfchriften. Den
eigentlichen Inhalt kündigen die einfachen und leicht
überhehtlichen Partitionen an.

Schn.'s acht Predigten bilden ein wohlabgerundetes
Ganzes und behandeln die fociale Frage als eine Arbeits =
Lohn=Eigenthums=Rang- und Standes=Frauen=poli-
tifche und Religionsfrage. Auf die Arbeit beziehen hch 2
Predigten. Die eigenthümlichen theologifchen Anflehten
des Verf., die zum Theil ein Württembergifches und ins-
befondere Blumhardtifches Gepräge tragen, treten nur
im 2. Theile der 8. Predigt fchärfer hervor, dem namentlich
Socialdemokraten nicht zudimmen werden. Im Ganzen
aber können auch verdändigen, erndgehnnten Socialdemokraten
diefe Predigten recht wohl in die Hände
gegeben werden, damit he gute fachliche Belehrung empfangen
, die betr. Anfchauungen der Bibel kennen lernen,
am meiden aber, damit he fehen, wie Bibel und Kirche,
alfo ernde Chriden, Verdändnifs und Herz für das Berechtigte
in ihren Forderungen haben. Aus denfelben
Gründen eignen hch diefe Predigten überhaupt auch fehr
gut zum Lefen für Nicht-Theologen. Sie können manches
Vorurtheil zerdreuen und den echt chridlichen
Geid der Befonnenheit, Gerechtigkeit, Billigkeit und
Liebe wecken und beleben. Denn in diefem find he mit
gründlicher Sachkenntnifs, ruhigem, klarem Urtheile und
aufrichtigem Wohlwollen nach allen Seiten hin abgefafst.
Allen Ständen werden ihre focialen Fehler und Pflichten
ernd vorgehalten, aber für he alle hndet hch auch die
Abwehr falfcherund namentlich zu fehr verallgemeinerter
Anklagen, fowie die Anerkennung ihrer wirklichen Rechte,
Leiden und Vorzüge. Nicht häuhg, aber recht gefchickt
werden einzelne gefchichtliche und der Gegenwart entnommene
Beifpiele eingehochten. Die Dardellung id eine
ruhig darlegende und belehrende. Die Predigtform, der ich

I anfangs mit Beforgnifs gegenübertrat, hat die fachliche Einfachheit
und Nüchternheit nicht durch falfche oder zu viele
Rhetorik beeinträchtigt, aber eine wohlthuende Deutlichkeit,
Freundlichkeit und Herzlichkeit derSprache veranlafst. Nur
einige Fremdworte wünfehte ich hinweg. Ueber Einzelnes
wird man natürlich anderer Anficht fein (z.B. ich beiS. 156
Z. 18—21). Auch das Ganze wird des Socialen Manchen
zu viel, Manchen zu wenig bringen, während mir,
abgefehen vom fchon Bemerkten, die rechte Mitte eingehalten
fcheint, weshalb ich hoffe, dafs diefe Predigten
im Ganzen, um die Hauptfache noch einmal hervorzuheben
, mit ihrer wohlüberlegten Befchränkung auf das
zum Chriftenthum in Beziehung flehende, mit ihrer durchaus
biblifchen Haltung und mit der von diefer ausgehenden
befonnenen, gerechten und wohlwollenden Befprech-
ung jetzt brennender Lebensfragen auf alle Lefer einen
anziehenden, heilfamen EinHufs üben. Es ift dringend
zu wünfehen, dafs diefe Schrift in die Hände vieler Prediger
und durch deren Empfehlung oder Ausleihen auch
in die Hände vieler Anderen kommt. Als Belege für
Vorftehendes feien hervorgehoben: Die befonders wohlgelungene
und kennzeichnende 4. Predigt über das Eigenthum
und in der 8. die guten Ueberhchten über die 7
erften Predigten S. 165 fowie über die bisherigen Leift-
ungen der Inneren Mifhon S. 166 und 167. Mit ausführlicherer
Begründung und ebenfo entfehieden wie in den
8 Predigten wird in der faft 16 Seiten füllenden fehr
klaren und lefenswerthen Vorrede (,Einleitung') zu denfelben
verworfen, die volkswirthfchaftliche Seite der focialen
Frage auf der Kanzel zu behandeln, dagegen letzterer
auf die religiöfe und ethifche Seite jener Frage ihr
gutes Recht und ihre verantwortungsvolle Pflicht gewahrt.

Friedberg i. H. Die gel.

Robertson, Frederick William, Religiöse Reden. Neue
Sammlung, dem Andenken Emil Frommeis gewidmet.
Berlin, Reuther & Reichard, 1898. (VII, 190 S. gr. 8.)

M. 3.25; geb. M. 3.—

Eine neue Sammlung von Predigten Robertfon's wird
uns in dem vorliegenden Bande in fehr guter Ueber-
fetzung geboten. ■ Die Ueberfetzerin hat, wie he im Vorwort
fagt, diesmal folche ausgewählt, ,die hch vorzugs-
weife allgemein ethifchen Fragen zuwenden, während
das dogmatifche Element zurücktritt'. Unter den 16
Predigten, die der Band enthält, behnden hch 4, deren
englifches Original in der von Tauchnitz beforgten
Sammlung nicht enthalten ift. Die Themata diefer letzteren
lauten: Der Friede Gottes (Jef. 57, 19h), Petri
Sündenbewufstfein (Luk. 9, 8), Der Mann der Schmerzen
(Jef. 53, 3), Die drei Kreuze auf Golgatha (Luk. 23, 33).
Befonders ergreifend ift die dritte, die, wie es fcheint,
bei einer Feier gehalten wurde, mit der eine für das
Krankenhaus in Cheltenham veranftaltete Sammlung verbunden
war. Jefus wird darin als der Menfchenfohn oder
; der Repräfentant der Menfchheit gerade infofern darge-
ftellt, als er der ,Mann der Schmerzen' war; mit anderen
Worten, die ganze Menfchheit wird als der ,Mann der
j Schmerzen' gefchildert. Dafs übrigens in diefen 4 Pre-
| digten, wie das Vorwort fagt, ,Robertfons Uebergangs-
J ftadium aus dem Evangelismus in feine fpätere freiere
Anfchauungsweife' hch erkennen laffe, kann ich nicht
gerade finden. — Von befonderem Intereffe ift auch die
Predigt über Joh. 20, 29 mit dem Thema: Der Zweifel
des Thomas, weil es die einzige Ofterpredigt ift, die wir
von Robertfon behtzen, abgefehen von einer Rede über
1. Cor. 15, 13—20, die in den Reden über die Korinther-
Briefe (Goettingen, Vandenhoeck u. Ruprecht, 1895) enthalten
ift und die an Oftern gehalten zu fein fcheint.
j Ich kann die hier vorliegende jedoch nicht als eine
vollkommen gelungene Löfung der fchwierigen Aufgabe,
I die einer Ofterpredigt gerade in der Gegenwart geftellt