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Ausgabe:

1898 Nr. 2

Spalte:

48-50

Titel/Untertitel:

Anecdota Maredsolana seu monumenta ecclesiastica antiquitatis ex mss. codicibus 1898

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 2.

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vol. 1 und II anführt, wird man in den Präfationen beider
Bände finden. Und direct zum Commentator wird der
Herausgeber, wenn er zu 1194,5 unter Anführung von
Beweifen vermerkt, hier meine Ambrofius den Eunuchen
Valentinian's II, Calligonus. Aber wer wird zürnen, wenn
er mehr empfängt, als er erwarten dürfte? Auch von
den Vorreden gilt dies Lob; fie befchränken fich keineswegs
auf eine zufammenhängende Darlegung der Ueber-
lieferung der Texte und der Grundfätze, nach denen der
Verf. die vorhandenen Zeugen benutzt hat, fondern über
Anlage, Charakter und Tendenz, über die Abfaffungszeit
und die Quellen der einzelnen Schriften werden wir
orientirt. Dafs Sch. fo oft unter Hinweis auf J. Kellner
(Der h. Ambrofius als Erklärer des A. Ten. 1893) eine
Verpflichtung, die exegetifche Kunft des Ambrofius zu
kritifiren, abweift, zeigt nur, wie verführerifch ihm diefe
Aufgabe dünkte; die rhetorifche oder fchriftftellerifche
Gröfse feines Autors begeiftert zu feiern, findet er denn
auch Gelegenheit. Die literargefchichtlichen Unterfuchun-
gen der Pracfationes werden der Beachtung der Kirchen-
hiftoriker nicht entgehen; die Vorficht, mit der Sch. ins-
befondere auf zu genaue Zeitbeftimmungen verzichtet,
verdient durchaus Billigung. Insbefondere verweife ich
auf die Bemerkung unter den Addenda 1fjj, dafs die
Einführung des Gemeindegefangs in der mailändifchen
Kirche vielleicht nur allmählich hat durchgefetzt werden
können und das Jahr 386 nur das Ende diefes Proceffes
bezeichnet: eine Warnung in der Chronologie der am-
brofianifchen Schriften mit dem Jahre 386 zu ficher zu
operiren. Die von Sch. vorgenommene Trennung des
Tractats de fuga saeculi von de bono mortis und feine
Einordnung hinter de patriarcliis mag Manchem unerheblich
erfcheinen, aber zweifellos wichtig ift es, dafs
Sch. bei dem corpus, das unter dem Namen de inter-
pellatione Job et David läuft II, 209—296, den bisher als
zweites Buch gezählten Tractat an die letzte Stelle gerückt
hat, fo dafs aus 11. III und IV nun II und III geworden
find. Die älteften Handfchriften hat er hierin nicht auf
feiner Seite, aber bei der jetzigen Ordnung kommt der
äufsere Zufammenhang wie die Gleichartigkeit der Plal-
tung erft zum Recht; die nunmehr vierte Abhandlung dürfte
fpäter verfafst worden fein, um das Thema der drei
übrigen auch den Anforderungen der geiftlichen Exegefe
entfprechend zu erörtern, und wurde wohl durch verkehrten
Scharffinn eines alten Schreibers hinter den erften
Tractat eingefchoben.

Dafs in den Vorreden die loci Vergiliani, Horatiani
und dgl. bei jedem einzelnen Buch aufgeführt werden,
fcheint mir unpractifch; ficher empfähle fich eine zu-
lämmenfaffende Befprechung des Verhältnifses unfers
Autors zur claffifchen Literatur, und eine ovidifche
Phrafe kann doch nicht unter den Quellen etwa des
Hexameron neben den Arbeiten des Hippolyt und des
Bafilius auftreten. Selbft über die Ambrofius-Handfchriften
hätte m. E. in einer grofsen Praefatio nutzbringender
und überfichtlicher gehandelt werden können als bei der
Verzettelung in eine Reihe von Vorreden, wo unzählige
Verweifungen unvermeidlich find, und von dem fonttigen
Inhalt der Vorworte gilt das erft recht: aber vielleicht
hat der Herausgeber in diefem Punkte fich den Verfügungen
der Leiter des Unternehmens unterworfen.

Dagegen trägt er gewifs die Verantwortung für den
einzigen erheblichen wenn auch nur beläftigenden, nicht
Fehler fchaffenden Mangel diefer Ausgabe, die — wunderliche
Orthographie. In der Vorrede zu I p. LXXXIIf.
fpricht fich Schenkl über die Grundfätze, nach denen er
da verfahren fei, aus: da die Handfchriften enorm von
einander abwichen, habe er fich an die älteften gehalten,
doch ohne folche Unregelmäfsigkeiten wie die Schreibung
philosofia, inquid scribsi (neben den fonft üblichen) mitzumachen
. Bei einigen Worten, wo die Schreibart
fchwanke wie quidquid neben quiequid, fei er immer den
beften Codices gefolgt und habe ebenfo die Affimilation

der Präpofitionen conformirt nach der Autorität der
Handfchriften ,qui in librorum singulorum contextu consti-
titendo primum locuni obtinent1. Dafs dies Princip an und
für fich bedenklich ift, leuchtet ein; ein Manufcript kann
alt fein und vorzügliche Lesarten aufbewahren, trotzdem
aber in fchändlicher Orthographie geschrieben fein
— diefer Fall ift fogar recht häufig —, und fpeciell für
Ambrofius mufs dies Schenkl II p. XXI f. durch feine
Mittheilungen über die Orthographie des uralten Bono-
niensis (z. B. convalcscitae, relinquid, im me ft. in me) be-
ftätigen. Allein, da wir nicht wiffen, welcher Orthographie
fich Ambrofius oder feine Notare bedient haben,
mag der Philologe nach feinem Ermeffen über das in
den opera Ambrosii anzuwendende orthographifche Syftem
entfeheiden, dafs aber — und zwar innerhalb ein und der-
felben Schrift — alle möglichen Schreibweifen vorkommen
, kann nie gebilligt werden, zumal es fich manchmal
fchon um mehr als blofs um Schreibweifen handelt. Wenn
Sch. doch in den Eigennamen fo confequent verfährt, dafs
er z. B. Solomon in den Text nimmt, auch wo alle Zeugen
Salomon bieten, warum bekommt man dann aput neben
apud zu lefen (I 36, 17 und I 58, 20 — im Folgenden laffe
ich die Belege, die maffenhaft zur Verfügung flehen, weg
und befchränke mich überhaupt auf wenige Beifpiele),
incohare neben inchoarc, helefantns neben clefantus, cot-
tidie neben cotidie, rutundus neben rotiuidus, ingemisco
neben ingemesco, parvolus neben pai-vulus, cludere [neben
claudere, (auch defrudetur wird I 301, 13 in den Text
aufgenommen), relincuntur neben relinquunt, pulcre
neben pulclire, faetor neben fetent, lhittauicis neben
Brittanuiac, subfulcio neben sufftdeio, inperare neben Imperator
, conrumpo neben corrumpo, adscribo neben
ascribo, aber fogar fraglare neben fragrare, aliqui als
Nom. sing, neben aliquis, laborantum und navigantum
neben distantium und nascentium, fruetum als Gen. plur.
neben fluetuum — und mcnsuum — Jordancs neben
Jordanis als Nominativ, und ebenfo (fogar in einer Zeile
abwechfelnd II 430,14) fames neben famis. Diefer Wirrwarr
kommt ja zum gröfsten Theil auf Rechnung der
Handfchriften, aber was von Ungleichmäfsigkeiten fich
in der alten Handfchrift begreift, weil der Schreiber
zwifchen feiner Orthographie und der in feiner Vorlage
angewandten fchwankt und mit Gleichgültigkeit gegen
diefe Dinge auch Unbildung verbindet, läfst fich in einer
Textausgabe von 1896 und 97 nicht vertheidigen. Der
Index orthographicus, auf den Schenkl I p. LXXXIII verhöhnend
verweift, kann, felbft wenn er noch vor 1910
erfcheinen follte, den Lefer nicht entfehädigen für die
zahllofen Anftöfse, die er auf jeder Seite hat nehmen
müffen, und ich bedaure, dafs das Gefühl aufrichtiger
Dankbarkeit für den Verfaffer einer fo wichtigen Ausgabe
bei mir oft geftört worden ift in Folge eines Ver-
J Pahrens, das eine feltfame Mifchung von Pedanterie und
Formlofigkeit darfteilt. Bei der Herftellung eines Textes
aus einer Maffe von fpäteren Abfchriften müffen andere
Regeln gelten wie bei der Wiedergabe von Autographen.

Marburg. Ad. Jülicher.

Anecdota Maredsolana seu monumenta ecclesiastica
antiquitatis ex mss. codieibus nunc primum edita aut
denuo illustrata. Opera et studio Presbyt. D. Germani
Morin, O.S.B. Vol. III, pars 2. Maredsoli. Oxford,
J. Parker & Co., 1897. M. 15.—

III, 2. Hieronymi, Sancti, presbyteri tractatus sive homiliae in
Psalmos, in Marci evangelium aliaque varia argumenta, l'artem nu-
per detexit, partem adulteris mereibus exemit, auetori vindieavit,
adiectisque commentariis criticis primus ed. M. (VIII, 423 S.).

Der gelehrte Benediktiner Morin, dem fchon die Auffindung
der verloren geglaubten Commentarioli des Hieronymus
zu den Pfalmen {Contra Rufin. lib. I, 19) gelang
{Anecdota Maredsolana Vol. III, Pars. I), legt dem ge-