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Ausgabe:

1898 Nr. 13

Spalte:

371-373

Autor/Hrsg.:

Chapuis, Paul

Titel/Untertitel:

Du Surnaturel 1898

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 13.

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Chapuis, Paul, Du Surnaturel. Etudes de philosophie et objet que la nature et la total ite de la nature perceptible,
d'histoire religieuses. Lausanne, Payot, 1898. (III, le propre de la piete est precisement de briser le cercle des
208 S 8) Fr ? eo 1 P^nomenes pour s'elancer dans une region superieure . ..

Le surnaturel subsistc et ne disparaitra qu'avec la religion.
Durch den anregenden und geiftvollen Vortrag von ; Analyser l'un, c'est analyser Lautre.' (26—27, vgl. den
Menegoz, La notion biblique du miracle 1894 (Theol.Lite- ganzen dritten Theil.) Darum gehört jede Auslage über
raturzeitung 1895, Nr. 14, 17) ift die im Schoofse des Pro- j den wunderbaren Charakter einer Thatfache der religiös-
teftantismus franzöfifcher Zunge niemals ganz ruhende ' teleologifchen Weltbetrachtung an; jeder Verfuch, die-
Frage nach dem Wunder und dem Begriff des Uebernatür- , felbe in die Sphäre der caufalen, auf den urfächlichen
liehen auf's Neue in Flufs gebracht worden. Von verfchie- j Zufammenhang der Dinge gegründeten Weltanfchauung
denen Seiten hat man das Problem behandelt: die Einen | herabzuziehen, ift ein Mifsgriff (S. bef. 155—171). Es ift
(Medicus, H.Bois, Berthoud, D.Bonjour, J. A.Porret, '■ merkwürdig, wie fchwer diefe von jedem Chriften in der
Thury) haben fich bemüht, das Verhältnifs des Wunder- Praxis ftets geübte Beurtheilung dem Verftande unterer
begriffs zur Naturordnung zu beftimmen, und find zum j Theologen einleuchten will. Die Mifsverftändnifse und
Theil in die unter den Vertretern der alten Schulen übliche | Anklagen verfchiedenfter Art, welche durch Chapuis'
und beliebte Frageftellung wieder eingetreten; die An- | Schrift hervorgerufen worden find, liefern dafür ebenfo
deren haben bald mehr die hiftorifche, bald mehr die I zahlreiche als auffallende Beweife. Den meiften Gegnern
religiöfe Seite des Begriffs beleuchtet (fo auch Menögoz j fchwebt die als felbftverftändlich geltende Anficht vor,

und H. Bois); andere find mit erkenntnifs-theoretifchen
Erwägungen an die Frage herangetreten (Tessonniere
und befonders Schinz). Dem auch unter uns durch werthvolle
, theilweife in deutfeher Ueberfetzung erfchienene

die einzige Form der Gewifsheit fei die, welche durch die
theoretifche Erkenntnifs, durch die dem nexus rcrum und
den Gefetzen des Seins nachgehende objective Unter-
fuchung erworben wird: wer das Uebernatürliche als eine

Studien wohl bekannten und gmfehätzten Profeffor an der nur für die moralifch religiöfe Gewifsheit des gläubigen
Univerfität zu Laufanne, Pfr. Chapuis, gebührt das Ver- , Subjects exiftirende Realität fafst, gilt als Leugner des
dienft, das gefammte Problem wieder aufgenommen und Uebernatürlichen überhaupt. Diefem Schickfal ift Chanach
feinen verfchiedenen Beziehungen geprüft zu haben. : puis nicht entgangen, und in Folge deffen find ihm die
Seine in klarer, auch dem Laien fafslicher, mitunter be- j ungeheuerlichften, thatfächlich durch feine klarsten Aus-
redter Sprache geführte Unterfuchung zerfällt in drei fagen widerlegten Vorwürfe nicht erfpart geblieben; man
Haupttheile. I. Le probleme philosophique (31 —171), II. j hat ihn des offenkundigen Pantheismus angeklagt, obgleich
Le probleme liistorique (173—250), III. Le probleme reli- | er die Ueberweltlichkeit des als fittlichen Willen gefafsten
gieux (251—296). Der erfte Abfchnitt ift der umfang- 1 Gottes unzweideutig anerkennt (148. 167—168. 273. 279—
reichfte, was fich nicht nur aus der Wichtigkeit der dort ; 280); man hat ihm nachgefagt, dafs er die Thatfache der
behandelten, immer noch fehr umftrittenen Gegenftände, : Sünde negirt, obgleich er den Schuldcharakter der Sünde
fondern auch aus dem Umftande erklärt, dafs der Verf. ; in ergreifenden Worten fchildert (99—100. 151. 166—167);
bereits unter jenem erften Titel einige Gefichtspunkte zur : man hat verfichert, dafs ihm Chriftus nur der verfchwin-
Sprache bringt, die in das probleme religieux hinüber- dende Durchgangspunkt der raftlos über ihn fortfehreiten-
greifen, denn die Beziehungen des Uebernatürlichen zur j den Entwickelung fein kann, obgleich er ihn als die voll-
Heilsoffenbarung (Redemption und Revelation) gehören ! endete Offenbarung, als die incarnation de la religion
ftreng genommen in den dritten Theil des ganzen Werkes. I feiert (114. 141. 149. 150—51. 167. 196—97. 250. 267—68);
Indeffen liegt der Schwerpunkt jenes erften Theiles in man hat ihn als Vertreter eines abfoluten Determinismus.

den Auseinanderfetzungen mit denjenigen, welche die
Frage dahin beantworten möchten, dafs fie das Verhältnifs
der Naturgefetze zur göttlichen Caufalität zu be-

einer fataliftifchen Evolutionstheorie gefcholten, obgleich
er, der Schüler Vinet's und Secrctan's, die Rechte
der fittlichen Individualität und der fittlichen Freiheit,

ftimmen fich unterwinden. Der Verf. begnügt fich nicht • allerdings aber auch den determiniftifchen Charakter des
damit, den Begriff des Naturgefetzes richtig zu ftellen; Welterkennens, zu unmifsverftändlichem Ausdruck gebracht
diefen Nachweis, dafs das Naturgefetz un coneept in- hat (64, 169. 212—13. 221) — Der zweite Abfchnitt des
herent a notre Constitution intcllcctuelle ift (52), ftellt er 1 Chapuis'fchen Buches hat nicht denfelben Widerfpruch
in einen gröfseren Zufammenhang, in welchem diefer hervorgerufen als die beiden anderen. Müffen doch die
Gedanke erft feine volle Beweiskraft und feine richtige ] überzeugteften und gewandteften Vorkämpfer des moder-
Beleuchtung erhält. Mit zwingender Kraft und Klarheit nen Supranaturalismus, wenigftens grundfätzlich das Recht
zeigt er, dafs im Bereiche der Wiffenfchaft der Wunder- und die Pflicht der hiftorifchen Kritik einräumen, fo dafs
begriff keine Gültigkeit hat noch haben kann. Die Wiffen- : die prinzipielle Anerkennung der theoretifchen Erkennbar

fchaft, die verftandesmäfsige, theoretifche Betrachtung
der Welt ift auf die Erforfchung der empirifchen Wirklichkeit
, der Urfachen, Wirkungen und Bedingungen der
Weltwefen und des weltlichen Gefchehens gerichtet und
angewiefen; fie würde fich felbft verleugnen, wenn fie mit

keit des Wunders keineswegs die gefchichtliche Wirklichkeit
der einzelnen Wunder und die Glaubwürdigkeit des
biblifchen Wunderberichts einfchliefst und gewährleiftet.
Indeffen bleibt man häufig bei jener Verficherung flehen,
und man fcheut fich oft genug, die Confequenzen aus

Wundern rechnen wollte; wo ihr der natürliche Causal- den bereitwillig zugegebenen Prämiffen zu ziehen, man
nexus der Dinge nicht erkennbar ift, wird fie niemals auf j geht meiftens den concreten Problemen aus dem Weg,
ein Wunder fchliefsen, fondern einfach die Grenzen ihres 1 fo dafs man unter der Hand wieder Alles zurücknimmt,
Erkennens und ihrer Macht geftehen: les savants ne con- was man in tlicsi concedirt hatte. Wir müffen es Cha-
cluront pas au surnaturel, mais a l'inexplique, ce qui est puis Dank wiffen, dafs er aller Zweideutigkeit auf diefem
totalement dijferent (61). In diefem Sinne ift das Wunder j Gebiete ein Ende macht, die Schwierigkeiten feft und
niemals eine objective Erfcheinung, d. h. eine empirifche, j klar ins Auge fafst, und feinen Gegnern das Geftändnifs
auf caufalem Wege feftftellbare, jedem beliebigen Beob- ! abringt, dafs die unbewufst dichtende Sage, als Mythus
achter zugängliche Thatfache: il n'y a pas de surnaturel oder Legende, befonders in der durch die Frömmigkeit
objectifmanifeste dans lemonde phenomenal(69. 8 5. u. öfters). ; der Entwickelung des natürlichen Gefchehens entnom-
— Andererfeits aber wird der religiöfe Glaube auch da, j menen Wunderfphäre, ihre üppigften Schöfslinge hervor-
wo der natürliche Caufalnexus deutlich vorliegt und er- j getrieben hat. — Den Grundgedanken des letzten Theiles
kennbar ift, nichtsdeftoweniger den Willen Gottes, durch | haben wir bereits oben angedeutet, La religion, par son
die natürlichen Vermittelungen hindurch, anerkennen. Die objet, c'est le surnaturel (S. 295 u. öfters). In den mannig-
Welt des Uebernatürlichen ift nämlich die religiöfe Welt faltigsten Variationen bringt der Verf. diefen richtigen
des Glaubens: ,Tandis que la science nepeut avoir d'autre und fruchtbaren Gedanken zur Geltung. In dem religiöfen