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Ausgabe:

1898 Nr. 3

Spalte:

89-92

Autor/Hrsg.:

Ehrensberger, Hugo

Titel/Untertitel:

Libri liturgici bilbiothecae apostolicae Vaticanae manu scripti 1898

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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89

Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 3

90

Ebner, Domvic. Prof. D. Adb., Quellen und Forschungen zur
Geschichte und Kunstgeschichte des Missale romanum im
Mittelalter. Iter italicum. Mit I Titelbilde und 30 Ab-
bildgn. im Text. Freiburg i. B., Herder, 1896. (XI,
487 S. gr. 8.) M. 10.—; geb. M. 12.—

Ehrensberger, Hugo, Libri liturgici bibliothecae aposto-
licae Vaticanae manu scripti. Digessit et recensuit
H. E. Friburgi Br., Herder, 1897. (XII, 591 S. Lex 8.)

M. 25.—; geb. M. 30.—
,Was zur Förderung der liturgifch-hiftorifchen Studien
in unterer Zeit vor allem nothvvendig erfcheint, ift eine
möglichft umfaffende Kenntnifs des handfchriftlichen
Materials'. Mit diefen Worten eröffnet Ad. Ebner die
Vorrede zu feinen Quellen und Forfchungen, und man
kann fie unterfchreiben, wenn man das andere nicht ver-
gifst, dafs uns vor allem diplomatifch genaue Ausgaben
der liturgifch wichtigften Handfchriften nothwendig find.
Was diefen Punkt anbetrifft, fo kann ja jetzt auf eine
Reihe von bedeutenden, befonders englifchen Publikationen
hingewiefen werden, und in Betreff jenes Punktes
ift es eine Freude, die Arbeit in fo berufenen Händen zu
wiffen, wie diejenigen find, die die beiden oben aufgezeigten
Bücher gefchrieben haben.

Ebner geht der Gefchichte des römifchen Missale
nach. Er hat fyftematifche Nachforfchungen über den
handfchriftlichen Beftand angefleht. Was die italie-
nifchen Bibliotheken an wichtigen Sacramentar- und
Miffalhandfchriften enthalten, hat er in dem erften Theile
feines Buches verzeichnet. Ca. 240 Handfchriften hat er
felbft unterfucht und befchrieben; die Kenntnifs und Be-
fchreibung anderer hat er aus dem gedruckten Material
entlehnt. Dafs die meiften Handfchriften die römifche
Liturgie bieten, ift wohl felbftverftändlich; nur einige in
Rom und Mailand befindliche machen hiervon eine Ausnahme
; aber diefe find zu bekannt, als dafs fie hier fpeciell
aufgeführt werden müfsten. Dafs es Ebner gelungen ift, bei
feiner fyftematifchen Auffpürung des handfchriftlichen Materials
auf Bücher von hoher Bedeutung zu ftofsen, die von
der Forfchung überhaupt noch nicht beachtet worden find,
nimmt mich nicht Wunder, da wir eben in der metho-
difchen Durcharbeitung des liturgifchen Materials erft in
den Anfängen flehen. Wohl die wichtigfte diefer bisher
unbenutzten Handfchriften ift das gregorianifche Sacramentar
der Capitelbibliothek zu Padua (fignirt D 47)
aus dem 9. Jahrh.; von dem Ebner S. 122—130 eine eingehende
Befchreibung bietet. In den ,Forfchungen' hat
Ebner nicht nur die in italienifchen Bibliotheken vorhandenen
Hss. berückfichtigt, fondern auch die wichtigften
anderer Länder herbeigezogen, und auch hier macht er
auf Handfchriften aufmerkfam, die von der Forfchung
noch kaum berührt find, fo Cod. O, 83 der Capitelbibliothek
in Prag, s. VIII—IX (S. 365!. 379f. und öfter).

In der Befchreibung der Handfchriften hat Ebner
auch auf die künftlerifche Ausftattung fein Augenmerk
gerichtet. Er giebt zuerft die Signatur, die Gröfse, den
Umfang, die Zeit der Handfchrift an; dann fucht er, wo
es geht, ihre Heimath zu beftimmen; zeigt erft unter einem
allgemeinen Titel an, ob die Handfchrift ein Sacramentar
oder Miffale, ambrofianifches Sacramentar oder rö-
mifches etc. enthält; und führt nun den Inhalt, in das
Linzeine eingehend, vor; das Wichtigfte hebt er hervor
und druckt auch hier einzelne kleinere (bisher unbekannte)
Stucke ab Wo ich es habe controlliren können, habe
ich die Inhaltsangaben forgfältig und auch im Grofsen
und Ganzen genügend gefunden. Der 2. Theil der Befchreibung
ift der künftlerifchen Ausftattung gewidmet:
Schmuckftücke werden genannt, die Miniaturen nach Inhalt
und Farbengebung befchrieben. Eine Reihe von Miniaturen
find in Zinkotypie reproducirt; mehrere diefer Re-
produetionen laffen allerdings wegen ihrer Kleinheit an
Deutlichkeit zu wünfehen übrig.

Dem Handfchriftenkatalog läfst Ebner eine Reihe von
Texten folgen; unter 31 Nummern werden meift Mefs-
ordnungen abgedruckt, aber auch die Orationes cottidianac
Gregoriipapae aus dem oben genannten Paduaner Codex
(S. 318—321), ein Kalender aus dem Missale plcniim der
Barberinifchen Bibliothek (Cod. XII, 2), das aus der Kirche
St. Michael in Lyon flammt u. f. w.

Im 2. Theile (,Forfchungen', S. 359—454) wird das
im 1. Theil unterfuchte Material unter Heranziehung von
aufseritalienifchen Handfchriften verarbeitet. Es wird zu-
nächft dargeftellt, dafs ein Missale plentern vor dem
10. Jahrh. nicht nachzuweifen ift, erft im 13. Jahrh. ift das
Missale plentern die Regel, während bis dahin immer noch
neue Sacramentarien angelegt werden. Die Verbindung
der zum Missale pletetem gehörigen Theile {Sacratieeniar,
Graduale und Lectionar) ift eine verfchiedenartige: entweder
werden die Theile nur äufserlich aneinandergefügt,
oder organifch mit einander verfchmolzen. Den Aus-
fchlag zur völligen Herrfchaft des Missale plentern feit
dem 13. Jahrh. gab-das Missale seenndtem consuetudmem
Rotnanae cieriac. Der Stellung des Canons in den römifchen
Sacramentarien gilt die 2. Unterfuchung. Während
er bis an den Anfang des 9. Jahrh. zufammen mit den
tnissae cottidianae am Ende des Sacramentars fleht, rückt
er feit der erften Hälfte des 9. Jahrh. an den Anfang.
Diefe Neuerung wird mit guten Gründen auf Hadrian I.
zurückgeführt. Sie ift auch der Grund, warum man in
den künftlerifch ausgeftatteten Handfchriften für die Prä-
fation und den Canon eine typifche Ausftattung fchuf
(S. 431). Seit dem 11. Jahrh. aber wird aus einem prak-
tifchen Grunde (S. 372) der Canon in die Mitte des
Miffale gerückt, eine Stellung, die durch die gleichzeitig
aufkommende, ihn unmittelbar vor Odern rückende, allmählich
verdrängt wird. — Von befonderer hiftorifcher
Bedeutung ift der .Verfuch einer Gruppirung der Handfchriften
römifcher Sacramentarien' (S. 373—394) und
zwar nach folgenden Rubriken: I. das Sacramentarium
Leonianntn. II. das Sacramcntariatn Gelasianam. 1. das
Gelafianum in der handfchriftlichen Ueberlieferung des
7. Jahrh.. 2. das gregorianifirte Gelafianum des 8. Jahrh.
III. das Sacramentariiene Gregorianum feit dem 9. Jahrh.
1. das hadrianifche Gregorianum ohne (gleichzeitige) Supplemente
. 2. das hadrianifche Gregorianum mit (gleichzeitigen
) Supplementen. 3. das fufionirte Gregorianum
feit dem Ausgange des 9. Jahrh. — Die ,Beiträge zur
Textgefchichte des Canon neissae' (S. 394—429) laffen
erkennen, welchen Veränderungen der Canon im Mittelalter
unterworfen gewefen ift und wie die Völker nördlich
der Alpen im IO. und 11. Jahrh. eine grofse Schaffensfreudigkeit
zeigen. — Die letzte Unterfuchung (S. 429—454)
hat die hiftorifche Entwickelung des künftlerifchen
Schmuckes zum Gegenftande und zeigt, wie um die Wende
des 8. Jahrh. der Eifer für die künftlerifche Ausftattung
fich erhöhte, welche typifchen Formen fie annimmt,
und wie die Heimath reich miniirter Sacramentarien im
10. und 11. Jahrh. Deutfchland und Frankreich war.

Enger und weiter als Ebner hat fich Ehrensberger
die Aufgabe geftellr. Er verzeichnet nicht blofs die
Sacramentarien und Miffalien, fondern alle liturgifchen
Handfchriften, aber nur der vaticanifchen Bibliothek (und
zwar nur die lateinifchen liturgifchen Handfchriften).
Dafs die vaticanifche Bibliothek an liturgifchen Handfchriften
befonders reich ift, dürfte bekannt fein. Vielleicht
können in diefer Beziehung fich mit ihr nur die Nationalbibliothek
in Paris und das British Museum in London
meffen. Auch an uralten liturgifchen Büchern befitzt die
Vaticana eine grofse Zahl; fo das gleich an erfter Stelle
(S. 3) genannte Psalter item et leymnaritem {liegin. 11), das
dem VI./VII. Jahrhundert zugeschrieben wird; ein Lectio-
narium basilicae ss. Philippi et Jacobi aus dem 8. Jahrh.
{Vat. 3835 und 3836. S. 148); und die berühmten Sacramentarien
aus dem 8. Jahrh., deren Durchforfchung fchon
früh im Angriff genommen worden, aber noch nicht ihrem