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Ausgabe:

1898

Spalte:

65-70

Autor/Hrsg.:

Bernoulli, Carl Albrecht

Titel/Untertitel:

Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode in der Theologie 1898

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung.

Herauso-eo-eben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Göttingen.

Erfchcint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. HinrichsTche Buchhandlung. jährlich 18 Mark

N°- 3. 5- Februar 1898. 23. Jahrgang.

Bernoulli, Die wilTenfchaftliche und die kirchliche
Methode in der Theologie (Herrmann).

Gerber, Die hebräifchen Verba denominativa
(Philippi).

Kerb er, Die religionsgefchichtliche Bedeutung
der hebräifchen Eigennamen des Alten Tefta-
ments von neuem geprüft (Schwally).

Dal man, Die richterliche Gerechtigkeit im
Alten Teftament (Kraetzfchmar).

Stockmeyer, Exegetifche und praktifche Erklärung
ausgewählter Gleichnifse Jefu (Jülicher).

Moeller, Lehrbuch der Kirchengefchichte,

1. Bd. I. Abth. 2. Aufl. neu bearb. von von

Schubert (Loofs).
Kutter, Clemens Alexandrinus und das Neue

Teftament (Krüger).
Vollert, Die Lehre Gregors von Nyffa vom

Guten und Böfen und von der fchliefslichen

Ueberwindung des Böfen (Krüger).
Lindner, Die fogenannten Schenkungen Pip-

pin's, Karls des Grofsen und Otto's I. an die

Päpfte (Krüger).

Martens, Beleuchtung der neueften Contro-
verfen über die römifche Frage unter Pippin
und Karl dem Grofsen (Derf.).

Ebner, Quellen und Forfchungen zur Gefchichte
und Kunftgefchichte des Missale Romanum
im Mittelalter (Gerh. Ficker).

Ehrensberger, Libri liturgici bibliothecae
apostolicae Vaticanae manu scripti (Derf.).

Simons, Niederrheinifches Synodal- und Gemeindeleben
,.unter dem Kreuz" (Fay).

Bernoulli, Priv.-Doz. Carl Albr., Die wissenschaftliche und |
die kirchliche Methode in der Theologie. Ein encyklo-
pädifcher Verfuch. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1897. j
(XV, 229 S. gr. 8.) M. 3.20

Sobald die Theologie Wiffenfchaft wird, mufs fie dem
Glauben gefährlich werden. Es wäre fehr zu wünfehen,
dafs diefe ernfte Thatfache in der evangelifchen Kirche
richtig gewürdigt würde. Wir würden uns dann alle vor
die einfache Frage geftellt fehen, ob wir um des Glaubens
willen die Wiffenfchaft einfehränken oder die Nöthe, j
die ihr freier Betrieb uns ficher einbringt auf uns nehmen
wollen. In der evangelifchen Kirche wird man Geh
immer für das zweite entfeheiden, fobald überhaupt klar
wird, dafs es fich hier wirklich um ein entweder oder
handelt. Denn fo viel weifs man bei allen kirchlichen
Richtungen von evangelifchem Chriftenthum, dafs es da
ein Ende hat, wo die Furcht vor der Wahrheit anfängt, zu
herrfchen. Eine Kirche, die fich um der Seligkeit willen
gegen die Forfchung nach der Wahrheit abfperrt, gründet
zwar tief in der menfehlichen Natur, aber nicht in Jefus
Chriftus. Sie ift überhaupt nicht chriftliche Kirche.

Aber fo leicht uns die Entfcheidung im Allgemeinen '
wird, fo fchwer ift ihre Durchführung im Einzelnen.
Denn die Ueberlieferung, die wir der wiffenfehaftlichen
Arbeit zur Unterfuchung überlaffen follen, ift uns das
Wort Gottes geworden, woraus wir ihn am deutlichften
vernehmen. Wer von diefem religiöfen Erlebnifs aus auf
die Ueberlieferung zurückblickt, weifs, was er von ihrem
Inhalt zu halten hat. Er fieht darin die Macht, die ihn
mit Gott verbinden kann. Der Inhalt der Ueberlieferung
hat gerade fo, wie er ihn aufgefafst hat, diefe Kraft be-
wiefen. Der Chrift mufs daher den Eindruck haben, er
laffe die Hand los, die ihm Gott gereicht hat, wenn er
fich zu einer anderen Auffaffung des gefchichtlich Gegebenen
bringen laffe. Da nun die gefchichtliche Forfchung
fortwährend zu einer folchen Aenderung drängt,
fo droht fie uns das gefchichtlich Gegebene, das uns zur
Offenbarung Gottes geworden ift, zu zerftören. Bekanntlich
liegt nun die Grenze des Erträglichen in diefer Beziehung
nicht für alle Chriften an derfelben Stelle. So kommt
es, dafs jeder von uns andere Chriften wegen ihrer Furcht
vor der Wahrheit fchelten kann, aber darauf gefafst fein
mufs, dafs ihn felbft einmal die gleiche Anklage trifft.

Wir alle kennen die durch diefe Sachlage der evangelifchen
Theologie bereitete Verlegenheit. Wir können es
daher verliehen, wenn junge Theologen, die fich einen klaren
Weg fchaffen wollen, fich die Aufgabe ftellen, der Noth
ein Ende zu machen. Es ift aber erftens fraglich, ob nicht
die Noth die man befeitigen möchte, im Grunde die

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Spannung ift, ohne die das Leben, das man befreien
will, erlöfchen müfste. Vielleicht müffen wir uns damit
begnügen, die Lage fo zu geftalten, dafs fie eine fittlich
klare aber unendliche Aufgabe ergiebt. Der Zuftand
des wirklich lebendigen Glaubens ift doch nicht eine
unerfchütterliche Gewifsheit, fondern ein Kampf mit
Niederlagen und Siegen. In diefem Kampfe mufs auch
der Grund des Glaubens immer wieder neu gewonnen
werden. So mufs es fein. Denn nicht das Selbftver-
ftändliche hilft uns, fondern in jedem Moment nur das,
was wir als wunderbare Gabe erleben. Deshalb ift es
freilich eine Gefahr für den Glauben, dafs uns die Perfon
Jefu immer wieder verhüllt werden kann. Eine befonders
acute Form diefer Gefahr liegt in der Thatfache, dafs
die hiftorifche Forfchung die gefchichtliche Erfcheinung
Jefu nothwendig in das Gebiet des Relativen und Unfichern
ftellt. Aber der Glaube lebt von der immer neuen Erfahrung
, dafs das perfönliche Leben Jefu alle Hüllen
durchbricht und durch feine eigene Kraft uns über folche
Gefahren hinweghilft. Alfo eine allen Schwankungen
entnommene Sicherheit giebt es für den_ chriftlichen
Glauben, der fich an das Gefchichtliche klammert überhaupt
nicht. Aber wenn wir nur in der Ueberlieferung
nichts weiter fuchen als das perfönliche Leben Jefu und
feiner Heiligen, fo wird uns immer wieder in dem gefchichtlich
Fliefsenden das ewig Fefte berühren. So
wird uns das religiöfe Zutrauen zu der Ueberlieferung
fittlich möglich. Dagegen fleht es immer mit dem fittlichen
Gebot in verborgenem oder offenem Widerfpruch, wenn
es nicht an den perfönlichen fondern an den fachlichen
Inhalt der Ueberlieferung geknüpft wird.

Sodann handelt es fich darum, ob die richtigen Mittel
zur Klärung der Lage ergriffen, ob alfo die beiden Glieder
des Gegenfatzes, der in dem Leben des evangelifchen
Chriftenthums befteht, richtig erfafst sind. In dem vorliegenden
Buch ift das nicht gefchehen. Nach B.'s
Meinung flehen fich gegenüber wiffenfchaftliche Erkennt-
nifs und kirchliches Bedürfnifs. In Wahrheit liegt die
Spannung in dem unvermeidlichen Gegenfatz der wiffenfehaftlichen
Arbeit und der Erfahrung der chriftlichen
Religion.

Auf eine unveränderliche Auffaffung gefchichtlicher
Gröfsen find wir doch nicht erft deshalb angewiefen,
weil wir die Kirche wollen und an die Hilfe denken,
die wir anderen zu leiften haben. Wir nehmen vielmehr
eine folche Stellung ein, weil wir felbft chriftliche Religion
haben. Chriftlichen Charakter hat unfere Religion dann,
wenn das, was wir an Jefus und feinen Jüngern erfahren
haben, uns das Herz füllt, fobald wir der Wirklichkeit
Gottes inne werden. Beftimmte gefchichtliche Anfchau-

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