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Ausgabe:

1898 Nr. 17

Spalte:

475-477

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Richard Adelbert

Titel/Untertitel:

Glauben und Wissen. Ausgew. Vorträge und Aufsätze 1898

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 17.

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kaum ein klares Bild; dafür nimmt die Gefchichte der
Miffion, der Sklavenfrage u. f. w. um fo gröfseren Raum
ein. Und das hängt wieder mit dem Vorherrfchen des
nationalen Gefichtspunktes zufammen. Die grofsen prin-
cipiellen Gegenfätze zwifchen den Kirchen und Kirchenparteien
in der alten Welt, die fich nach Amerika fortgepflanzt
haben, erfcheinen als ein Uebel, für das gleich-
fam die alte Welt die Verantwortung trägt und das die
neue durch gemeinfame Arbeit wenigftens praktifch un-
wirkfam zu machen die Aufgabe hat.

Der Zufammenhang der grofsen kirchlichen Bewegungen
im amerikanifchen Chriftenthum mit den europäifchen
tritt mehrfach (Methodismus; Aufklärung; Kirchliche Re-
flauration im 19. Jahrhundert) nicht deutlich genug hervor.
Es müfste noch klarer zum Ausdruck kommen, dafs diefe
Gefchichte den Lefer durch eine Welt führt, welche die
letzten religiöfen Principien, die fleh in ihr bekämpfen
und anpaffen, nicht felbft gefchaffen hat, und dafs bei
allen Veränderungen in der politifchen Ausgeftaltung und
der praktifchen Thätigkeit der Kirchen von einer eigenartigen
neuen Schöpfung, von einer Veränderung in der
innerften Auffaffung des Chriftenthums nicht geredet
werden kann, in dem Sinn, in dem in der europäifchen
K.G. an mehr als einem Punkt davon gefprochen werden
kann. Wie denn auch bezeichnend ift, dafs in einer Dar-
ftellung, die darauf ausgeht, das amerikanifche Chriftenthum
als eigenartige, einheitliche Gröfse zu zeichnen, die
Theologie faft ganz aufser Betracht bleiben kann. Die
Apologie des Amerikanismus bildet deutlich den Grundton,
doch mufs anerkannt werden, dafs fie nie aufdringlich
wird. Dafs in einer folchen Darfteilung vor Allem die
Lichtfeiten hervorgehoben werden, und der Lefer einen
Eindruck von den grofsen praktifchen Leiftungen der
amerikanifchen Kirchen erhält, ift nicht mehr als billig.
Der Verf. weifs, dafs das amerikanifche Chriftenthum noch
fchvvere Probleme zu löfen hat und in manchen Dingen
vom europäifchen noch lernen kann (Vgl. z. B. S. 319).

Die Leetüre des Bandes fei angelegentlich empfohlen.
Ein ähnliches zufammenfaffendes, mit Objectivität und
Sachkunde gefchriebenes Werk hat bisher nicht exiftirt,
und wie die vorausgehenden Bände der Scries die werth-
vollfte Belehrung für die Gelehrten enthalten, fo ift der
Schlufsband fehr wohl geeignet, einen weiteren Kreis von
Lefern in die amerikanifche K.G. einzuführen. Es dürfte
zu erwägen fein, ob fleh nicht die Herftellung einer
deutfehen Ueberfetzung empfiehlt.

Tübingen. A. Hegler.

Lipsius, Richard Adelbert, Glauben und Wissen. Ausgewählte
Vorträge und Auffätze. Mit einem Bildnis des
Verf. Berlin, C. A. Schwetfchke & Sohn, 1897. (XI,
467 S. gr. 8.) M. 6.— ; geb. M. 7 —

Mit dankbarer Freude begrüfsen wir die werthvolle
Gabe, welche Herausgeber und Verleger, in fchönfter,
würdigfter Ausftattung, nicht nur den Freunden und
Verehrern des Jenenfer Meifters, fondern allen evange-
lifchen Theologen, ja allen Zweifelnden und Suchenden
unter den gebildeten Laien darbieten. Umfaffen doch
die Auffätze und Vorträge, welche die pietätvolle Hand
des Sohnes gefammelt und mit einem fprechenden Bilde
des Verfaffers gefchmückt hat, einen an gefegneter Arbeit
überaus reichen Zeitraum (1871 —1892), und legen fie ein
glänzendes Zeugnifs ab von der Vielfeitigkeit des von
allen gewaltigen geiftigen Strömungen unferes Jahrhunderts
berührten und befruchteten Theologen. Dem nach
der Gefchichte der neueften Theologie Forfchenden ver-
fchafft diefes Buch ein treues treffendes Bild von dem
Entwickelungsgang des von der Vermittelungstheologie
ausgegangenen, durch Baur's Einflufs in das kritifche
Lag er gekommenen, durch Weifse's Vermittelung von
der Hegel'fchen Speculation angeregten, dann von Schleier-

I macher tief beeinflufsten, mit Ritfehl in zugleich bitterem
und förderndem Streite begriffenen, in den letzten Jahren
den gemeinfamen Glaubensgrund aller evangelifchen
Richtungen hervorkehrenden, dabei aber niemals den

j proteftantifchen Wahrheitsgeift verleugnenden Meifters

| der thüringifchen Hochfchule. Von den zweiundzwanzig
Stücken behandeln die fünf erften Gegenftände aus der

1 Religionsphilofophie und der fyftematifchen Theologie
(Glauben und Wiffen 1871, die letzten Gründe der religiöfen
Gewifsheit 1880, die Gottesidee 1877, die göttliche

. Weltregierung 1878, die Bedeutung des Hiftorifchen im
Chriftenthum 1881). Die beiden 1874 in Weimar gehaltenen
Vorträge (,das Zeichen des Kreuzes', ,Chriftusbilder')
gelten der chriftlichen Kunft. Aus demfelben Jahre (lammt

j der Vortrag über ,die Simonfage'. Den Luthertagen von

j 1883 verdanken die bei dem ftudentifchen Lutherfeft zu
Eifenach gehaltene Rede ,Ein' fefte Burg' und die akade-
mifche Feltrede ,Luther und Jena' ihre Entftehung. Dem
Gebiete der Gefchichte und Biographie gehören die
Num. 12—14 an: .Philipp Melanchton' 1891, .Schleiermacher
und die Romantik 1876', ,Zur Säcularfeier De
Wette's' 1880, ,Karl Hase' (Anfprache, gehalten drei Tage
nach Hase's Tod, am 6 Januar 1890). Das fechzehnte
Stück ift der auf dem Thüringer Kirchentage zu Hild-

! burghaufen 1888 gehaltene Vortrag über ,die Ritfchl'fche

1 Theologie'. Der Miffionsfache find zwei Vorträge gewidmet
, Num. 8 ,Pauli Miffionsverfahren' (gehalten 1885
im ftudentifchen Miffionsvereine zu Jena), und Num. 21
,In welcher Form follen wir den heidnifchen Kulturvölkern
das Evangelium bringen?' (gehalten am 2. Juni
1887 bei der dritten Jahresfeier des Allgem. Ev.-Prot.
Miffionsvereins zu Braunfchweig). In welch verföhnendem
Geifte Lipfius in perfönlicher Zufammenarbeit mit den
Brüdern von Rechts den gemeinfamen Glaubensbefitz und

I die gemeinfamen kirchlichen Aufgaben zu beredtem Ausdruck
gebracht hat, davon zeugtNum.20, der auf der dritten
Generalverfammlung des evangelifchen Bundes in Eifenach
am 2. Oktober 1889 gehaltene Vortrag ,Unfer gemein-
famer Glaubensgrund im Kampf gegen Rom'. Einen ebenfalls
im beften Sinne erbaulichen Charakter haben die
drei Anfprachen an die neuen Mitglieder des homileti-
fchen Seminars Num. 17—19 ,Als die Sterbenden, und
flehe wir leben' 1873, ,Die Kinder der göttlichen Weisheit'
1884, ,Trachtet am erften nach dem Reiche Gottes' 1892.
Den Abfchlufs der ganzen Sammlung bildet die in der
Aula zu Jena am 13. Dezember 1871 gehaltene Antrittsrede
über ,die Stellung der Theologie im Gefammtorga-
nismus der Wiffenfchafcen'.

Angefichts des Reichthums und der Mannigfaltigkeit
der hier gebotenen Schätze, dürfte es unbefcheiden fein,
weitere Wünfche zu äufsern, und das Bedauern darüber
auszufprechen, dafs die von dem Herausgeber vorgenommene
Auswahl nicht noch umfaffender angelegt
worden ift. Und doch vermifst Ref. ungern eine Anzahl
von Auffätzen oder Vorträgen, die den in diefem Bande
enthaltenen würdig zur Seite treten würden. Es feien z. B.
erwähnt die Reden zur Erinnerung an AI. Schweizer
1889, an K. Schwarz 1885, an Biedermann 1885, fowie

I der zwar ältere, aber immer noch beachtenswerthe Vortrag
über F. C. Baur und die Tübinger Schule 1862.
Zum Vortrag über Schleiermacher und die Romantik
würden die in den Jahrbüchern für proteftantifche Theologie
erfchienenen Artikel (1875, S. 134—185, 269—316)
über .Schleiermachers Reden' eine höchft werthvolle Ergänzung
bilden; theologifch und philofophifch gebildete

| Lefer würden felbft die .Studien über Schleiermacher's
Dialektik' (Zeitfchrift für wiffenfehaftliche Theologie 1868,
1—61, 113—154) an diefem Orte mit Dank begrüfsen.
Sollten indeffen diefe letzteren Arbeiten fowie einige für
die Charakteriftik von Lipfius wichtige Recenfionen (über
Weiffe's Dogmatik in Th. Stud. u. Kr. 1865, über Pfleide-
rer's Grundrifs des chriftl. Glaubens- und Sittenlehre,
Prot. Kirchen-Zeitung 1880) als zu fpecieller Natur aus-