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Ausgabe:

1898 Nr. 24

Spalte:

634-637

Autor/Hrsg.:

Meyer, Heinr. Aug. Wilh.

Titel/Untertitel:

Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament. 12. Abth.: Die Briefe Petri und Judae. 6., verm. u. verb. Aufl 1898

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 24.

634

Z. 16 ,die Auszügler aus Micrajim' mögen noch hingehen
, da der Sinn der betreffenden Stellen noch erkennbar
bleibt. Arg und heillos wird aber die Sache, wenn
durch ein Deutfch, das keines ift, die überfetzten Stellen
einen falfchen Sinn erhalten oder in puren Unfinn verwandelt
werden. So z. B. Sp. 27 Z. 19: ,Wenn man eine
Tenne aushöhlt, um daraus eine Hütte zu machen' (gemeint
ift, wenn man in einem Garbenhaufen durch
Entnahme mehrerer Garben einen hohlen Raum fchafft, um
diefen als Hütte zu benutzen), Sp. 23 Z. 38: ,Worin be-
fteht ihr Streit' (ftatt .worauf gründet fich ihr Streit) od.
Sp. 14 Z. 4: ,Hat man ein Haus mit Stroh oder Spanen
gefüllt, fo werden fieals nicht vorhanden betrachtet'
(wo im Gegentheil, weil fie zur Ausfüllung des Raumes
dauernd vorhanden find, ihre frühere Bedeutung als
Stroh etc aufgehoben ift). Nach G.'s Ueberfetzung lefen
wir gar im Talmud, dafs 6— 1=4 W. Sp. 24 Z. Ii:
,das lind nämlich fechs, ziehe eins ab, lo bleiben es (!)
vier". (Gemeint ift eine Rechnung wie folgt: 2 + 2 + 2=6;
läfst man einen Pollen, eine Stelle davon (=2) weg,
fo erhält man vier.) Solcher Stellen, deren Sinn wohl G
gekannt die er aber dennoch im Deutfchen ganz falfch
wiedergegeben hat, giebt es eine fchwere Menge. Weniger
Unwiffenheitals TJnachtfamkeit verrathen Ueberfetzungen
wie z. B. Sp. 8 Z. 45 ,bis 25 Ellen' (im Texte heifst es
wörtlich, bis 40 oder 50 Ellen' d. h. fo hoch es auch
immer fein mag), Sp. 9 Z. 40: ,hier handelt es von ihrer
eigenen Kammer (ftatt, hier handelt es fich um die
Kammern drin'). Hierher gehört auch, dafs ganze Satze
des Textes in der Ueberfetzung ausgelaffen find (z. B.
Sp 10 Z. 8 vor .Mancher', Sp. 25 Z 7 vor ,Da') und dafs
der Ueberfetzung kein Hinweis auf die ftereotype Blattzahl
, wonach der Talmud citirt zu werden pflegt, beigegeben
ift, wodurch die Benutzung der Ueberfetzung beim
Vergleichen einzelner Stellen oder beim Nachfchlagen
fehr&erfchwert, ja faft unmöglich wird.

Die aus der grofsen Zahl der Ueberfetzungsfehler
herausgegriffenen Proben laffen erkennen, wie es um die
Brauchbarkeit und die Zuverläffigkeit der Ueberfetzung
beftellt ift. Auf die .kurzen Erklärungen' die, wie z. B.
Note 120. 122. 128 im Abfchnitt I voll Fehler find, näher
einzugehen, ift hier nicht der Ort. Nur noch eine kurze
Bemerkung, die für G.'s Methode charakteriftifch ift.
In der .Einleitung' Bd. I S. XIV behauptet G. ,dafs die
biblifchen Citate )im Talmud] für die Textkritik des A.
T. nicht von geringfter Bedeutung find' und ,dafs felbft
die Abweichungen im Wortlaut nur Fehler find'. Diefe
Behauptung richtet fich gegen den ihm früher gemachten
Vorwurf, dafs er in feiner angeblichen Vorlage, der
,cditio prineeps' die vom mafforet. Text im Wortlaut
abweichenden biblifchen Citate, die erft in den fpätern
Drucken möglichft dem mafforet. Text angepafst worden
find, völlig unbeachtet gelaffen und diefe Thatfache noch
durch eine ganz unwahre Angabe zu vertufchen geflieht
hat. Diefe Rüge glaubt er gegenftandslos zu machen,
indem er .betont, dafs felbft die Abweichungen im Wortlaut
nur Fehler [von Seiten des Talmud] find'! Damit
aber bekundet er eine fchlimme Unwiffenheit, da er nicht
nur die ganze bei Buhl, Kanon und Text § 36 verzeichnete
Litteratur, fondern auch den jedem Talmudlefer bekannten
und fogar von derjüdifchen Praxis anerkannten
Satz: miOBrl bJ> pb'fi TTabm d. h. der Talmud hatte
einen anderen Bibeltext als die Maffora (vgl. Jes. Berlin,
Additamenta zu Natan's Aruch s. v. tlUCü), als nicht vorhanden
anfleht. Solche Ignoranz zeigt, dafs G. entweder
wiffenfehaftliche Dinge nicht ernft nimmt, oder dafs er in
wiffenfehaftlichen Angelegenheiten nichternftzunehmen ift.

Leipzig. I- I- Kahan.

Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament,

begründet von Heinr. Aug. Wilh. Meyer. 12. Abth.
Die Briefe Petri und Judae. Von der 5. Aufl. an bearbeitet
von Prof. Dr. Ernst Kühl. 6. verm. und
verb. Aufl. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1897.
(462 S. gr. 8.) M. 6.—; geb. M. 7.50

In diefer neuen (6ten) Ausgabe des Meyer'schen
Commentars über die genannten drei Briefe unternimmt
Herr Profeffor Kühl den Verfuch, die Authentie des
I. Petrus- und des Judas-Briefes fowie die des 2. Petrus-
I Sendfehreibens — mit Ausnahme des vom Jud.-Br. ab-
j hängigen, interpolirten apokalyptifchen Abfchnittes cap. 2,
j 1—3, 2 — mit allen Mitteln der Kritik und der Exegefe
zu erweifen. Und es mufs anerkannt werden, dafs der
Herr Verfaffer es fich dabei nicht leicht gemacht, fondern
Alles, was fich in erwähnter Hinficht überhaupt fagen
läfst, gründlich durchdacht und mit grofserh Fleifse beigebracht
hat. Ob aber auch in überzeugender Weife?
das ift eine andere Frage.

Was zunächft und vor allem den 1. Petrusbrief
betrifft, fo tritt K. in der 61 Seiten Harken, die üblichen
Präliminarien behandelnden .Einleitung', im Unterfchied
von der grofsen Mehrzahl der Kritiker, entfehieden für
einen .judenchriftlichen Leferkreis' desfelben ein; und

! feine Exegefe zu 1,1; 2,25; 4,3; 2,2; 1,14. 18; 2,9f; 3,6

I fucht diefe Behauptung im Einzelnen zu erhärten. Wenn
man das Wort judenchriftlich ,in dem weiteren Sinne
eines Kreifes folcher Chriften nimmt, die wefentlich

j aus jüdifcher Gottesdienftform, Schrift-Verwerthung und
Lebensanfchauung hervorgegangen find, fei's als geborene
Juden, fei's als heidnifche Profelyten, welche die jüdifche
Religion in allgemeinen Umriffen bereits kennen gelernt
hatten und häufig felbft als ein Judenthum zweiter Ordnung
conftituirt waren' (Harnack, D. G., I, 51), fo kann
man fich die K.'fche Beftimmung gefallen laffen. Verlieht
man den Ausdruck aber in dem von Harnack a. a.
O., S. 245f. richtig geftellten engeren Sinne (Fefthaltung
der national-politifchen Formen des Judenthums und der
Prärogative des jüdifchen Volkes und Beobachtung des
mofaifchen Gefetzes als für das Chriftenthum geborener
Juden wefentlich), fo wird man dem Verf. nicht beipflichten
können. Denn von allen diefen judenchriftlichen
Afpirationen findet fich im 1. Petrusbrief, in dem der,vöfiog1
nicht einmal mehr genannt wird, auch nicht eine Spur;
vielmehr liegt er ganz in der Linie des milden und
weitherzigen Petrinismus, der. im Geifte des ge-
fchichtlichen Petrus felbft (Gal. 2, 7 ff.), das Heil nur vom
Glauben an Chriftus abhängig machte, die Haltung des
Gefetzes feitens früherer Juden aber unter den Gefichts-
punkt der Sitte Hellte. Diefes fog. Judenchriftenthum
oder richtiger: Chriftenthum ift nun aber vor der tiefgreifenden
Einwirkung des paulinifchen Chriftenthums
nicht einmal denkbar, gefchweige thatfächlich gewefen.

I Dazu kommt, dafs es dem Verf. (vergl. S. 26 ff.) in
keiner Weife gelungen ift, für die vorpaulinifche Zeit
das Vorhandenfein ,judenchriftlicher' Gemeindebildungen
in den kleinafiatifchen Provinzen Pontus u. f. w.
(1,1) irgendwie wahrfcheinlich zu machen. Das Fehlen
aller gefchichtlichen Spuren davon und andererfeits
der durchfchlagende Grundfatz der paulinifchen Miffions-
praxis (Rom. 15,20; 2. Kor. 10,15 Q laffen gleicherweife
die letzterwähnte Annahme K.'s als unmöglich er-
fcheinen. Damit ftürzt aber der eigentliche Pflock zu
Boden, an dem der Verf. feine Hypothefe vom vor-
paulinifchen Judenchriftenthum' des r. Petr.-Briefes be-
feftigen könnte. Denn, was K. fonft noch dafür geltend
macht, hat wenig Beweiskraft. So feine künftelnde Auslegung
der ja zweifellos (gegen Harnack) urfprünglichen

Adreffe (1.1). K. erklärt diefelbe fo: Petrus___

den auserwählten .Fremdlingen' {naQExiöruioiq), d. i.
Erdenpilgern (Himmelsbürgern), die als ein Theil zu

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