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Ausgabe:

1898 Nr. 5

Spalte:

152-153

Autor/Hrsg.:

Müller, Ernst (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Luther‘s Erklärung der heiligen Schrift. V - IX 1898

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 5.

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diefes Buches fagen: wenn überall, nicht gerade die Vor-
fchläge und Regeln Zange's direct befolgt, aber mit gleicher
Gewiffenhaftigkeit, Sorgfalt, Treue, Sachkenntnifs,
pädagogifcher Einficht und Erfahrung und zugleich mit
derfelben frommen Gefinnung wie hier die Angelegenheit
des Religionsunterrichtes behandelt, fein Stoff organifirt,
fein Verlahren methodifirt und fein Geift bethätigt würde,
fo ftünde es gut um ihn. Der fehr umfaffende und die
ganze Theologie wie die ganze Pädagogik berührende
Stoff wird hier in einer Weife behandelt, welche die
höchfte Beachtung nicht allein der Religionslehrer, fondern
namentlich auch derjenigen Perfönlichkeiten verdient
, welche in höheren Behörden, Confiftorien, Ober-
fchulcollegien, Minifterien bei der Äufftellung von Lehrplänen
, Schulvorfchriften u. dgl. ein entfcheidendes Wort
mitzureden haben. Und zwar rührt, was diefen hier vorliegenden
Darlegungen folchen Werth verleiht, ohne Frage
von den Einflüffen her, welche die Herbart (-Ziller)'(che
Pädagogik auf fie ausgeübt hat. Zur Annäherung diefer
Pädagogik an den kirchlichen Religionsunterricht feiner
Zeit einige Anregung gegeben zu haben (Zeitfchr. f. prakt.
Theol. V, 319 fr; vgl. Thrändorf ebenda VI, 365 fr. VII,
1 ff.), ift dem Referenten heute noch werthvoll, wie er
denn jetzt noch in einer befonnenen Verbindung jener
Pädagogik und Didaktik mit den Anforderungen des
kirchlichen Religionsunterrichts die Hauptaufgabe unfrer
Zeit auf diefem Gebiete erblickt. Auch unfer Verfaffer
verfährt hierbei befonnen; er giebt nicht ,Gefinnungs'-,
fondern evangel.-lutherifchen Religions-Unterricht, die
,culturhiftorifchen Stufen'Ziller's werden abgelehnt (S.78L),
es giebt auch keine .Märchen'- und keine ,Robinfon-
Clafle'. Dagegen wird der erziehliche Zweck alles Unterrichts
energifch nicht blofs aufgeftellt, fondern auch
durchgeführt, mit der Concentration der verfchiedenen
Unterrichtsfächer und vollends der verfchiedenen Seiten
des religiöfen Unterrichts auf ein und derfelben Stufe
Ernft gemacht, überall auf Erzeugung grofser, zufammen-
hängender, .unzerftückter' Gedankenmaffen gehalten, defs-
halb die Vertheilung des Stoffs nach concentrifchen
Kreifen abgelehnt, die Reihenfolge der Formalftufen con-
fequent (und doch nicht fchematifch) durchgeführt. Man
fieht hier, welch erfreuliche Frucht doch dem Religionsunterricht
aus diefer Durchführung erwächft. Die Stoff-
Auswahl und Vertheilung erfcheint durchweg wohl mo-
tivirt, und das Lehrverfahren geeignet, religiöfes Intereffe
hervorzurufen, religiöfe Einficht zu erzeugen und religiöfes
Leben zu pflanzen. Letzteres wird namentlich auch, und
mit vollem Rechte, von der Gewöhnung, zu der Haus,
Kirche und Schule zufammenwirken müffen, erwartet.
Der Unterricht allein thuts nicht, mag er noch fo gut
fein und die Schule allein auch nicht. Aus all diefen
Darlegungen fpricht ein Mann, der nicht nur die Theorie
klar erfafst und auf den Gegenftand confequent angewendet
hat, fondern auch eine reiche, vielfeitige und
gründlich verarbeitete Schulerfahrung befitzt: jenes ift
das fortziehende, diefes das confolidirende Moment in
feinen Ausführungen. Deshalb lieft man fie mit Intereffe
und zur Belehrung und faft überall mit Zuftimmung.
Der preufsifche Lehrplan vom 6. Januar 1892 wird für
den betten unter den vorhandenen offiziellen Lehrplänen
erklärt (S. 83), aber natürlich fleht ihm Zange frei gegenüber
. Er hafst allen Unterrichtsmechanismus und Me-
morirmaterialismus, aber er fpricht das nicht blofs aus,
fondern er zeigt wirklich, auf welche Weife man dem
entgehen könnte. Der Katechismus entfteht ihm, foweit
dies möglich (vgl. S. 170) allmählich aus der biblifchen
Gefchichte, ebenfo das Kirchenlied. Ein befonderes Sy-
ttem der Glaubens- und Sittenlehre in Prima ift nach
feiner Anlage des Unterrichts nicht nöthig. Der Unter-
richtsftoff befchränkt fich, auch in der Kirchengefchichte,
auf das religiös- und fittlich- Förderliche, das der Faff-
ungskraft Erreichbare und das Typifche. Die Forderung
.chriftocentrifcher' Behandlung wird auf ein vernünftiges

Maafs reduzirt. Vieles derart wäre noch zu nennen, worin
man dem Verf. nur beipflichten kann. Vorzüglich
j find z. B. feine Anweifungen in Betreff des Repetirens
I und der Gewöhnung ans Bibellefen (doch erkärt fich
Zange S. 270 feltfamer Weife eher gegen als für eine Schulbibel
). Allein es ift ganz unmöglich, hier weiter auf
Einzelheiten einzugehen. Man lefe felbft und man wird,
ob man zunimmt oder nicht, jedenfalls die forgfältigfte
Erwägung und gewiffenhafte Begründung finden.

Einige Bedenken fei mir geftattet hier zur Ausfprache
zu bringen. Wenn S. 145 die ,katechetifche Methode' in
einen Gegenfatz zu dem ,artikulirten Unterricht nach den
fog. Formalftufen' gefetzt wird, fo beruht das auf einem
längft überwundenen Mifsverftändnifs der ,Katechifir-
Methode' (die doch wahrhaftig nicht mit Sokratifiren
oder der Kunft zu fragen [S. 155] identifch ift), gegen
das ich fchon Z.pr.Th. V, 333 wie es fcheint, vergeblich
proteftirt habe. — Dafs Simultanfchulen ,nur traurige
Nothbehelfe find' (S. 43) ift ein nicht ganz falfches, aber
fehr einfeitiges Urtheil. Man überlege fich doch, dafs
die Confequenz diefes Standpunktes die Errichtung oder
Vermehrung fpezihfch-katholifcher Gymnafien in paritä-
tifchen Ländern fein müfste: follte damit der Sache der
Erziehung, auch der evangelifchen Erziehung, follte
J damit der Zukunft unfres Volkes beffer gedient fein als
mit paritätifchen Schulen, welche wenigftens diefe Confequenz
unmöglich machen? Statt Alles ganz fpecicll
nur auf die confeffionelle Schule zuzufchneiden, hätte
der Verf. beffer gethan, unter Anerkennung deffen, dafs
fie für ihn das Ideal fei, doch auch die paritätifche Ge-
ftaltung mit in Rechnung zu ziehen. Hierin ift er zu
fehr Theoretiker und nimmt nicht genug Rückficht auf
die thatfächlichen Zuftände. — Zur Theologie hat Zange
kein ficheres Verhältnifs; er verwirft mit Recht das blofs
Theologifche, indem er allein das Religiöfe und Kirchliche
dem Unterricht der Schule zuweift. Allein die
Verwerfung ift zu ftark und ebenfalls einfeitig. Denn
j natürlich kommt er felbft ohne Theologie nicht aus;
I aber es fcheint ihm verborgen zu bleiben, dafs, was er
' als .Heilsgefchichte', als .Leben Jefu' oder als Refultate
| altteftamentlicher Einficht vorträgt, eben auch Theologie
j ift, nur eben die, die er allein für kirchlich und religiös
hält. So ganz ohne Kritik z. B. der altteftamentlichen
! Schriften oder der Evangelien, fo ganz ohne ,Pragmatis-
j mus' des Lebens Jefu, fo ganz ohne Erörterungen über
Wunder, Auferftehung und dgl., wie er es hinftellt, kann
man doch nicht auskommen, wenn nicht überhaupt auf
eine Ausgleichung des fonftigen Gedankenkreifes mit dem
religiöfen und auf ein Verftändnifs der Perfon Jefu aus
I den biblifchen Schriften, wie es doch gerade für das
I Gymnafium verlangt werden darf, verzichtet werden foll.
| Zange fcheint noch zu wenig zu empfinden, dafs all unfre
theologifchen Unterfuchungen ja nur aus der Noth ent-
fpringen, in die uns der Zuftand der Ueberlieferung verfetzt
. Von diefer Noth haben auch Gymnafiaften, jedenfalls
Secundaner und Primaner fchon viel zu leiden. Dies
berückfichtigen heifst m. E. pädagogifch verfahren. Thuts
die Pädagogik nicht, fo thuts fpäter ,das Leben' auf unpädagogische
Weife, und dann wehe den .Refultaten'
des Religionsunterrichtes! Möchte es dem Verf. gefallen,
auch nach diefer Seite hin die Vermittelung herzuftellen,
die ihm nach der andern fo vorzüglich gelungen ift.

Heidelberg. Baffermann.

Luther's Erklärung der heiligen Schrift. Zufammengeftellt
von Paft. E. Müller. V—IX. Gütersloh, C. Bertelsmann,
(gr. 8.) M. 7.-

V. Die beiden Briefe an die Korinther. 1896. (S. 621—752.)
M. 1.50. — VI. Die (kleinen) Paulinifchen Briefe an die Galater,
Ephefer, Philipper, Koloffer und Teffalonicher. 1896. (S. 755 —
94S.1 M. 1.50. — VII. Die Briefe Pauli an Timotheum, Titum und