Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1898 Nr. 5

Spalte:

147-148

Autor/Hrsg.:

Gerretsen, J. H.

Titel/Untertitel:

Micronius 1898

Rezensent:

Benrath, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

147

Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 5.

148

Bibliotheca Belgica abgedruckt find. Im Allgemeinen
nimmt die Zahl der wegen Uebertretung des Edictes
Belangten mit 1560—61 ab. Ruard Tapper, der erbarmungslose
Grofsinquifitor war geftorben. Als feit 1563 ein
Strom von franzöfifchen Hugenotten die Stadt zu über-
fluthen begann, wehrt die Statthalterei durch ein neues
Edict ab, und der König drängt auf Durchführung der
alten — einen durch die fpanifche Inquifition früher Ver-
urtheilten, Agoftino Boazio aus Genf (Italiener von Geburt
?), verlangte er fogar ausgeliefert zu bekommen und
— man kam feiner Weifung nach (Febr. 1564). Die
letzte Wendung in der Kirchenpolitik wird durch die Einführung
derTrienter Concils-Befchlüffe bezeichnet, welche
zunächft in Antwerpen den ftärkften Wiederfpruch fand,
da fie thatfächlich nichts anderes als eine Einführung
der Inquifition bedeutete. Hier geht Antwerpen mit
den Brabanter Hauptftädten (t* Hertogenbofch, Brüffel
und Löwen) gemeinfchaftlich vor: den hervorragenden
Staatsmann van Wefenbeke fandte man nach Brüffel —
feine Memoiren (1859) und feine Gefchichte der Religionsangelegenheiten
(1616) geben hier genaue Auskunft, die
durch M. noch fchicklich ergänzt wird. Endlich lenkt
die Statthalterei ein — aber es war zu fpät: der Bund
der Adeligen wird gehaftet, das ganze Land ift in Erregung
, ,das Wunderjahr' beginnt und — Herzog Alba
ift vor der Thür.

Die zweite wefentlich kürzere Abhandlung von Frederichs
über die Inquifition im Herzogthum Luxemburg
vor und während des XVI. Jahrh. eröffnet ganz
neue Blicke auf deren Wirkfamkeit in einem Lande, welches
lange als gar nicht von ihr berührt gegolten hat,
bis Fredericq 1885 und Rahlenbeck zuerft das Ge-
gentheil behaupteten. Luxemburg war im 16. Jahrh. an
die Habsburger gefallen. So ergreift denn auch hier Karl
V., nachweifslich zuerft 1545, Maafsregeln gegen die Ketzereien
; was die Statthalterei, dann Philipp II. nach der
Seite hin angeordnet haben, theilt F. aus dem Brüffeler
Archiv mit. Von bekannten ,Ketzern', welche dem damaligen
Luxemburger Gebiete entflammten, kann er drei
nennen. Johann Sturm und Johann Philippfon, beide
aus Schleiden, fowie Petrus Statorius aus Diedenhofen,
der als Rektor der Schule in Pinczow wirkte und dem F.
auf S. 105 irrthümlich die Leichenrede durch Laski halten
läfst, während es fich doch umgekehrt verhielt (Laski
j- 1560, Statorius f 1570, vgl. dazu Dalton, Lasciana,
1898, passiui). Ein rechtes Neft der Ketzerei wurde Luxemburg
im Jahre 1560. Da wurden ergriffen und ab-
geurtheilt: Laurenz von Affelborn, Paftor zu Freilingen;
Claus von Kronenburg, Paftor zu Neuerburg; die hervorragende
Antoinette deMorlet aus Diedenhofen, welche
drei Jahre in Genf gelebt hatte und über deren letztes
Schickfal vor der Inquifition nichts bekannt ift. Aber
auch die folgenden Jahre weifen noch Fälle auf, und als
Alba feine blutige Hand auf die Niederlande legte, liefs
er auch die letzten Zuckungen der Ketzerei im Luxemburger
Gebiet zertreten.

Königsberg. Benrath.

Gerretsen, Predikant Dr. J. H., Micronius. Zijn leven,
zijn gefchriften, zijn geestesrichting. Nijmegen, H.
ten Hoet, 1895. (XII, 148 u. XX S. gr. 8.) Kart.

Der 1523 geborene Martin Micron rangirt zwar nicht
unter den Grofsen der Reformationszeit, hat aber eine
gute Begabung unter fchwierigen Verhältnifsen mit Hingabe
in den Dienft des evangelifchen Gedankens gehellt
und verdient das liebevoll gezeichnete Bild. Ein Schüler
der Bafeler und Züricher Theologen hat er 1549 Hooper
nach England begleitet und ift feit 1551 bei der FYem-
dengemeinde in London unter Laski als Prediger thätig.
Kaum zwei Jahre follte diefe Wirkfamkeit dauern — da
fieht fich die Gemeinde zur Auflöfung gezwungen, die

I ,Deutfchen', in zwei Schiffchen an die dänifche Küfte ver-
fchlagen, dann nach Wismar und Hamburg gewiefen, ernteten
die Frucht der Zwietracht, welche die Theologen

I gefäet. Micron, welcher, von feiner Gemeinde getrennt,
nach Emden vorgereift war, eilte ihr in Wismar zu Hülfe,
und wir erfahren aus feinem Munde die Einzelheiten
jener Prüfung. Ueber die den Exodus betreffenden
Schriften des Micron, von denen das Apologeticum Scriptum
gegen den Hamburger Weftphal die bedeutendfte
ift, giebt G. genauen Bericht. Aber er erweitert die Lifte

I der Schriften Micron's überhaupt um mehrere Nummern.
Zunächft weift er ihm die in Laski's opera (ed. Kuyper
II 479—492) gedruckte Körte Onderzoeckinge des Geloofs
(1553) zu. Die dafür beigebrachten ,inneren Merkmale',
d. h. die Uebereinftimmung mit Micron's fonftigen theo-
logifchen Darlegungen, find freilich unficher; doch mag
man auf das Zeugnifs der Dordrechter Provinzialfynode
von 1574 hin ihm die Verfafferfchaft zuerkennen. Un-
gewifs aber bleibt die Autorfchaft bei dem Kleyne Katechismus
(1552) und den Ordonancic. Bemerkenswerth
ift, dafs feine Polemik fich ebenfo fehr gegen Menno
Simons (insbefondere in der Apologie, Ende 1558) wie gegen
die orthodoxen Lutheraner richtete — er fteht da in der
Mitte, wie das auch die fehr forgfältige Unterfuchung
feines dogmatifchen Standpunkts, welche G. (S. 104—144)
beigefügt hat, darthut. Er ift einer der milden ethifch gerichteten
Theologen, wie fie, von der fchroffen Orthodoxie
der Zeit bei Seite gefchoben, doch das Wefen
des Proteftantismus adäquater zum Ausdruck bringen als
jene. Micron, der alle Kräfte ftets in den Dienft feines
Herrn und feiner Gemeinde geftellt hat, ftarb am 12.
Sept. 1559 an der Peft als Opfer feines Berufes.

Königsberg. Benrath.

Schultz, Dr. Herrn., Grundriss der evangelischen Ethik.

Zum Gebrauche bei akademifchen Vorlefungen. 2. erweiterte
Aufl. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht,
1897. (IV, 140 S. gr. 8.) M. 2.40; geb. M. 3.—

Dafs nach relativ kurzer Frift eine zweite Auflage
diefes Grundrifses nothwendig war, beweifst, wie fehr er
feinem Zweck entfpricht und welche Dienfte er zu leiften
im Stande ift. Charakter und Anlage des Buches find
diefelben geblieben. Die Hauptveränderung, welche die
Schrift erfahren, liegt, abgefehen von einzelnen Erweiterungen
des Textes, in der Vermehrung der erläuternden
Anmerkungen und befonders in dem Abdruck der wich-
tigften Beweisftellen aus der Schrift und den Bekennt-
nifsen. Diefe Bereicherung ift höchft dankenswerth, nicht
etwa weil der Vf. dem Lefer die Mühe des Nachfchlagens
erfpart — das wäre im Gegentheil ein zweifelhafter Gewinn
— fondern weil auf diefem Wege die richtige Methode
der Verwendung des neuen Teftaments und der
Bekenntnifsfchriften praktifch dargethan und veranfchau-
licht wird. Da die Art des Schriftgebrauchs in der theo-
logifchen Ethik eine oft genug willkürliche und zufällige
ift, da auf diefem Gebiet vielleicht eine noch gröfsere
Unficherheit befteht als im Rahmen der evangelifchen
Dogmatik, fo ift das von S. geübte Verfahren vortrefflich
I geeignet, die hermeneutifchen Grundfätze in ihrer Anwendung
auf den ethifchen Stoff zu illuftriren. Der hier ge-
! führte Schriftbeweifs zeichnet fich zugleich durch die
j Virtuofität aus, fcheinbar entlegene und durchaus fpröde
i oder widerffxebende Elemente für die Gegenwart brauchbar
zu machen, und durch die echt evangelifche Stellung
zur Bibel, die nirgends als ein Codex von Sittenregeln
aufgefafst und gehandhabt wird, fondern aus welcher der
Verf. nur ,Befchreibungen der chriftlichen Aufgabe und
i Gefinnung' entnimmt, und zwar ,in Verhältnifsen, die
fich zum Theil für uns aus dem Geifte des Chriftenthums
längft anders gehaltet haben'. So liefert S. einen reichen
und überzeugenden Commentar zu dem Princip, das er