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Ausgabe:

1898 Nr. 15

Spalte:

418-420

Autor/Hrsg.:

Dalton, Hermann

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Russland 1898

Rezensent:

Tschackert, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 15.

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der Schule dienen. Die Darflellung ift in knapper, prä-
cifer Form gehalten. Unterftützt wird der Verfaffer in
feinem fehr anerkennenswerthen Bemühen durch reiche
Illuftrationen; der Luthermaler E. Kämpffer hat 25 an-
fprechende Original-Abbildungen geliefert, in welchen
die charakteriftifchen Vorgänge aus Luthers Leben zum
Theil in ganz neuer künftlerifcher Auffaffung dem Auge
vorgeführt werden. Endlich hat die Verlagsbuchhandlung
G. Freytag in Leipzig dem Buche eine dem Gegenftande
und Zwecke entfprechende fchöne Ausftattung zu theil
werden laffen; der Druck ift geradezu vornehm, und der
Preis (ein Exemplar geheftet 5 M., gebunden 6 M.) ein
recht niedriger. Dazu hat der Verleger ,in Ausficht ge-
ftellt, bei einer etwaigen neuen Auflage das Werk noch
reicher illuftriren zu laffen'. So ift durch das dreifache
Bemühen des Autors, des Illuftrators und des Verlegers
das vorliegende fchöne Buch zu Stande gekommen, und
man merkt es allen dreien an, dafs es ihnen hoher Ernft
war, dem deutfchen Volke ein werthvolles Gefchenk darzureichen
.

Dafs bei einem fo eigenthümlich gefleckten Ziele
des Buches die Auswahl des gefchichtlichen Stoffes eine
immer fubjectiv beftimmte bleiben wird, liegt auf der
Hand, und man wird mit dem Verfaffer darüber nicht
rechten; alles rein gelehrte und wefentlich theoretifch
lehrhafte Material ift ausgefchloffen worden. Auch kommt
es dabei nicht auf Verwerthung aller neueren Detail-
forfchungen an, fondern nur folcher, die in die eigenartig
geftaltende Thätigkeit des Verfaffers paffen. Einfchie-
bungen malerifcher Züge, die dem Gefchichtsbilde eine
mehr anfchauliche Wirkung geben follen, find oft vorgenommen
worden, immer aber den Umftänden gemäfs
und ohne dafs der Autor der Phantafie die Zügel fchiefsen
läfst. Die Sprache ift meift edel, immer aber klar und
durchfichtig, fo dafs fie fowohl in den Oberklaffen höherer
Schulen wie im gebildeten Haufe gut verftanden werden
wird. — Im Einzelnen ift zu bemerken, dafs die Erzählung
über Miltitz S. 48. 49. nach Brieger's Abhdl. in Ztfchr.
f. Kgefch. 1894 revidirt werden möchte; der demüthige
Brief Luther's v. 3. März 1519 ift blofs Entwurf. Vgl.
Enders, Luthers Briefwechfel I, 442. — Zu S. 59: Neben
den ,drei grundlegenden reformatorifchen Schriften'
Luthers verdient die ,Von den guten Werken' aus dem
Jahre 1520 befondere Beachtung, gerade um ihres volkstümlich
verftändlichen fittlichen Inhaltes willen. S. 61
fteht irrthümlich ,die Bulle v. 4. Juni 1520'. Dafs die
Bulle ,Exsurge, Domine' aber noch nicht als die eigentliche
Bannbulle anzufehen ift, darauf hat K. Müller (Breslau
) längft aufmerkfam gemacht. Zu S. 132: Bafilius Axt
wurde fpäter Leibarzt des Herzogs Albrecht v. Preufsen.
S. 139 könnten die Mittheilungen über den Katechismus
wohl reichere fein. S. 144: Zur richtigen Würdi-
dung des Verhaltens Luthers gegenüber Zwingli 1529
hätte der Verfaffer die inzwifchen eingetretene Entwicke-
lung des Täuferthums berückfichtigen follen; unter dem
Eindruck deffelben fah Luther im Spiritualismus überhaupt,
alfo auch in dem Zwingli's, ,einen anderen Geift', als er
felbft ihn hatte. Zu S. 163: ,Potz Güte' ift heute noch in
Schießen populär, wie ,Potz Blitz', ,Potz Taufend' u. ähnl.
(Was die Sprache betrifft, fo möchten einige Ausdrücke
geändert werden; ,dämifch', junger Fant (136) oder ähnliche
paffen wohl nicht in den ganzen Ton des Buches;
auch ift ,Materie' = Sache nicht populär.)

Ueber die beigegebenen fünfundzwanzig Bilder
Kämpffer's könnte man eine eigene Abhandlung fchreiben;
denn fie find felbft ein .Leben Luthers in Bildern' und
bringen in modern empfindender Weife den Menfchen
Luther auf den entfcheidenden Wendepunkten feiner Ent-
wickelung uns Neueren nahe; fie find lebendig bewegt
gehalten; das Stürmifche waltet vor, in diefer Auffaffung
von Luther's Seelenleben und feinen Thaten; zahlreiche
neue Themata find aus Luther's Gefchichte vom Künftler
herausgegriffen und wirken durch bisher unbekannte Per-

I fpectiven ungemein anregend. Vielleicht werden fie
I manchem Betrachter zu modern-fubjectiv erfcheinen; aber
j darüber ift mit dem Künftler nicht zu rechten nach dem
bekannten ,de gustibus non disputandum'. Er hat das
j Verdienft, die Gefchichte Luthers in finniger Weife belebt
zu haben.

Möge daher das fchöne Buch in Schule und Haus
freundlichen Eingang finden!

Göttingen. Paul Tfchackert.

Dalton, D. Herrn., Beiträge zur Geschichte der evangelischen
Kirche in Russland. III. Lasciana nebft den älteften
evang. Synodalprotokollen Polens 1555—61, herausgegeben
und erläutert. Berlin, Reuther & Reichard,
1898. (XVI, 575 S. gr. 8.) M. 12.—

Der Verfaffer, weit bekannt als früherer Geiftlicher
der deutfch-reformirten Gemeinde in Petersburg und jetzt
als unermüdlicher Helfer auf dem Gebiete der inneren
und äufseren Miffion in Berlin, hat aufser feinen zahlreichen
anderen Veröffentlichungen auch über den polni-
fchen Reformator Johann von Lasco' (Gotha 1881) eine
werthvolle Monographie verfafst. (Sie erfchien auch
1885 in holländifcher, 1886 in englifcher Ueberfetzung;
jene von van Oofterzee, diefe von Maurice Evans.) Er
hat diefen merkwürdigen Gegenftand feiner Forfchungen
auch fpäter nicht aus den Augen verloren; denn es galt,
noch manche Quelle zum Leben und Wirken Laski's zu
erfchliefsen und bisher unzugängliches Material zu fam-
meln. So ift von dem emfigen Forfcher fchliefslich ein
umfangreicher Band Quellen zufammengebracht, welchen
er hiermit als dritten Band feiner .Beiträge zur Gefchichte
der evangelifchen Kirche in Rufsland' veröffentlicht, nachdem
inzwifchen im Jahre 1887. der erlte Band derfelben
unter dem Titel ,Verfaffungsgefchichte der evangelifch-
lutherifchen Kirche in Rufsland' (Gotha, F. A. Perthes)
und im Jahre 1889 der zweite als Urkundenbuch der
evangelifch-reformirten Kirche in Rufsland (ebendafelbft)
erfchienen war. D. Dalton bezeichnet felbft den vorliegenden
Band .Lasciana' als eine Fortfetzung und Ergänzung
feiner Monographie über Laski (lateinifch =
a Lasco), und die höhere Abficht des Herausgebers geht
darauf hinaus, durch diefe wie die übrigen erwähnten
Arbeiten Material zu fammeln für eine Gefchichte der
evangelifchen Kirche in Rufsland, ,die, befremdlicher
Weife, noch immer zu fchreiben ift'. Diefes Ziel ift für
Forfchung und Darfteilung richtig bezeichnet; eine Gefchichte
der evangelifchen Kirche im heutigen Rufsland
ift eine wichtige Aufgabe der Zukunft; aber dafs fie bis
jetzt noch nicht gelöft ift, erfcheint wohl doch nicht gerade
.befremdlich'. Denn fchon rein fachlich ift dabei die
grofse Schwierigkeit zu überwinden, drei oder gar vier
recht verfchiedene Phafen von Kirchengefchichte zu
durchdringen, und zu einem Gefammtbilde zu vereinigen.
Denn diefe Gefchichte müfste 1. die Kirche der baltifchen
Provinzen umfaffen, die ein eigenthümliches Ganzes bildet;
2. die Gefchichte des Proteftantismus in dem vormaligen
Königreich Polen, foweit es jetzt zu Rufsland gehört;
dafür find die Quellen bis jetzt erft bruchftückweife bekannt
; aufserdem wird dabei das heutige ruffifche Polen
nicht aus der Gefchichte des gefammten Polens abgelöft
werden können, und die Gefchichte der Kirche in der
heutigen preufsifchen Provinz Pofen und in Weftpreufsen
wird dabei mitbehandelt werden müffen; 3. die Gefchichte
der evangelifchen Koloniften Südrufslands und vielleicht
noch 4. die Gefchichte einzelner Gemeinden von evangelifchen
Eingewanderten im ruffifchen Reiche wie Petersburg
und Moskau. Nun ift ja für die baltifche Gefchichte
feit Anfang diefes Jahrhunderts viel gethan; aber dafs
für die Gefchichte des polnifchen Proteftantismus noch
viele Vorarbeiten fehlen, erfieht man ja am bellen aus
den Schickfalen der Laski-Forfchung des hochgeehrten