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Ausgabe: | 1898 Nr. 15 |
Spalte: | 422-424 |
Autor/Hrsg.: | Lauterburg, Moritz |
Titel/Untertitel: | Der Begriff des Charisma und seine Bedeutung für die praktische Theologie 1898 |
Rezensent: | Achelis, Ernst Christian |
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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 15.
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teriftifche Berichte als Nürnberger. — Der Standpunkt
des Verfaffers des vorliegenden Werkes ift der correct
römifch-katholifche; am meiden berührt er fich geiftig
mit Gams und Hergenröther. Darüber kann hier keine
Controverfe erhoben werden. Aber Einzelnes möchte
ich befprechen. S. 31: Die Bedeutung des franzöfifchen
Concordates vom Jahre 1801 ift nach der allgemeinkirchlichen
Seite hin nicht gewürdigt. Darüber hat aber
fchon J. Friedrich, Gefchichte des vatik. Conzils, Bonn
1877, arff. gründlich und gut die Perfpective eröffnet:
das franzöfifche Concordat ift im 19. Jahrhundert die
erfte Geltendmachung des Univerfalepiskopats des Papftes
gegenüber denjenigen Bifchöfen, die abdanken mufsten.
S. 53 fehlt das charakteriftifche Detail über den unwürdigen
Empfang Pius des VII. durch Napoleon I. in
Fontainebleau, über den ebenfalls recht würdelofen Einzug
des Papftes in Paris, über die Trauung Jofephine's
und was voranging. S. 109 wird der Wiederherftellung
des Jefuitenordens 1814 nur mit wenig Worten gedacht.
Der Verfaffer enthält fich dabei eines eigenen Urtheils
über diefes epochemachende Factum, erzählt ftatt deffen
aber von Pacca, dafs diefer ,mit freudiger Theilnahme
von dem Eindrucke berichtet habe, den diefe Wiederherftellung
beim Volke hervorrief. S. 141 hätte wohl
der merkwürdige Umftand befprochen werden können,
dafs das Grabmal Pius des VII. von der Hand eines
proteftantifchen Meifters (Thorwaldfen) gefchaffen ift.
S. 144 ift bei Leo XII. die Verdammung der Bibelgefell-
fchaften erwähnt; bei Pius dem VII., der mit diefer Proce-
dur 1816 voranging, finde ich das nicht erwähnt. (Vgl.
fein Schreiben an den Erzb. v. Gnefen bei Paulus,
Sophronizon I., 2360°. und Wald, Decreta quibus socie-
tates bibl. damnantur. Regiom. 1818.) Ungenügend ift
die Orientirung über den Pontificat Pius des VIII.
(1829—30). Da diefer Papft durch fein Verhalten in der
Mifchehenfrage die ganze Haltung der römifchen Kirche
der Neuzeit principiell begründet, und da der Mifchehen-
ftreit doch feit den 30er Jahren nicht unerheblichen Ein-
flufs auch auf das Verhalten der deutfchen Staaten
gegenüber dem Kirchenftaat ausübt: fo hätte darauf
eingegangen werden müffen; der Verfaffer hat feinen
Lefern auch nicht mitgetheilt, wo fie den Text des Breve
,Literis alteris abhind finden. Auch bei Gregor XVI. ift
(S. 225 ff.) auf die inneren geiftigen Vorgänge wenig eingegangen
. Erklärlich ift das nur durch den Umftand,
dafs der Verfaffer eben eigentlich blofs eine äufsere Gefchichte
des Kirchenftaates im 19. Jahrhundert bieten
will. Das Ganze ift fliefsend und gut lesbar gefchrieben.
(Der Ausdruck .Verdemüthigung'dagegen dürfte zu meiden
fein; es ift an ,Demüthigung' genug). Der proteftantifche
Lefer wird freilich durch die Leetüre diefer Schrift in
feiner Anficht beftärkt werden, dafs der Kirchenftaat das
römifche Priefterthum in die gemeinfte Weltpolitik verflochten
hat: hier kommt wenig von Seelforge vor, fondern
alles treibt angeftrengteft Politik, manchmal hohe, erhabene
, idealiftifche, meiftens aber gewöhnliche, intriguante,
herrfchfüchtige; der ganze Staat, nach unferer Anfchau-
ung, ,ein Reich von diefer Welt'.
Göttingen. P. Tfchackert.
Comba, Prof.D.E., Ein Besuch im evangelischen italienischen
Graubünden. Nach dem Italienifchen. Hamburg, Agentur
des Rauhen Haufes, 1897. (206 S. 8.) M. 2._
Emilio Comba, der Theolog der Waldenferkirche
ift fchon aus feinen früheren Veröffentlichungen durch
eine befonders vorzügliche Darftellungsgabe bekannt. In
der vorliegenden Schrift, deren Verdeutfchung der Agentur
des Rauhen Haufes zu danken ift, fchenkt er uns in der
Form einer anmuthigen und gefällig zu lefenden Reife-
befchreibung eine werthvolle Studie über ein ziemlich
wenig bekanntes Stück evangelifcher Kirchengefchichte.
Den Ausgangspunkt der Studienreife bildet Chiavenna.
Von da geht es hinauf durch das Bergell zum Maloja-
pafs, dann über St. Moriz zum Berninahofpiz und von
da abwärts bis Tirano. Auf diefer Route liegen die Gemeinden
Piuro, Vicosoprano, Stampa, Casaccia, Bondo,
Soglio, Castasegna, Stalla, Poschiavo, Brusio. Sie werden
nach einander befchrieben, aus der Vergangenheit jeder
von ihnen die bemerkenswertheften Begebnifse zufammen-
getragen, die gegenwärtige Lage durch ftatiftifche Mittheilungen
, Darlegung der Verfaffung und des Schul-
wefens, anfchaulich gemacht. Dies Alles in bunter Reihe
mit prächtigen Landfchaftsfchilderungen und unterbrochen
durch Gefpräche über Land und Leute und Zeit,
bisweilen auch durch ernfte Hinweife auf das, was chrift-
licher Vorfehungsglaube zu der merkwürdigen Gefchichte
diefer Thäler zu fagen hat. Aufser dem Material, das
der Verf. aus den Kirchenbüchern und aus anderen hand-
fchriftlichen Aufzeichnungen an Ort und Stelle erhoben
hat, führt er als Quellen feiner Darftellung an de Porta,
Compendio della Storia della Rezia, Chiavanna 1787;
Crollalanza, Storia del Contado di Chiavanna, Milano
1870; P. D. Rosio, Dissertatio qua ecclesiarum . .. vallis
Rraegalliae . . . reformatio et Status exponitur, Curiae
1787; und eine gröfsere Anzahl kleiner Schriftchen und
Flugblätter aus der Zeit der Einführung der Reformation,
die in diefen Thälern mit dem Namen Vergerio's untrennbar
verknüpft ift.
Von einer Nachprüfung der Darftellung Comba's
darf ich mich entbinden, da mir diefe Schriftchen unzugänglich
find, und ftatt deffen einfach für die Mittheilung
foviel genauen Materials über diefes bedeutfame, wenn
auch kleine Stück Kirchengefchichte und die Anmuth
der Darftellung herzlich danken. Doch will ich nicht
unausgefprochen laffen, dafs ich gewünfeht hätte, der
Verf. wäre mit feiner noch dazu ziemlich gewaltfam
herbeigezogenen Kritik der fchweizerifchen Reformer
(S. 183) und der Unitarier zurückhaltender gewefen.
Der Gegenfatz zu Letzteren ift bei ihm fo ftark entwickelt
, dafs er fogar an der Infchrift ,Gott allein die
Ehre' Anftofs nimmt (S. 138). — Die Ueberfetzung ift,
abgefehen von geringfügigen Verfehen, gut.
Frankfurt a. Main. Erich Foerfter.
Lauterburg, Pff. Lic. theol. Moritz, Der Begriff des Charisma
und seine Bedeutung für die praktische Theologie.
(Beiträge zur Förderung chriftlicher Theologie. Herausgegeben
von Proff. DD. A. Schlatter und H. Cremer.
2. Jahrgang 1898. 1. Heft.) Gütersloh, C. Bertelsmann,
1898. (VII, 141 S. gr. 8.) M. 2.40
Dafs die Aufmerkfamkeit der Theologen, befonders
der Vertreter der praktifchen Theologie, auf das Charisma
und feine Bedeutung für das Leben der Kirche
hingelenkt wird, ift gewifs zu begrüfsen. Aus dem feften
Glauben an die vapte Gottes und aus der Glaubenserfahrung
ihrer Macht ergiebt fich die Zuverficht, dafs
fie eine Erneuerung und Heiligung, auch eine Neufchöpfung
fittlicher Kräfte im Gefolge hat, die dem chriftlichen Gemeindeleben
zur Förderung zu dienen vermögen, daher
auch für diefes zu verwerthen find. Der Gedanke follte
abgethan fein, dafs die Charismen, von denen das Neue
Teftament redet, ausfchliefslich der Gründungszeit der
chriftlichen Kirche angehören; fo gewifs in allen Zeiten
der Kirche Chrifti die xäqiq in der Chriftenheit waltete,
fo gewifs hat es auch zu keiner Zeit an Charismen gefehlt
, mag auch die Erfcheinungsform fich noch fo fehr
gewandelt haben.
Mit grofsem Fleifs und mit freudiger Durchführung
feiner Gedanken tritt der Herr Verfaffer, feit kurzem
Docent in Bern, für die Bedeutung und die Verwerthung
der Charismen für die praktifche Theologie ein, indem
er von der Geltendmachung der Charismen eine Be-