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Ausgabe:

1898 Nr. 20

Spalte:

545-547

Autor/Hrsg.:

Falckenberg, Richard

Titel/Untertitel:

Geschichte der neueren Philosophie von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart. Im Grundriß dargestellt. 3., verb. u. verm. Aufl 1898

Rezensent:

Siebeck, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 20.

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direct in das bisher geübte Gewohnheitsrecht der An- j feinem erften Erfcheinen eingehender behandelt worden,
flalten ein, wonach der jeweilige Director feinen Nach- Da es in feiner Methode, wie in feinen Hauptanfchau-

folger immer felbft ernannte. Das Eingreifen ift imGegen-
fatz der Berliner Kreife gegen den Hallefchen Rationalismus
begründet und findet bei Hertzberg S. 142t. eine noch
entfchiedenere Beurtheilung als bei Fries S. 164h (vgl.
auch Schürmann S. 17O ,Für die nachtheiligen Wirkungen
des rationaliftifchen Bewegung [auf die Bibelanftalf. Feft-
fchrift von 1863, S, 272] finde ich keinen Anhalt'). Mit
dem Ende des Rationalismus fällt das Ende der Theologie
im Directorat der Anftalten zufammen. Die trefflichen
Männer, die feitdem eine neue pietiftifch-confervative

ungen ziemlich unverändert geblieben ift, fo kann ich
für diefe dritte Auflage fowohl hinfichtlich feiner Vorzüge
, wie auch betreffs deffen, was es m. E. zu wün-
fchen übrig läfst, im Wefentlichen auch jetzt noch auf
jene Befprechungen verweifen und mich diesmal in der
Hauptfache auf die Angabe der wichtigeren Aenderungen
und Zufätze befchränken.

S. 30 f. ift der früher etwas zu kurz gekommene
Bericht über Giordano Bruno entfprechend erweitert
worden. — 33 f. wird dem Abfchnitt über die Politik

Aera haben heraufführen follen, find fämmtlich Philologen und Rechtsplülofophie der Renaiffance- und Humaniften-
gewefen. Der Organismus der Schulen hat fich unter zeit, der urfprünglich gleich mit Macchiayelli einfetzte,

ihnen vollends der Neuzeit entfprechend entwickelt. Nur
zwei alte Glieder find aus demfelben entfernt worden:
die Ereifchule (1894), die in dem Zeitalter des allgemeinen
unentgeltlichen Volksfchulunterrichts ihre Bedeutung
verloren hatte, und das Pädagogium (1870), diefe eigen-
thümlichfte Schulfchöpfung Francke's (Hertzberg S. 69
vgl. dazu Ritfehl 2,499 f.), die mit inrem .ariftokratifchen
Ton' und ,koftfpieligen Haushalt' uns fehr merkwürdig
anmuthet und in ausgefprochenem Gegenfatz fteht zu

eine (auf Gierke's Nachweifen beruhende) Einleitung vor-
ausgefchickt, welche den Einflufs der bezüglichen mittelalterlichen
Lehren auf die neueren Theorien des Naturrechts
betrifft. 47 f. bringt als fehr fachgemäfse Aenderung
ein befonderes Capitel über die Begründung der modernen
Phyfik, worin (nach einer kurzen, aber präzifen Hervorhebung
des Neuen gegenüber dem Alten hinfichtlich der
Methode) namentlich auch Keppler, der in der früheren
Darflellung ifolirt ftand, in feinen genetifchen Zufammen-

der Latina, der ,schola pauperum, wie fie mit etwas ftarker J hang mit Galilei, Gaffendi und Boyle eingereiht wird
F"arbengeb'ung Eckftein einmal genannt hat', die ihr Der genetifche Charakter wäre hier übrigens wohl noch
,treffliches Material' an ,den Söhnen guter bürgerlicher J mehr herausgekommen, wenn bei Keppler auch feine Ab-
und bäuerlicher Familien fowie zahlreicher Landprediger j hängigkeit von den früheren (ariftotelifchen) Anfchau-
und Kantoren' befafs (Hertzberg 137 f. I«. 158.) Wenn j ungen mehr betont worden wäre, z. B. die Thatfache

aus den Mittheilungen von Fries mehrfach die Hoffnung
auf eine Wiederherftellung diefer Anflalt durchblickt, fo
ift er feinen Lefern jedenfalls ein Wort zu Begründung
ihres Nutzens fchuldig geblieben.

Nur ganz kurz darf ich auf das liebenswürdige Schriftchen
von Schmidt hinweifen, das in feinen Mittheilungen
aus dem Schülerleben mancherlei Ergänzungen zu der
Fries'fchen Schrift bietet. Wie die Gehaltverhältnifse
der Lehrer, fo weift die knappe Kofi der Schüler und
manche feltfame Sitte unter ihnen bis über die Mitte
unfers Jahrhunderts auf den Charakter der Gründungszeit
zurück. —

In lofem Zufammenhang mit den befprochenen Schriften
fteht die zuletzt erwähnte von Steinecke. Georg
Müller, den man den englifchen A. H. Francke genannt
hat, ift durch die Leetüre einer Biographie des erfteren
zur Gründung seiner Waifenanftalten bei Briftol angeregt
worden. Er fleht feinem Vorbild aber nicht nur in der
Art und dem Umfang feiner Gründungen nahe. Vielmehr
berührt er fich mit ihm auch in der Art feiner
Frömmigkeit und den weit hinausreichenden letzten
Zielen. Denn ausdrücklich bezeichnet er feine Anftalten
nur als das Mittel, dafs ,es möchte gefehen werden,

dafs er anfangs noch an die Befeelung der Geflirne
glaubte. Seine Anflehten ferner über das Wefen der
Energie, ihr Verhältnifs zur Seele, über das Streben der
Natur nach Einfachheit und Vermeidung des Ueber-
flüffigen erinnern nicht blofs „an Leibniz", fondern ebenfalls
an den, von dem fie herftammen, nämlich an Ari-
floteles.

Der Abfchnitt über die englifche Philofophie bis zur
Mitte des 17 Jahrh. (S. 53 f.) wird jetzt eingeleitet durch
den Hinweis auf deren Vorläufer Digby und Temple
auf Grund von Freudenthals bezüglichen Unterfuchungen.
Die Einleitung zu Bacon (54) handelt etwas ausführlicher
über deffen Charakter und Schriften; das Folgende bringt
in Vergleich mit der früheren Darfteilung eingehenderes
über B.'s Naturphilofophie. In der Würdigung von Hobbes
(61) find die Ausführungen E. Grimm's (Zur Gefchichte
des Erkenntnifsproblems) in Kürze vervverthet.

Erheblichere Aenderungen finden fich bei der Behandlung
des Occafionalismus. S. 93 Anm. wird Clauberg
auf Grund der Unterfuchungen von Herrn. Müller (Jen. 1891)
aus der Reihe der Begründer diefes Standpunktes ge-
ftrichen. Umgearbeitet und erweitert ift dann (99 f.)
die Partie über Geulincx, wobei namentlich das Verhält-

dafs jetzt im neunzehnten Jahrhundert Gott noch der nifs von deffen Anficht zu Leibniz' präftabilirter Harmonie

lebendige Gott ift'. Dem entfprechend ift das letzte

ins Licht geftellt wird. Auch der occafionaliftifche GeViertel
feines langen Lebens — er ftarb im März d. J. dankengang in Malebranche's Theorie der Wechfelwirkun
im dreiundneunzigften Lebensjahr — von Predigtreifen [ von Leib und Seele wird (125 f.) ausführlicher gegeben. —
über die ganze Erde angefüllt. Die Art feiner Predigten , In Betreff Spinoza's tritt (99 f.) die Anficht von deffen
läfst fich aus den beigefügten Anfprachen gut erkennen. Unabhängigkeit von beftimmten Richtungen der voraufge-
In der Gefchichte der Evangelifationsbewegung wird er 1
vermuthlich eine hervorragende Stelle einnehmen. Der
Verf. ift aber feinem Gegenftande nicht gewachfen.

Rumpenheim. S. Eck.

gangenen Speculation jetzt etwas limitiert auf. Hieran
fchliefst fich eine Würdigung des ,kurzen Tractates' und
feines Vcrhältnifses zu dem fpäteren Werke.

In der Darflellung D. Hume's ftimmt der Verfaffer
(193) der Anficht derjenigen zu, welche ihn als den Vorläufer
des moderen Pofitivismus bezeichnen. Von hier
Falckenberg, Prot. Dr. Richard, Geschichte der neueren an finden fich, abgefehen von literarifchen Angaben, er-
Philosophie von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart. Im ; heblichere Veränderungen oder Ergänzungen erft da
Grundrifs dargeftellt. 3. verbefferte und vermehrte wieder, wo es fich um die Philofophie der Gegenwart
Auflage. Leipzig, Veit & Comp., 1898. (XII, 563 S. I handf- Für diefe bringt fich zunächft (451 f.) die Wirkung
J ■ V S 7 ,n J zum Ausdruck, die neuerdings F. Nietzfche auf die geiftige

Sr- s0 7,5 ! Bewegung in Deutfchland gehabt hat. Der Verfaffer

Charakter und Werth des Falckenberg'fchen Werkes, unterfcheidet in feinem Denken eine Anfangs-Periode des
das fich in der wiffenfehaftlichen Welt in- und aufser- . romantifchen Peffimismus, eine zweite des utilitarifchen
halb Deutfchlands nach Verdienft eingebürgert hat, ift Optimismus und fchliefslich die antichriftliche des Kraft-
von mir in diefer Zeitfchrift (1886 Nr. 19) fchon bei | naturalismus (Herrenmoral mit dem Ideale der Züchtung