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Ausgabe:

1898 Nr. 18

Spalte:

492-495

Autor/Hrsg.:

Maltzew, Alexios

Titel/Untertitel:

Bitt-. Dank- und Weihe-Gottesdienste der orthodox-katholischen Kirche des Morgenlandes 1898

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 18.

492

Reformators zu verwerthen. Mir fcheint, dafs der Verf.
diefe Vorficht bei der Beurtheilung des Volks, feiner
Mündigkeit, feines Wahlrechts fo wenig angewandt, als i
er umgekehrt die einfchneidenden Wandlungen in Betracht j
gezogen hat, denen die Obrigkeit unterworfen gewefen
ift. Luther hat es wohl gelegentlich felbft empfunden,
wie viel complicirter das Verhältnifs zwifchen Obrigkeit
und Unterthanen unter einer parlamentarifchen Verfaffung
fich gehaltet. (E. A. 22,265). Er hat die Erwägungen, die
(ich daran knüpften, freilich kurz abgebrochen. Uns nöthigt 1
die gefchichtliche Entwickelung, darüber weitläufiger zu
fein, als der Verf. für gut befindet. Denn das leidfame
Lutherthum mag wohl als Confequenz vieler Aussprüche,
vielleicht auch der politifchen Stimmung des Reformators,
fchwerlich aber als das einzig-nothwendige Ergebnifs I
feiner chriftlichen Gefammtanfchauung gelten. Endlich
kommt in diefem principiellen Abfchnitt der Unterfchied |
von Staat und Kirche zur Sprache. Der Verf. weifs ihn
auf eine kurze Formel zu bringen. Dem Reich des Zwanges
fleht das Reich der Freiheit gegenüber. Soll das von !
unfern Landeskirchen gelten? Oder hebt die Fülle von [
Schwierigkeiten, auf die wir fortwährend flofsen, nicht
eben da an, wo wir immer wieder vergeblich fuchen, jene
ideale Anfchauung mit einer fpröden Wirklichkeit auszugleichen
? Denn die Kirchen, die als Rechtsinflitute in
Analogie zum Staate flehen, bilden niemals blofs innerlich
organifirte Gemeinfchaft'(!).

Mehr im Rahmen feiner Aufgabe hält fich der Verf.
im 1. und 4. Abfchnitt. Aber hat er an Luther's Verhalten
im Bauernkrieg wirklich garnichts auszufetzen?
Kl es ganz in der Ordnung — es fcheint faft fo in der
Darfteilung des Verf., — dafs Luther Schwarmgeifter und
Bauern immer fo eng aneinander rückt: ,dafs fie aber
nicht Münzerifch follen fein, das glaube ihnen ihr eigen
Gott und fonft Niemand' (E. A. 53,294 an Rühel)? Giebt
es garnicht zu denken, dafs die Bauern immer als der
friedliche und verföhnliche Theil im Vergleich mit den
Schwarmgeiftern erfcheinen? War es nicht eine unerfüllbare
Zumuthung, dafs diefe Bauern den Unterfchied
zwifchen Weltlichem und Geiftlichem, den Luther eben
erft entdeckt hatte, in feinen praktifchen Confequenzen
fofort auf fich follten anwenden können? Und war denn
jene Scheidung überhaupt in diefer Schroffheit mit der
Liebe vereinbar, die unerträglichen Zuftände zu fanctioniren
kein Recht hat? Endlich, mag Luther's Reden 1525 noch
fo gerechtfertigt erfcheinen, gilt daffelbe von feinem I
Schweigen nach 1526 d. h. von dem endgiltigen Verzicht j
auf eine durchgreifende Reformthätigkeit? — Ich meine I
hiermit nur Fragen zufammengeftellt zu haben, die die
Literatur der letzten Jahre (v. Bezold, Harnack, Boffert,
Solle) unwillkürlich nahe legt. Der Verf. giebt auf keine
derfelben Antwort. — Ebenfo wenig befriedigen fchliefs-
lich feine Ausführungen über Wucher und Handel. Statt |
der weitläufigen Citate, die dem heutigen Socialismus
gelten, wäre etwas mehr von der mittelalterlich-agrarifchen
Grundlage von Luther's bezüglichen Anfchauungen, auch |
von der Wahlverwandtfchaft von Mönchthum und Com- i
munismus am Platze gewefen. Vor Allem aber mit einem
allgemeinen Zuflimmen zu einer fittlichen Beurtheilung
der wirthfchaftlichen Erfcheinungen, mit einem ebenso all- |
gemein gehaltenen Ablehnen der Gebundenheit an den ]
Schriftbuchftaben, läfst fich Luther's Stellung zu diefen |
Fragen nicht abthun. Wie m. W. keine anderen Schriften
Luther's hängen feine Wucherfchriften von der Bergpredigt
ab. Wie weit aber der Buchftabe in jenen Herrenworten
geht und wo der Geifl in ihnen anfängt, fcheint fich fo
leicht doch nicht entfcheiden zu laffen. Wenigflens läfst j
Rade's .aufregender' Giefsener Vortrag (Religion und Moral
S. 12 f.) vermuthen, dafs Buchftabe und Geift der Gebote |
Jefu angefichts mancher wirthfchaftlichen Erfcheinungen
uns heute noch ebenfo viel zu fchaffen machen werden
wie einft Luther.

Rumpenheim. S. Eck.

Maltzew, Proplt M. Alexios v., Bitt-, Dank- und Weihe-
Gottesdienste der orthodox-katholischen Kirche des Morgenlandes
. Deutfch und flawifch unter Berückfichtigung
des griechifchen Urtextes. Berlin, K.Siegismund, 1897.
(CLII, 1136 S. 8.) M. 20.—

Maltzew, Propft M. Alexios v., Die Sacramente der orthodoxkatholischen
Kirche des Morgenlandes. Deutfch und flawifch
unterBerückfichtigung des griechifchen Urtextes. Berlin,
K.Siegismund, 1898. (CCCXXXIX,570u.77S.S.) M.12.—

Diefe beiden Bände bilden den 3. und 4. Theil der
deutfch-flawifchen Ausgabe der Formulare, nach denen
die Gottesdienfte der ruffifchen Kirche, überaus mannigfach
wie fie find, gefeiert werden. Der Verf. der Ueber-
fetzung, der auch ausführliche und vielfach gelehrte Einleitungen
beigegeben hat, ift Propft an der ruffifchen
Botfchaftskirche in Berlin. Er hatte urfprünglich den
praktifchen Zweck, denjenigen in Deutfchland lebenden
Angehörigen der orientalifchen Kirche, die des Kirchen-
flavifchen nicht mächtig find, und doch auf Theilnahme
an den Gottesdienften in diefer Sprache fich angewielen
fehen, in erfter Linie folchen in Berlin und Umgebung
lebenden Ruffen, eine Handreichung zu thun. Aber je
länger je mehr ift es ihm auch wichtig geworden, Mitglieder
der weltlichen Kirchen über die Gottesdienfte
der orthodoxen Kirche zu orientiren. Es fei zu hoffen,
meint er in der Vorrede des oben zuerft genannten Werkes,
dafs feine Arbeit nicht ganz überflüffig befunden werde,
da ,die Frage der Wiedervereinigung der getrennten chriftlichen
Kirchen von verfchiedenen Seiten aufgeworfen und
erörtert wird'. Zum Schluffe der Einleitung kommt er auch
auf die Ausfichten der Unionsbeftrebungen zu fprechen,
Er erörtert die Bedingungen, die die orthodoxe Kirche
(teile, und wie angefichts diefer die Möglichkeiten ihrer
Union mit den anderen erfcheinen. Relativ leicht fei es
zum Frieden zu kommen zwifchen ihr und denjenigen
Kirchen, ,welche aus der apoftolifchen Zeit die successio
apostolica d. h. eine gültige Hierarchie haben'. Da (tehen
,nur' dogmatifche Differenzen im Wege. Am geringften
find die letzteren zwifchen der orthodoxen Kirche des
Orients und den dortigen Nebenkirchen, alfo den Armeniern
etc. Stärker mit der römifchen, doch urtheilt der Verf.
felbft über die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papftes
mit einer gewiffen Zurückhaltung. In Hinficht der Altkatholiken
fteht die dogmatifche Frage günftig, aber die
Gültigkeit ihrer Hierarchie ift nicht ficher. Gar nicht in
Frage können kommen die ,auf dem Grunde der Reformation
flehenden Religionsgemeinfchaften'. Auch die angli-
kanifche Kirche nicht, die ebenfalls der successio apostolica
ermangelt. Der Verf. fchliefst fich hier dem Urtheil
Leo's XIII. an. Er wünfeht aber letztlich überhaupt keine
Union. Etwa fich unirende .Mafien', die ,nicht gewillt find,
die orthodoxe Wahrheit in ihrem ganzen Umfang, wie
die orientalifche Kirche fie lehrt, anzuerkennen', die dem-
entfprechend ,auch nach erfolgter Union ihre eigenen
Wege gehen', würden ,unter den orthodoxen Chriften
unvermeidlich nur Unficherheit und Verwirrung hervorrufen
können'. Verf. giebt hier einer Anfchauung Ausdruck
, die durchaus den maafsgebenden Kreifen in feiner
Kirche entfpricht. Man mufs unterfcheiden zwifchen den
kirchenrechtlichen .principiellen' Maafsftäben, nach denen
die orientalifche Kirche den Unionsgedanken zu behandeln
hat, und der lebendigen Stimmung, mit der fie ihm gegen-
überfteht, die fie niemals überwinden wird. Lutherifche
und reformirte Proteftanten reflectiren überhaupt auf keine
Union mit dem Offen. Am lebhafteften fehnen fich nach
einer folchen die Altkatholiken und die ritualiftifche Partei
in der anglikanifchen Kirche. Rom wünfeht fie, aber wie
ein Diplomat ,Wünfche' hat, mit verfchwiegenen Hintergedanken
; viel Herz verfchwendet es an den Gedanken
nicht, aber es hegt ihn in Klugheit. Für Rom iff die
Union nur die Vorftufe zur vollen Eroberung des Offens,