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Ausgabe:

1898 Nr. 19

Spalte:

508-509

Autor/Hrsg.:

Smend, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das hebräische Fragment der Weisheit des Jesus Sirach 1898

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 19.

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vieltaufendjährigem Beftehen noch der abendländifchen
Cultur ihre tiefen Spuren aufprägen konnte, — fecundären
Charakters ift! Doch wenn es fo wäre, müfste fich die
Gefchichtsforfchung mit dem Räthfel abfinden.

Wie aber fteht es mit der gefchichtlichen Bezeugung?
Es wird allgemein zugeftanden, dafs wir in der bisher entdeckten
babylonifchen Literatur keinen ,rein fumerifchen1
Text haben, nicht einmal in den Telloh-Tafeln, die zum
Theil noch älter find, als die neu aufgefundenen Nippur-
Texte, und auf die vor Jahren fo grofse Hoffnung betreffs
der Löfung der Sumerifchen Frage gefetzt wurde.
Ueberall mufs mindeftens die Exiftenz von .Semitismen'
zugegeben werden, d. h. die Infchriften fallen in eine Zeit,
in der die angebliche Invafion der Semiten, die Ueber-
nahme der alten fumerifchen Cultur durch femitifche
Babylonier bereits vollzogen war, und find fämtlich
von Semiten gefchrieben. Man verfichert nun, die rein
fumerifche Cultur, der u. A. die Schrifterfindung zu danken
fein foll, liege noch viel weiter rückwärts. Aber erwecken
nicht die älteften babylonifchen Funde theilweife den
Eindruck, als ftände man nahe bei den Anfängen menfch-
licher Schrift? Und doch müfste man annehmen, dafs
damals bereits die Blüthe rein fumerifcher Kultur foweit

manches Geheimnifs, vielleicht auch das fumerifche
löfen. Auf dem 6. Orientaliftencongrefs hat Halevy einft
unter Hinweis auf Niebuhr's Wort, die Entzifferung der
Keilfchrift fei die Krone des 19. Jahrhunderts, gefagt:
,Es wäre unteres Jahrhunderts unwürdig, wenn eine Frage,
die fich auf den Urfprung der Civilifation einer der be-
gabteften Racen unferes Gefchlechts bezieht, ein Räthfel
bleiben follte'. Wir werden uns auf's neue Jahrhundert
vertröften müffen. In jedem Falle hat das Buch Weifs-
bach's für die Gefchichte des hochwichtigen Problems
bleibende Bedeutung.

Leipzig. Alfred Jeremias.

Smend, Rudolf, Das hebräische Fragment der Weisheit des
Jesus Sirach. (Abhandlungen der königl. Gefellfchaft der
Wiffenfchaften zu Göttingen. Philologifch-hiftorifche
Klaffe. Neue Folge, Band 2, Nro. 2.) Berlin, Weidmann
, 1897. (34 S. 4.) M. 3.50

Ehe das Studium des vorliegenden Heftes beginnen
konnte, lag dem Ref. zuerft die angenehme Arbeit ob,
an 42 Stellen zu controlliren, ob im Reindruck der Text
rückwärts lag, dafs die Erinnerung an das nicht femitifche I fo zu lefen fei, wie es der Herausgeber wollte. Laut einem

Urvolk verfchwundenwar? NichtdieSpur eines literarifchen
Zeugnifses liegt für die Sumerer vor aus voraffyrifcher Zeit
— das Gedächtnifs des grofsen ,in Kultur und Civilifation
weit vorgefchrittenen, hochberühmten' (!) Urvolkes, dem
man nicht weniger als alles zu danken haben foll, wäre

dem Titel vorgeklebten Blatte find nämlich bei der Cor-
rectur, die ohne Verfchulden des Herausgebers
überftürzt werden mufste, 5 Druckfehler von ihm über-
fehen worden, und find im Reindruck eine Reihe von
Buchftaben und Zeichen wenigftens in vielen Exem-

verwifcht aus dem Gedächtnifs der Gefchichte! Man müfste ' plaren gar nicht oder fchlecht gekommen. Es wird

denn die Erzählung des Berosus heranziehen: In Babylon(!) ! Pflicht eines Referenten fein, einen folchen Mifsftand

habe fich in urältefter Zeit eine Menge ftammverfchiedener i hervorzuheben. Hiervon abgefehen, kann Referent der

Menfchen, die Chaldäa bewohnten, zufammengefunden, j Arbeit des Herausgebers nur feine höchfte Anerkennung

die ordnungslos lebten wie die Thiere; da fei Oannes aus j zollen. Prof. Merx hat in den proteflantifchen Monats-

dem erythräifchen Meere mit anderen ähnlichen Wefen ge- ' heften etwas vorwurfsvoll beklagt, dafs Deutfchland dem

kommen, die haben die Babylonier belehrt. Löft man I neuen Sirachfund fo gleichgültig gegenüberftehe; dem

den Mythus auf, fo kann er nur auf ein vom Meere her I Referenten will es fcheinen, dafs Deutfchland, d. h. Prof.

gekommenes Volk gedeutet werden, dem die Protobaby-
lonier ihre Cultur verdankten. Und das würde keineswegs
ftimmen zu der Vorflellung von einer cultivirten, nicht
femitifchen Urbevölkerung, deren Kultur femitifche Eroberer
ererbt haben follen. Weiter mufs man fragen:

Smend mit feiner früheren und diefer zweiten entfagungs-
vollen Arbeit das Werthvollfte zur richtigen Benützung
des neuen Fundes beigetragen hat. Ehe geiftreiche Vermuthungen
über den neuen Text gewagt werden, mufs
doch feine Lefung fo viel als irgend möglich ficher ge-

wo find die Spuren der altberühmten fumerifchen Cultur? ; ftellt werden. Und das ift eben hier gefchehen. Ein
Wenn fie Schrifterfinder waren, cuibono? was hatten fie | abfchliefsendes Urtheil hat natürlich nur, wer Smend und
zu fchreiben in ihrer vergeffenen Urzeit? Auch die alten | feiner Vorgänger und Mitarbeiter Lefungen an der Hand
Epen follen auf ihre Rechnung kommen. Wie will man 1 der Originale nachprüfen kann und wirklich nachprüft,
das beweifen? Die nichtfemitifchen Typen auf altbabylo- i Dem Unterzeichneten flehen nur die Collotype-Facfimiles

nifchen Cylindern finden genügende Erklärung durch das
gewaltige Ringen der femitifchen Babylonier mit koffäifchen
und elamitifchen Rivaler. Dasfelbe gilt von den Statuenköpfen
aus Telloh. Endlich foll die Mythologie auf
fumerifcher Grundlage ruhen. Auch dafür liegt keine
Spur eines Beweifes vor. Allerdings fördern die neueren
Ausgrabungen fremdartig anmuthende Culte zu Tage,
wie z. B. die Infchriften von Lagafch, aber nirgends ver-
fagt die femitifch-babylonifche Erklärung. Selbft die Bevorzugung
weiblicher Gottheiten in ältefter Zeit, erweift
fich als femitifche Vorftellung: Herrfchaft, das Hauptattribut
der Gottheit, und Mutterfchaft liegen auch in den
Vorftellungen der alten Araber nahe beieinander.

Der zweite Theil des Weifsbach'fchen Buches, der
nach dem Vorwort urfprünglich nicht in der Abficht des
Verf. lag, Hellt den gegenwärtigen Stand der Frage ausführlich
dar und entwickelt den Standpunkt des Verf.,
der zu dem oben wiedergegebenen Schlufsrefultat führt,
die Frage fei gelöft, und nur beklagt, dafs die Kenntnifs
des Sumerifchen noch allzufehr im Argen liege. Wir
haben die Schwierigkeiten angedeutet, die uns verhindern,
dem Verf. zuzuftimmen. Gelöft ift die Frage keinesfalls.
Sie wird auch kaum auf rein philologifchem Wege gelöft
werden. Die Funde in Nippur und Telloh zeigen, dafs

zur Verfügung; bei deren theilweifer Vergleichung zeigte
fich, dafs Bl 9v ein ganzes Stück enthält, von welchem
Bl 9r keine Spur zeigt; ähnlich ift es auch bei anderen
Blättern. Legt man die auf zwei Tafeln photographirten
Seiten eines Blattes aufeinander, fo füllten fich diefe genau
decken; das ift faft nirgends der Fall. Es ift auch nicht
der Fall bei den bisherigen grofsen photographifchen
Handfchriften - Vervielfältigungen (Vaticanus, Alexan-
drinus etc.; die des Cantabrigienfis hat Ref. noch nicht
gefehen), und doch ift es namentlich da, wo es fich um
das Durchfcheinen von Buchftaben und Buchftabentheilen
handelt, von Wichtigkeit; man denke an die alte Streitfrage
, ob 1 Ti 3, 16 im Alexandrinus OC oder ö C ftehe.
Wie das technifch am heften erreicht werden kann, weifs
Ref. nicht, er erlaubt fich aber die Aufmerkfamkeit der
betheiligten Kreife auf diefe Frage zu lenken, und hat
an diefer Stelle nur noch dies fo aufserordentlich forg-
fältige Heft dem fleifsigften Studium zu empfehlen und
für die Verfpätung diefer Anzeige um Entfchuldigung zu
bitten. Die Weisheit des Jefus Sirach war einft ein von
Geiftlichen und Laien überaus viel gelefenes Buch. In
Drefcher's Liederregifter zu Band II der deutfchen Meifter-
fingerprotocolle (Lit. Verein, Bd. 214) fangen 60 Lieder
mit Jefus Sirach (der weife Mann)' an, 30 mit ,Sirach' etc.;

unfer Wiffen über altbabylonifche Religion und Cultur die Canftein'fche Bibelanftalt in Halle druckte vom Mai
noch arges Stückwerk ift. Künftige Ausgrabungen werden 1712 bis Mai 1823 nicht weniger als 77105 Exemplare