Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1898

Spalte:

666-667

Autor/Hrsg.:

Réville, Jean

Titel/Untertitel:

Paroles d‘un Libre-Croyant 1898

Rezensent:

Lobstein, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

66s Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 25. 666

getheilten Meinung, dafs per contactum das Profane heilig
werde. Aber wie der Engländer Robert Pullus durch
heftigfte Polemik die Intinctio, die er nach Joh. 13 20 f.
eine Judas-Communion nannte, zurückdrängte, fo war es
auch ein Engländer, der Erzbifchof von Canterbury
Johann Peckham, der, um das sub una durchzufetzen,
jene fromme Meinung, per contactum'' zerftörte (1281)
und die Mifchung zum blofsen Spülkelch hinabdrückte.
Nun betraten auch die höchften Behörden den Weg
der Kelchentziehung; nicht plötzlich, fondern nach und
nach wird etwa nur an den Hauptaltären der Kelch den
Laien nicht gereicht, an anderen Orten empfangen fie
ihn nur an hohen Feften u. f. w., und durch päpftliche
Dispenfe und Privilegien, an denen befonders das 14. Jahrh.
fo reich ift, wird nur einzelnen Bevorzugten der Kelchempfang
geftattet, damit aber allen Anderen unterfagt.
Erft im 15. Jahrh. wird in Böhmen den Laien der Kelch
entzogen — das ift der Grund der hufitifchen Kelchbewegung
; das Konftanzer (und Bafeler) Concil befchlofs
endgültig die Communio sub una, aber erft Benedict XIV.
(1740—1758) vermochte fie völlig durchzufetzen. Wir
übergehen die Abfchnitte, in denen das Verhalten der
Mönchsorden und des Volkes zu der Kelchentziehung
dargeftellt wird; Roms tolerariposse befonders den Bene-
dictinem gegenüber, die theilweife bis Ende des 18. Jahrh.
die Vollcommunion fich bewahrten, und Roms ebenfo
zielbewufstes wie kluges Verfahren in der Leitung der
Volk.sftimmung treten gleich bedeutfam hervor. Eine
befondere Art der Kelchfpendung behandelt das zweite
Capitel (S. 43—75), das ,Zur Gefchichte des Spülkelches
' werthvollc hiftorifche Nachweife über dies noch
immer dunkele Gebiet uns giebt. Bis ins 5. Jahrh. läfst
es fich zurückverfolgen, dafs den Communicanten empfohlen
wird, fofort nach der Communion ein Frühftück
zu fich zu nehmen, damit nicht per Sputum vel vomitum
etwas von der heiligen Speife verloren werde; Joh. Bele-
thus(ca. 1170) giebt uns Kunde, dafs manche Kirchen aus
demfelben Grunde die Einrichtung getroffen haben, nach
der Meffe den Communicanten Brot und Wein darzureichen
, und noch aus dem Jahre 1518 liegt eine Bentheimer
Urkunde vor, nach der ein Ehepaar zur Ehre des
Altarfacramentes eine Brot- und Weinfpende für alle
Communicanten geftiftet hat. Aus demfelben Intereffe
hat der Spülkelch in der Meffe, der zum Verfchlucken
der Hoftie den Communicanten gereicht wurde — zuerft
urkundlich bezeugt durch die Synode zu Lambeth 1281—,
feinen Urfprung, ebenfo der Brauch, das Gemifch von
profanem Wein und Waffer, womit der Priefter feine
Finger gereinigt hatte, den Kranken zum Trinken zu
geben. Auf diefe Benutzung des Spülkelches ift auch
der fog. Laienkelch in Wefel zurückzuführen; mit der
Communio sub utraque hat er nichts gemein. Unter dem
Volk erhielt lieh lange die Meinung, der Spülkelch fei
der heilige Kelch; die Kirche traf zwar zur Bekämpfung
diefer Meinung die Einrichtung, andere Kelche, gläserne
und zinnerne, als Spülkelch zu benutzen, fie erklärte
jene Meinung für eine Sünde, die in der Beichte geahndet
wurde, aber lange Zeit umfonft. Einfchneidende
konfeffionelle Bedeutung gewann der Spülkelch bei
Feftftellung des Normaljahres 1. Januar 1624, nach dem
Weftfälifchen Friedensfchlufs im Bistum Osnabrück.
Smend theilt eine Anzahl höchft intereffanter Documente
mit, aus denen hervorgeht, mit welchen Spitzfindigkeiten
man zu beweifen fucht, dafs die Communia sub utraque
im Jahre 1624 nur Schein gewefen fei; der Spülkelch
fei dargereicht worden, — und die Gemeinden wurden
rekatholifirt. Der Nachweis über die heutige Verbreitung
des Spülkelches und die Mittheilung von Urkunden zur
Gefchichte desfelben befchliefsen das intereffante Capitel.
Das dritte Capitel behandelt andere Kelche und
Spenden im Mefsgottesdienft, wodurch theilweife alt-
heidnifche Gebräuche ihr Leben frifteten. ,Der Johanniskelch
und feine Verwandten', .Charitative Spenden in

I der Meffe', ,Zur Gefchichte der Eulogien' find die Abfchnitte
diefes Capitels betitelt. .Schlufsgedanken' und
ein Namen- und Sachregifter befchliefsen das Werk.

Wir haben nur eine Ueberficht über den reichen
Inhalt der Schrift Smend's geben wollen. Das Buch
ift mit der Sorgfalt und Zuverläfligkeit gearbeitet, von

' der der Verfaffer in feiner Schrift ,Die evangelifchen
deutfehen Meffen bis zu Luthers deutfeher Meffe' (1896)
ein fo treffliches Specimen gegeben hat. Es ift eine werthvolle
liturgifche Monographie; die äufsere Ausftattung
läfst allerdings ihren inneren Werth nicht erkennen.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Reville, Past. Jean, Paroles d'un Libre-Croyant. PreMicatiori
moderne de l'Evangile. Paris, Fifchbacher, 1898.
(IV, 324 S. 8.)

Diefe religiöfen Reden und Vorträge des auch unter
uns rühmlich bekannten Herausgebersder Revue de Fhistoire
des religions find im Laufe der letzten Jahre vor ver-
fchiedenen zum gröbsten Theil aus Proteftanten reformirter
Confeffion gebildeten Zuhörerfchaften in Paris, Dieppe,
Hävre, Genf, Strafsburg gehalten worden. Die zwölf
Studien lehnen fich zwar an Schriftftellen an, follen aber
nicht eine eigentliche Erklärung derfelben fein, fondern
entwickeln in freier Weife den durch die gewählte Stelle
angedeuteten religiöfen oder ethifchen Gegenftand. Wir
geben in Kürze den Inhalt der geiftvollen und anregenden
Reden an. Num. I handelt von der .chrilllichen Methode',
welche nach dem Vorbild Jefu (Mth. 5, 17) nicht auf-
löfend fondern erfüllend zu verfahren, nicht Revolution,
fondern Reform anzuftreben hat. Num. II feiert ,die
Unzerftörbarkeit der Religion' und will aus der Gefchichte
des Menfchengefchlechtes und aus der Erfahrung der
einzelnen Menfchenfeele die Ausfage erhärten: Fhomme
revient toujours a Dien. Num. III erblickt die Aufgabe
der modernen Predigt und die Burgfchaft ihrer Wirkung
| in der Rückkehr zur .Einfachheit' des von allen fpäteren
[ menfehlichen Zuthaten befreiten Evangeliums. Diefe
Rückkehr zum Evangelium ftellt nach Num. IV den
wahren Sinn des .Kommens zu Chriftus' dar. Num. V
! ift für die Auffaffung des Verf. von der Sünde bedeutfam:
die erfte Bedingung des moralifchen Fortfehritts ift das
Innewerden des menfehlichen Elends. Num. VI ift ,der
göttlichen Offenbarung' gewidmet, deren Allgemeinheit'
j der Verf. in beredten Worten erhebt und die er als eine
im verborgenen Heiligthum der Seele fich vollziehende,
der fuchenden Seele fich bezeugende Kundgebung Gottes
| fafst. Num. VII erörtert das Wefen des durch das
Evangelium geforderten und geweckten Glaubens: der-
felbe fei nicht eine Wiffenfchaft, fondern ein Act des
Vertrauens. Num. VIII gilt dem Verhältnifs der Religion
zur Sittlichkeit und findet in dem Glauben an das Un-
fichtbare die Quelle des im Handeln fich bethätigenden
inneren Lebens, lasource de FInspiration morale. Num. IX
j verlegt den Mittelpunkt und die Seele der Religion in
die Selbfthingabe, das Opfer: das Chriftenthum ift die
Religion des Kreuzes (Luc. 9, 23—25). Num. X fchildert
' die serenite de Farne pieuse als einen wefentlichen
Charakterzug des Chriftenlebens. Nach Num. XI ift die
! ,chriftliche Einheit' weder durch die kirchliche Verfaffung
| noch durch das Dogma bedingt; fie ift ethifcher Natur
I und verwirklicht fich in der Gemeinfchaft des Glaubens
; und der Liebe. Den Abfchlufs (XII) bildet eine Meditation
über das ewige Leben: das Evangelium giebt
keine theoretifche Erklärung von dem Geheimnifs unferer
■ Beftimmung, es begründet aber die praktifch religiöfe
Gewifsheit des bereits hienieden unferer Erfahrung zugänglichen
ewigen Lebens.

Aus diefer dürftigen Inhaltsangabe erhellt, dafs die
in vorliegendem Buche enthaltenen Reden und Vorträge
I einen vorwiegend apologetifchen Charakter an fich trager.