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Ausgabe:

1898 Nr. 15

Spalte:

414-415

Titel/Untertitel:

La Bible Francaise de Calvin. Tom 2: Livres du Nouveau Testament 1898

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 15.

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ein nielange d'inexactitudes et de dctails precis, de donnees
dune remarquable historicite et d'erreurs de dates non
moins flagrantes (192) darfteilt; diefe Thatfache beftärkt
den Hiftoriker in feiner Hypothefe von dem nur mittelbaren
johanneifchen Urfprung des Evangeliums (vgl. Bd. II,
Pag. XXVI—XXX, Bd. III, 252—253, 131—132). So folgt
er denn auch den Angaben des Johannesevangeliums in
der früheren Anfetzung der Tempelreinigung (III, 191.
III, 93. 184), in der Annahme einer längeren Wirkfamkeit
Jefu in Jerufalem (die in den Synoptiken erzählten Streitigkeiten
der letzten Woche mit Pharifäern und Sadduzäern
verlegt St. in jene Periode, Laubhütten- und Tempelweihe
, Oct. und Dec. des J. 29, vgl. S. 21. 22. 28), in der
Schilderung des Verhörs vor Hannas und des Verhaltens
des Pilatus (177. 180. 190), in dem Fefthalten wefentlicher
Sprüche aus den johanneifchen Abfchiedsreden (129—131).
Andrerfeits aber trennt fich St. von dem johanneifchen
Berichte in Bezug auf wichtige Punkte, ja er fpricht von
offenbaren Irrthümern des vierten Evangeliums; das völlige
Stillfchweigen St.'s über die Auferweckung des Lazarus
ift bezeichnend (zweifellos handelt es fich hier nicht um
eine lacune volontaire pag. VIII, fondern St. giebt den
hiftorifchen Charakter der Thatfache preis); das fchwerfte
Verfehen des Johannesevangeliums aber betrifft den Todestag
Jefu: nach St. gebührt der fynoptifchen Tradition der
Vorzug vor der des vierten Evangeliften; Jefus hat am
14 Nifan das Paffah mit feinen Jüngern gefeiert und ift
am 15 Nifan gekreuzigt worden; damit ift auch der Paffah-
charakter des letzten Mahles gegeben (man lefe die fehr
beachtenswerthe Anmerkung S. 112—116 ff. S. 191—192).
Weitere Irrthümer des vierten Evangeliften notirt St.
S. 166. 116. — Wir mUffen darauf verzichten, die Einzelnheiten
hervorzuheben, welche den Widerfpruch hervorrufen
oder doch zu weiteren Discuffionen Veranlaffung
geben könnten. Es genüge noch zu bemerken, dafs der
Verfuch unferes Verf., das pfychologifche und moralifche
Räthfel des Verraths des Judas aufzuhellen (98sq), den
Leier fchwerlich befriedigen wird; dafs die Prämeditation
bei der Stiftung des Abendmahls als eines zu wiederholenden
Ritus zwar behauptet, aber nicht begründet ift j
(S. 137: ,Jesus y songeait depuis longtemps' vgl. Bd. II,
240 f.; 253—254); dafs die Deutung des Wortes über das
Wiederfehen Jefu mit feinen Jüngern in Galiläa, Mc. 14, 28
= Matth. 26, 32, mindeftens problematifch ift (132—134);
dafs die Voranftellung der evangelifchen Berichte über
die Auferftehung und die erft nachfolgende Prüfung der
paulinifchen Ueberlieferung (Cap. XI und XII) weder dem
Werthe der Quellen noch den eigenen kritifchen Voraus-
fetzungen des Verf. entfprechen. Eine befondere Sorgfalt
hat St. den Ausführungen über die Auferftehung Jefu
gewidmet. Er hat mit feinem Verftändnifs das Gebiet des
exegetifchen und hiftorifchen Forfchens und die Sphäre
des Glaubens gegen einander abgegrenzt nnd mit zwingender
Klarheit dargethan, dafs der evangelifche Heilsglaube
an den lebendigen Herrn, der fich als Haupt
und König feiner Gemeinde durch den Geift fortwährend
dem Gewiffen und Gemüth der Seinen legitimirt, weder
durch die hiftorifche Vorftellung über den Hergang des
Auferftehungsereignifses, noch durch irgend eine Theorie
über die Seinsweife und Wirkfamkeit des erhöhten Herrn
bedingt ift. Im Anfchlufs an diefe Erörterungen giebt
der Verf. die Summe feiner Unterfuchungen über das
Leben und die Perfon Jefu, indem er in feinen Conclusions
den Unterfchied des hiftorifchen und des religiöfen Erkennens
Chrifti in lichtvoller Weife zur Geltung bringt.
In der Darftellung und Rechtfertigung diefer Unter-
fcheidung bekennt fich St. zu dem Standpunkt, der im
Schoofse des franzöfifchen Proteftantismus unter dem
Titel des fideisme (S. 331) immer zahlreichere Anhänger
gewinnt und im Grunde nur die Wiederaufnahme des
echt reformatorifchen Glaubensprincips ift. In der That,
wenn man fich auch fragen darf, ob unfere Reformatoren
die von Menegoz gebildete, von Stapf er adoptirte

Formel: l'komme est sauve par la foi, independamntent
des croyances, gebilligt hätten, fo unterliegt es keinem
Zweifel, dafs der jener Formel zu Grund liegende Gedanke
in der Confequenz des reformatorifchen Princips
liegt, und den von den geiftlichen Vätern unferer Kirche
wiedereroberten rein religiöfen Charakter des chriftlichen
Heilsglaubens zum prägnanten Ausdruck bringt. Diefe
zugleich befreiende und innerlich verpflichtende Erkennt-
nifs beherrfcht das ganze Werk Stapfer's und geftattet
es dem Forfcher, bei aller Pietät, die er feinem erhabenen
Gegenftande entgegenbringt, niemals die Freiheit und
Unabhängigkeit, die der echten Wiffenfchaft geziemt, zu
verleugnen.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Schönbach, Anton E., Das Christenthum in der altdeutschen
Heldendichtung. Vier Abhandlungen. Graz, Leufchner
& Lubensky, 1897. (XII, 266 S. gr. 8.) M. 6.—

Lachmann hat von den Grundgedanken des Nibelungenliedes
gefagt, fie feien nicht aus einer heidnifchen
Lehre vom Zwang blinden Schickfals abgeleitet, aber
ebenfo wenig durch eine chriftliche Anficht von göttlicher
Weltregierung gemildert. ,So ift die Sage mit dem
Heidenthum verwittert, aber fie hat nichts chriftliches
aufgenommen, als die gewöhnlichen Lebensgebräuche,
die für die Fabel ohne Bedeutung find.' Schönbach,
der fich dahin ausfpricht, dafs wir einem ritterlichen Mini-
fterialen Oefterreichs die Nibelungenftrophe und das
Nibelungenlied verdanken — die ehrliche Tapferkeit
mit der er fich bis zu diefem Endziel durchgefchlagen
hat, verdient gepriefen zu werden — giebt zu, dafs das
mythifche Element in den Nibelungen ganz in den Hintergrund
getreten ift, und fchliefst fich vollkommen den
Worten Erhardt's an (Entftehung der homerifchen Gedichte
S. LIX), dafs auf das Zurückdrängen der mythi-
fchen Elemente das Chriftenthum vor allem von Einflufs
gewefen fei. Die trockene Statiftik, die zum Beweife aufgefahren
wird, leiftet aber nicht einmal etwas für die Begründung
jenes Citates, gefchweige für den Antheil, den
chriftliches Leben und chriftliche Weltauffaffung an
unferem Nibelungenliede beanfpruchen darf. Dafselbe
Urtheil wäre aus Anlafs der drei folgenden Abhandlungen
, die fich mit Klage, Gudrun und Alphart befchäf-
tigen, in leifen Variationen zu wiederholen. Schönbach
hat nicht blofs den Theologen, der etwa fein Buch zu
Rathe ziehen follte, fondern auch uns Philologen eine
gründliche Enttäufchung bereitet. An den Unterfuchungen
über Hartmann von Aue dürfen die vorliegenden Abhandlungen
nicht gemeffen werden und nur gelegentlich
(wie z. B. bei der Deutung der Engelserfcheinung in der
Gudrun, die leider durch die ganz unglaubliche Anlehnung
an die annunciatio Mariae entftellt ift) verzeichnen wir
eine Förderung unferer Einficht. Weshalb die fchwierigen
Fragen über die Entftehung der genannten Dichtungen
fo breit aufgerollt werden, bleibt, wenn man den Titel
des Buches ernft nimmt, unverftändlich. Dafs sie ein
ernftes hiftorifches und fachliches Intereffe beanfpruchen
dürfen, fei nicht verfchwiegen.

Kiel- Friedrich Kauffmann.

La Bible Francaise de Calvin. Livres des Saintes Ecritures
traduits ou revises par le Reformateur, tires de ses
oeuvres et accompagnes de variantes d'autres versions
du i6e siecle parEdouardReufs. Tome second. Livres du
Nouveau Testament. Brunswickl897,C.A.Schwetschke
et fils. (III, 795 S. gr. 8.) M. 10.-

Dem in diefem Blatte bereits angezeigten (Jahrg. 1897,
Nr. 6) erften Bande der Genfer Bibelüberfetzung' folgt
nun der zweite, welcher die Ueberfetzung fämmtlicher neu-