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Ausgabe:

1898 Nr. 16

Spalte:

440-443

Autor/Hrsg.:

Müller, Karl

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte. II. Band. 1. Halbbd., 1. Hft. 1. u. 2. Aufl 1898

Rezensent:

Deutsch, Samuel Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 16.

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den fyrifchen Text ins Griechifche überfetzen, gab dies 1 das Wort Apoftel im fpecififchen Sinn überhaupt nicht
aber auf, was nur zu billigen fein wird. Die deutfche j gebraucht hätten (S. 242—245). — Zu der Erzählung von
Ueberfetzung genügt, zumal da in kleinerer Schrift im j der Auffindung und Entzifferung der Handfchrift, welche
Text und am Rande diejenigen Erläuterungen beigefügt ! faft ausfchliefslich an die Schilderung von Mrs. Bensly
find, die nöthig erfchienen. In lateinifcher Schrift find , fich hält, wäre die eine oder andere Bemerkung zu machen;
Lücken der Hdf. ergänzt. Die Randbemerkungen geben doch fei nur zu Joh 14,1 (S. 256) bemerkt, dafs nach

aber ftellenweife noch mehr als das unumgänglich Nöthige;
fie vertreten hie und da die Stelle eines Commentars.
Zu Mt 22,2 ,einem Manne, einem Könige' ift bemerkt:
,Es find zwei Gleichnifse verbunden', und dem ent-
fprechend zu V. 7 ,Hier ift es ein König', zu ,er' in V. 8:
,nämlich der Mann von Vers 2'; zu ,König' in V. 11 und
12 ,Sollte der Mann fein'. Dafs dies fubjective Deutung
ift, liegt auf der Hand; andere fehen in dem dv&Qcöjim
ein aramaifirendes xivi. Einmal ift eine folche Auffaffung
auch in die Ueberfetzung eingedrungen, Mc6,3o, wo es
ohne Randbemerkung einfach heifst ,und es kamen
Boten zu Jefu', während XrpbttJ ebenfo gut, ja noch eher
01 0.7106x0X01 im technifchen Sinn fein kann. Erft im
Anhang wird diefe Stelle befprochen. Eine andere Probe
folcher exegetifcher Anmerkungen Lk 7,35 ,die Afterweisheit
diefes Urtheils wird von den afterweifen Phari-
fäern und ihrem Anhang gebilligt'. Oder zum Text von
Mt 27,28 ,Und es verfammelten fich wider ihn Volkshaufen
' am Rand: ,oder: Und fie fammelten wider ihn.
Subject find aber auch in diefem Falle nicht die Soldaten,
fondern die Juden, denen Jesu' V. 26 übergeben wurde.
Vgl. Luk. 23,9—15 in Sin. gegen Mrk 15, ig.-' Vgl. weiter
zu Luk 5,19. 23,3; Joh 18,17. Alfo auch der Exeget, nicht
blofs der Textkritiker kann von diefer Ausgabe lernen.
Matth 17,14 ift öeXrjvid&xai überfetzt: ,ein Geilt der Mitternacht
befällt ihn' und dazu bemerkt: ,wörtlich: der Hälfte,
vielleicht auch Scharengeift, Trommelgeift'. Nach dem
Thefaurus Syriacus col 3138 fcheint keine diefer Deutungen
richtig (=rifiixXTjyia); es braucht aber diefer Ausdruck
eine eigene Unterfuchung.

Das meiite Intereffe knüpft fich aber an das Nachwort
. ,Ich ftehe nicht an zu behaupten, dafs der Fund
diefer Handfchrift von unvergleichlich viel gröfserer
Wichtigkeit für das Verftändnifs und die Textfeftftellung
des N.T.s ift, als alle übrigen Funde, die in unferem
Jahrhundert Aufhellen erregt haben, den Fund der grie-
chifchen Sinaibibel mit eingefchloffen, die eine neue Periode
der Kritik heraufzuführen fchien'. Das ift vielleicht
etwas viel getagt; aber fehr richtig ift es, dafs die Textkritik
ein hochwichtiges, ja ein heiliges Gefchäft fei, die
Sicherheitspolizei im Reiche der gefchichtlichen Wahrheit;
an Mt 5,22 (slxri oder nicht); 21,28 (,der erfte' oder ,der
letzte'); Mc 6,30 (Apoftel oder Johannesboten) wird dies
in fehr intereffanter, den gegenwärtig herrfchenden An-
fchauungen entgegengefetzter Weife gezeigt. Dabei fcheint
freilich die fremde Theorie, z. B. die von Weftcott-Hort,
etwas unterfchätzt, die Sicherheit der eigenen Aufftel-
lungen etwas überfchätzt zu werden. Im Gleichnifs von
den beiden Söhnen z. B., fagt Merx, habe der Auftrag
nur dann Sinn, wenn der erfte fich geweigert habe. Ift
das zwingend? So gut wie der Herr im Gleichnifs für
verfchiedene Tagelöhner Arbeit genug im Weinberg hatte,
konnte es der Vater auch für beide Söhne haben. Oder:
über die Lefung des Codex A in Mt 5,22 zeigen fich Weftcott
-Hort fchon 1881 genauer unterrichtet, als Merx 1897.
Auch zu Lc 17,11 (Einfchaltung von a%oeioi) ift Merx zu
apodiktifch. Weil die Handfchrift zwifchen öovXoi aygeioi
eGjiev, 6. e. a. 6. e. fchwanken, follen diefe Schwankungen
auf Interpolation des fchwankenden Wortes deuten.
Man vergleiche dazu beifpielsweife, Act 4,12, wo von den
fechs mathematifch möglichen Combinationen der drei
Worte ovofia eöxiv exeqov fünf bei Tifchendorf factifch
belegt find. Am folgenreichften wäre es, wenn Merx
mit feiner Thefe Recht hätte, dafs Mc 6,30 — der Sinai-
Syrer macht den Abfchnitt erft nach diefem Vers — von
den Johannesboten zu verftehen, von Lc auf die heimkehrenden
Apoftel bezogen worden fei, dafs Mt, Mc, Joh.

brieflicher Mittheilung von Mrs. Lewis die Lücke der
Ausgabe S. 290 letzte Linie durch ein in der Handfchrift
klares p-pni ,und dann' auszufüllen fei. 1)

Ulm. Eb. Neftle.

Müller, Prof. D. K., Kirchengeschichte. II. Band 1. Heft.
1. und 2. Auflage. (Grundrifs der theologifchen Wiffen-
fchaften, bearbeitet von Achelis, Baumgarten, Benzinger
u. f. w. XII. Abtheilung, a.) Freiburg i. B.,
J. C. B. Mohr, 1897. (176 S. gr. 8.) M. 2.80

Das vorliegende Heft umfafst den Theil der Kirchen-
gefchichte des Mittelalters, der von dem erften Bande
des Werkes noch rückftändig geblieben war, die Zeit vom
Ausgange des 13. bis zum Anfange des 16. Jahrhunderts.
Der Verf. bemerkt in der Vorrede, dafs er das Ende des
Mittelalters in einzelnen Partien ausführlicher bearbeitet
habe, als fonft üblich fei, da er es für nöthig hielt, einige
Seiten hervorzuheben, die bisher in den Handbüchern
mifsachtet waren, vor Allem die, an die fpäter die Reformation
anknüpft oder an denen ihre Umwälzungen
genauer gemeffen werden können. Damit ift in der That
ein dringendes Bedürfnifs für die Darfteilung der letzten
Periode der mittelalterlichen Kirchengefchichte bezeichnet.
So gewifs die Reformation eine Umgeftaltung der kirchlichen
Verhältnifse in einem Maafse bewirkt hat wie
kein anderes Ereignifs im ganzen Verlaufe der Kirchengefchichte
, fo gewifs ift doch auch, dafs die durch fie
herbeigeführte Umgeftaltung im Allgemeinen und im Be-
fonderen nur dann gefchichtlich begriffen werden kann,
wenn man ihre Beziehungen zu den vorhergehenden Ver-
hältnifsen im Auge behält; und eine Gefammtdarftellung
der Kirchengefchichte wird fich in dem ausgehenden
Mittelalter gerade auch von diefem Gefichtspunkte müffen
leiten laffen. Was in diefer Hinficht auch den beften
Bearbeitungen fehlt, das war Niemand beffer im Stande
zu ergänzen als der Verf., deffen eigene ausgezeichnete
Forfchungen auf diefem Gebiete allgemein bekannt find,
und der die Gabe, auch verwickelte Verhältnifse durch
eine Anzahl fcharfer Striche kurz und klar darzuftellen,
in ungewöhnlichem Maafse befitzt. Wir erwähnen beifpielsweife
, wie in § 189 zur Anfchauung gebracht wird,
in welchem Grade gegen Ende des Mittelalters nicht nur
die Emancipation der weltlichen Mächte von der kirchlichen
Gewalt auf ftaatlichem Gebiete, fondern auch der
Einflufs der Herrfcher auf die kirchlichen Verhältnifse
ihrer Länder fortgefchritten ift. Ferner die präcife Dar-
ftellung des ganzen Syftems der von den Päpften geübten
finanziellen Ausbeutung der Kirche, wobei u. A. die zwei
fehr beachtenswerthen Bemerkungen vorkommen, dafs
die Art diefer Ausbeutung im Wefentlichen durchaus
derjenigen entfpreche, die einft die weltlichen und geift-
lichen Kircheneigenthümer eingehalten hatten S. 45, und
dafs zwar die Einnahmen, die daraus gefloffen find, vielfach
zu hoch gefchätzt worden feien, nimmermehr aber
der Einflufs diefer ganzen Finanzwirthfchaft auf die Kirche,
S. 46. Dergleichen aus gründlichfter Kenntnifs hervorgegangene
lichtgebende Blicke begegnen übrigens faft in
jedem §. Der gröfste Vorzug der vorliegenden Dar-

') Anmerkungsweife noch einige kleinere Anftände: Zu Mt 3, 16 ift
die Erwähnung der zwei Ausdrücke: ofiotwpta und fiOQ<pr ohne verbindendes
,oder' mifsverftändlich; ebenfo zu 9,15 die Erwähnung des
fyrifchen Ausdrucks R'tJhatJ'Vä}; die meiden Lefer werden meinen, das stehe
im Texte; ebenfo 23,6 im Text ,Tallit; Mc 1,20 fehlt die Randbemerkung
zu .alsbald'; S. 188 lies ob S. 214 alle Lefer gleich merken,
was Dacd fein follf