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Ausgabe:

1898 Nr. 1

Spalte:

23-25

Autor/Hrsg.:

Erhardt, Franz

Titel/Untertitel:

Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele 1898

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. I.

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gehendes — fchliefslich wendet fich das ganze Intereffe
dem täuferifch-radicalen ,Aufgange' zu. Comba hat vier
Hauptvertreter der täuferifchen Richtung eingehend ge-
fchildert: Tiziano, Franzesco della Sega, Giulio
Gherlandi und Antonio Rizetto. Dazu gefeilt fich noch
der unglückliche fchwankende Padre Fedele aus Vigo,
über deffen Procefs und grauenhafte Marterung von mir bereits
im hiftorifchen Tafchenbuch 1880 Auskunft gegeben
worden ift. Noch einige Beifpiele von der üblichen väterlichen
Verwendung der Tortur befchliefsen bei Comba die
Reihe der .Proteftanten' in der Stadt Venedig, während
eine ,Schlufsüberficht' S.629—688 das Dominium durchgeht
und mit einem Blick auf die Colonien endigt. Neben
der grofsen Ausdehnung des Hauptteils ift der S. 691—700
folgende ,Anhang' dürftig; er umfafst i. .die handfchrift-
lichen Quellen' und della Casa's Catalog der verbotenen
Schrifte n von 1548; 2. zwei Verzeichniffe von befchlag-
nahmten Büchern, das eine in Padua, das andre in Venedig
durch die Inquifition aufgeftellt, endlich 3. ,Paul
Veronese vor der Inquifition', d. h. die Aufzeichnungen
über ein Verhör, welches diefer wegen feines berühmten
Bildes Chriftus beim Gaftmahl im Haufe des Simon Levi
zu beliehen hatte. Obwohl der Band, wie aus der hohen
Seitenzahl erfichtlich, ftark angefchwollen ift, hätte doch
eine Ueberficht der gedruckten Literatur beigegeben
werden follen; der Lefer hätte gewifs dagegen gern die
fchon bekannten unter n. 3 abgedruckten Aufzeichnungen
preisgegeben.

Das Schlufswort des Werkes zeigt den Verfaffer
,ungeduldig, die Segel zu wenden vom venetianifchen
Geftade zu einem andern Landesteile, der auch ein Sitz
der reformatorifchen Bewegung gewefen ift.' Welchen
Teil der Halbinfel der treffliche Florentiner Kirchen-
Hiftoriker damit im Auge hat, wiffen wir nicht — aber
mit herzlichen Wünfchen begleiten wir feinen Weg. Er
hat mit Erfolg auf einem durch die Umftände befonders
fchwierig gemachten Gebiete eingefetzt, um der alten
Klage ein Ende zu machen, dafs die Fremden fleifsiger
an dem Schatze der Erinnerungen der italienifchen Nation
arbeiten, als die Einheimifchen — möchte es ihm gelingen
, das freilich noch weit ausfchauende Werk glücklich
zu Finde zu führen!

Königsberg. Benrath.

Erhardt, Priv.-Doz. Franz, Die Wechselwirkung zwischen

Leib und Seele. Eine Kritik der Theorie des pfycho-
phyfifchen Parallelismus. Leipzig, O. R. Reisland, 1897.
(V, 163 S. gr. 8.) M. 3.60

Auch für die Lefer diefer Zeitfchrift hat die neue
Wendung einiges Intereffe, welche die philofophifche
Auffaffung des Verhältniffes von Leib und Seele in den
letzten Jahrzehnten genommen hat. Sie bietet die merkwürdige
Erfcheinung einer Erneuerung der Lehre Spi-
noza's auf neugewonnener empirifcher Grundlage dar.
Spinoza's Anficht von Leib und Seele als den ohne
Wechfelwirkung einander parallel gehenden Erfchei-
nungsformen der Einen abfoluten Subftanz tritt in der
modernen Pfychologie als pfychophyfifcher Parallelismus
mit oder ohne Hinzunahme der Lehre von der Identität
beider Erfcheinungsformen auf. Hervorragende Forfcher
wie Höffding, Wundt, Paulfen, Jodl, Bain, Spencer, James
vertreten diefe Anfchauung (dagegen z.B. Sigwart, Stumpf];
und fo fehr auch die Leugnung jeder eigentlichen Wirkung
des Körpers auf die Seele und der Seele auf den Körper
der natürlichen Anfchauung widerftrebt, fo wird fie doch
bereits von Manchen als felbftverftändliche Grundlage
jeder pfychologifchen Unterfuchung vorausgefetzt. Um
fo dankenswerther ift es, wenn diefen gewichtigen Stimmen
gegenüber auch einmal die Realität der Wechfelwirkung
zwifchen Leib und Seele in einer befonderen Schrift ver-
theidigt wird. Dies gefchieht in dem vorliegenden Buche

in klarer, erfchöpfender Weife und zugleich fo, dafs das-
felbe zur Einführung in das ganze Problem auch für
philofophifch gebildete Lefer aufserhalb der eigentlichen
Fachvviffenfchaft geeignet ift.

Das erfte Kapitel kennzeichnet den .Standpunkt und

j die Begründuug des pfychophyfifchen Parallelismus'. Bemerkenswerth
ift hierbei der Hinweis darauf, dafs
Spinoza's Lehre auf lange Zeit hinaus nicht die geringfte
Beachtung fand (S. 9 f.). Nur die drei anderen über
das Verhältnifs von Leih und Seele bisher aufgehellten
Theorien: Wechfelwirkungslehre (Descartes), Occafiona-
lismus (Geulincx) und präftabilirte Harmonie (Leibniz)
fpielen in der wiffenfchaftlichen Discuffion eine Rolle.
Wenn der Verfaffer aber im Anfchlufs daran die Erneuerung
der paralleliftifchen Theorie auf das Bedürfnifs

I zurückführt, zwifchen einer Durchbrechung der rein phy-
fikalifch-chemifchen Naturerklärung durch Annahme fee-
lifcher Wirkungen auf die Körperwelt und dem Materia-

■ lismus einen Ausweg zu finden (S. 11 f.), fo dürfte dies
; manchem Widerfpruch begegnen. Gefchichtlich betrachtet

gab vielmehr den eigentlichen Anftofs das Aufkommen der
Pfychophyfik zufammen mit der Beobachtung, dafs neben
den meiften feelifchen Vorgängen ein körperlicher Vorgang
im Nervenfyftem hergehe. Im Zufammenhang
damit wird auch Fechner's Einflufs auf diefe Entwicke-

j lung zu wenig gewürdigt (vgl. S. 19). Seine Vergleichung
des Verhältniffes von Leib und Seele mit der concaven
und convexen Seite eines Kreifes, feine Deutung der
nach Leibniz gleichgehenden Uhren auf einfache Identität
beider, feine grundlegende Bedeutung für die ganze Pfychophyfik
hätte auch im Rahmen diefer Arbeit eingehendere
Berückfichtigung verdient.

Klar wird der Unterfchied des heutigen Parallelismus

1 gegenüber dem Spinoziftifchen hervorgehoben: er wird
nur als ein ,empirifches Poftulat', als eine ,empirifche
Formel' aufgeftellt, welche das thatfächliche Parallelgehen

i geiftiger und körperlicher Vorgänge unter Berückfichti-

I gung der Unmöglichkeit einer Wechfelwirkung zwifchen
beiden zufammenfaffen foll. Höffding fchreitet zu der

I Annahme fort, dafs es ein Wefen ift, welches in beiden
wirkt, verbindet alfo mit dem pfychophyfifchen Paralle-

[ lismus die — eigentlich nur als Metaphyfik haltbare —

I Identitätslehre. Sodann werden drei Formen der paralleliftifchen
Hypothefe unterfchieden: 1. der — mit der

| Annahme einer Allbefeelung verbundene — univerfelle
Parallelismus, wonach es nirgends ein körperliches Sein

' giebt, mit dem nicht zugleich auch feelifches Leben verbunden
wäre und umgekehrt, 2. der pfychophyfifche P.
im engeren Sinn, welcher den P. nur auf das Verhältnifs
des uns bekannten Seelenlebens zu dem Körper bezieht,
3. die Annahme, dafs es keine feelifchen Vorgänge giebt

I ohne entfprechende phyfiologifche Veränderungen im

1 Gehirn, wobei über das Verhältnifs beider — ob Wech-

j felwirkung oder blofser Parallelismus — nichts ausge-

; macht wird.

Doch hebt der Verf. mit Recht hervor, dafs es fich
j bei dem pfychophyfifchen P. in erfter Linie um die Leugnung
einer Wechfelwirkung zwifchen Leib und Seele
handle. Das zweite Capitel giebt daher eine /Widerlegung
der principiellen Einwürfe gegen die Wechfelwirkung
1 zwifchen Leib und Seele' und behandelt von diefen am
I ausführlichften die zwei bedeutendften: die Forderung
einer gefchloffenen Naturcaufalität und das Gefetz der
i Erhaltung der Energie. Beide fucht er hauptfächlich

■ durch den Nachweis zu entkräften, dafs fie auf die falfche
| Vorausfetzung der Nothwendigkeit einer rein phyfikalifch-
| chemifchen Naturerklärung fich gründen. Durch die Wirkungen
feelifcher Kräfte werde der Caufalzufammen-

| hang in der Natur nur dann unterbrochen, wenn man im
j Voraus alles Wirken in derfelben auf Kräfte anorgani-
| fcher Art befchränke. Dies fei aber durchaus willkürlich,
[ da die — innerhalb ihrer Grenzen gewifs berechtigte —
I mechanifche Naturerklärung keinerlei Ausfage über die