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Ausgabe:

1898

Spalte:

76-77

Autor/Hrsg.:

Dalman, Gust.

Titel/Untertitel:

Die richterliche Gerechtigkeit im Alten Testament 1898

Rezensent:

Kraetzschmar, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 3.

meiftens die Schwierigkeit des auslautenden i. Warum
fagte man nicht einfach TO, fondern iTÄjj? Falls das Jod
urfprünglich ift, dürfte auch diefe Etymologie nicht über
allen Zweifel erhaben fein. Eine andere Vermuthung, für die
ich allerdings nichts anderes in Anfpruch nehme, als dafs
fie m. W. neu ift, wäre die, dafs i-ittj ein dialectifches Ae-
quivalent von TIPP im Sinne von ,Schleuderer' ift.

S. 32 oben fchliefst fich der Verf. Baudiffin an, der
fagt: ,Die Bäume mit ihrem grünen Laube galten als ein
Zeichen der in der Natur fich offenbarenden, lebenzeugenden
Gotteskraft'. Das ift doch nur eine fehr homöo-
pathifche Verdünnung des Richtigen.

S. 36 Mitte: ,Nahe verwandt mit dem Kulte der
Hunde fcheint mir derjenige der Pferde. Diefe fowohl
wie die Stiere waren bei den Semiten beftimmten Gottheiten
geweiht: Das Pferd ift das Thier des Sonnengottes,
der Stier ift das Zeichen der femitifchen männlichen Gottheiten
überhaupt'. Das ift in diefer Verallgemeinerung
unhaltbar. Weder das alte Israel noch das arabifche
Heidenthum kennt diefe Thiere als heilige. Die Stierbilder
und Sonnenpferde find nach Israel aus Phönicien bezw.
Affyrien importirt worden. Affyrifche und phönicifche
Einrichtungen find aber noch längft nicht urfemitifch.
Ueberhaupt kann vor Urtheilen über Semiten im Allgemeinen
nicht genug gewarnt werden.

S. 40. Man kann zugeben, dafs ,der Gedanke des
theokratifchen Königthums erft dann in Eigennamen zur
Geltung kommen konnte, wenn er wirklich vorhanden war,
d. h. zur Zeit des Königthums in Israel'. Zur Herrfchaft
ift derfelbe aber jedenfalls erft dann gekommen, als das
nationale Königthum nicht mehr exiftirte.

S. 41. Es ift fchwerlich richtig, dafs in dem Namen
des Eunuchen pbl2 "GS der zweite Theil vom weltlichen
Könige zu verftehen ift. Denn alle Höflinge waren ja
königliche Diener.

S. 42 wird gegen Baethgen gut nachgewiefen, dafs
in der altisraelitifchen Ueberlieferung wirklich Reite von
Göttinnenkultus vorhanden find. Indeffen ift noch keineswegs
ficher, in wie weit Aftarte als urfemitifch in Anfpruch
genommen werden kann. Es ift auch daran zu erinnern,
dafs die alten Israeliten keine perfönlich gedachten Gottheiten
im eigentlichen Sinne kannten, fondern Fetifchiften
waren. Für Dfchinnen oder Geifter ift aber die Scheidung
der Gefchlechter nicht fo nothwendig wie für die höheren
Gottheiten.

S. 43. Der Bedeutungsentwickelung des Wortes
3i>3, welche Hoffmann gezeichnet hat, liegt nicht nur, wie
der Verf. meint, etwas fehr Richtiges zu Grunde, fondern
fie ift m. E. in allen Punkten zutreffend. 322 ift zwar ein
urfemitifches Wort, aber keine urfemitifche Götterfigur,
wie auch S. 49 oben behauptet wird.

S. 47. Die Vermuthung K's, dafs 2-pb23 nicht ,Baal
weifs' bedeute, fteht mir fchon längft feft. Ich überfetze
aber nicht ,B. gründet', fondern ,B. bewahrt'. Das arab.
£Oj .deponiren' enthält die Grundbedeutung von 2"p
,wiffen', welches eigentlich behalten, auswendig wiffen,
heifst. In Jü=» ift ein analoger Uebergang noch ganz
deutlich.

In Cap. III, S. 58—73 findet fich eine befonders grofse
Zahl unficherer Vermuthungen, wie es bei der Schwierigkeit
des dafelbft behandelten Stoffes nur natürlich ift.
Es würde zu weit führen, wenn ich in diefe Diskuffion
eintreten wollte. Nur eine Bemerkung fei mir geftattet.
Von Namen wie 2XPIK und ähnlichen auf die Innigkeit des
Familienlebens der Israeliten zu fchliefsen, ift meiner
Meinung nach nicht am Platze. Die Blutsverwandtfchaft
ift fo gut wie bei allen Völkern ein fefter focialer Kitt.
Aber diefelbe hat rein natürliche, phyfiologifche Wurzeln
und verdient deshalb nicht als etwas Befonderes ange-
priefen zu werden. Sentimental zu werden, dazu ift keine
Veranlaffung da.

S. 8off. Ueber bfcC ift fchon viel verhandelt worden.
Trotzdem hat der Verf. geglaubt, die Reihe der Deutungen
J um eine neue vermehren zu müffen. Ich führe diefelbe
I wörtlich an, nur dafs ich die angewandten Keilfchrift-
zeichen als unnütz bei Seite laffe. ,P. de Lagarde beftimmt
die Wurzel PJ3X (in Zufammenhang mit der Präp. bat) als
jhinftreben, fich hinwenden zu etwas', bü ift dann der,
j welchem man zuftrebt, an den man fich wendet. Dies
fcheint mir formell, wie inhaltlich die richtige Deutung
zu fein, wie aus dem Affyrifchen klar hervorgeht, das
Lagarde bei feinen Ausführungen nicht herangezogen hat.
Hier nämlich ift das Zeichen, welches den Silbenwert ,an'
hat, zugleich Ideogramm für ilu ,Gott' (dann überhaupt
I Determinativ vor Götternamen) und samü ,Himmel' und
| wird auch durch kakkabu ,Stern' überfetzt; ana als Prä-
pofition bedeutet (etwa dem Hebräifchen 3 entfprechend)
,zu, nach etwas hin' und Anu ift Gottesname. Wir ftehen
alfo hier unverhofft vor derfelben Vorftellungsreihe, wie
fie Lagarde's meift etymologifchen Ausführungen zu
Grunde liegt: etc.' —

Ich meine, dafs der Verfaffer mit diefer Argumentation
Lagarde einen fehr fchlechten Dienft geleiltet hat.
Aus dem von ihm beigebrachten Material ift ein ganz
anderer Schlufs zu ziehen. Wenn ein Keilfchrift-Zeichen,
welches den Silbenwerth an hat, gleichzeitig Ideogramm
für Sorna Himmel ift, fo folgt daraus, dafs bei dem Volke,
welchem die Affyrer ihre Schrift entlehnt haben, der
Himmel eben anu hiefs. anu ift alfo als fumerifche Vokabel
anzufprechen. Damit fällt das Kartenhaus des Verf.
zufammen. Lagarde's Etymologie ift fchon allein aus
grammatifchen wie religionsgefchichtlichen Gründen un-
wahrfcheinlich. Freilich ift auch die Etymologie Th.
Nöldeke's nicht unbedingt ficher. Die Bedeutungen,Führer,
Herr, Erfter' gehen mir zu fehr von monotheiftifchen Vor-
ausfetzungcn aus und bleiben unbegreiflich, fobald man
an die Geifter der eloliim denkt. Indeffen braucht ein
fo altes Wort ebenfo wenig wie z. B. 3S Vater eine Etymologie
zu haben.

S. 94. Es fcheint mir nicht angemeffen, alle Volksetymologien
über einen Kamm zu fcheeren. So ift die
überlieferte Deutung von Samuel = 3it3PK)© viel beachtenswerter
als K.'s Deutung.

Unbefchadet diefer Ausheilungen verdient das Buch
das Lob, welches ihm Eingangs gefpendet worden ift, in
jeder Beziehung und mufs der Beachtung der Fachgenoffen
angelegentlich empfohlen werden.

Strafsburg i. E. Fr. Schwally.

I Dalman, Prof. Gust, Die richterliche Gerechtigkeit im Alten
Testament. (Studien zur bibl. Theologie, 2. Heft.) [Aus:
Kartell-Zeitg. akad. theol. Vereine auf deutschen Hochschulen
.] Berlin, [G. Nauck], 1897. (19 S. 8.)

Dalman bietet mit vorliegendem Schriftchen einen
1 werthvollen Beitrag zu der für die gefamte biblifchc Theologie
wichtigen Frage nach dem Begriffe der Gerechtigkeit
im Alten Testament. — Ausgehend davon, was wir
unter dem Begriffe der richterlichen Gerechtigkeit gemeinhin
verftehen und als deren Bethätigung anfehen, ftatuirt
er zunächfi in der jüdifchen Litteratur der erften nach-
chriftlichen Jahrhunderte eine davon völlig abweichende
Auffaffung. flpTS bezeichnet hier die Milde des Richters,
der dem ftrengen Rechte feinen Lauf nicht läfst, —
wogegen das, was wir als Gerechtigkeit bezeichnen,
unter dem Namen des yr erfcheint. Auch aufserhalb
der Rechtsfphäre zeigt fich diefer Gebrauch von TpTi
('2 P!©2 ift vielfach für altteft. lOPl P!©2 eingetreten); er
reicht zurück bis ins Alte Teftament (Dan. 424). Sodann
wendet fich D. zur Unterfuchung des altteft. Begriffs der
richterlichen Gerechtigkeit, um zu zeigen, wie jener fpäte
! Gebrauch von '2 allmählich entftand. Er geht dabei,
I durchaus richtig, von der Gerechtigkeit der menfehlichen