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Ausgabe:

1898 Nr. 10

Spalte:

284-285

Autor/Hrsg.:

Burkhardt, G.

Titel/Untertitel:

Die Mission der Brüdergemeine in Missionsstunden. 2. Heft: Suriname 1898

Rezensent:

Wurm, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 10.

284

Augenblick, um dem gegenwärtigen Abfall der Maffen
zu begegnen. Denn was man Abfall nennt, ,das ift im
Grofsen und Ganzen nichts Anderes, als die Zerftörung ■
einer grofsen Illufion', die darin befland, ,dafs man die
Vielen^ welche ehedem in Stadt und Land die Kirchen
füllten, allzu bereitwillig als lebendig gläubige Chriften
anfah'. In dem ,Abfall' ift nur ,offenbar geworden, wohin
diefe traditionellen Chriften eigentlich noch gehörten',
(S. 30), dafs es an perfönlichem, bewufstem, felbftgewoll-
tem Chriftenthum eben fehlte.

Nothwendig ift folche (aufserordentliche, miffionarifch
verfahrende) Evangelifationsarbeit für jede kirchliche
Zukunft, weil ,Erweckung der Gemeinde eine ftets zu
erfüllende und nie ganz erfüllte Aufgabe' ift. Die äufsere
Zugehörigkeit zur Gemeinde wird fich nie in allen Gliedern
derfelben mit perfönlichem Chriftenftand, die Summe
der Getauften nie mit der Summe der Erweckten decken.
Defshalb wünfcht der Verf. die Organifirung der Evangelifationsarbeit
als Händige Einrichtung. Die Leitung
müfste ein landeskirchlicher oder provincialkirchlicher
Evangelifationsausfchufs übernehmen, der fich aus Geift-
lichen und Laien zufammenfetzt, die für die Ausführung [
der Evangelifationsarbeit geeigneten Kräfte anwirbt und I
die Verhandlungen mit den Presbyterien der Gemeinden,
für welche eine Evangelifation in Ausficht genommen
ift, zu führen hat. Die geeigneten Kräfte müfsten zu-
nächft unter den landeskirchlichen Geiftlichen gefucht i
werden; ,doch empfiehlt es fich, auch aufserhalb diefes
Kreifes Umfchau zu halten nach charismatifch ausge- !
ftatteten Perfönlichkeiten'.

Auf die Prüfung der praktifchen Vorfchläge des
Herrn Verf. näher einzugehen würde den hier uns ver-
ftatteten*' Raum weit überfchreiten. Auch behalten wir
uns dies für eine andere Gelegenheit vor. Hier feien
uns nur einige Fragen erlaubt. Sind ,lebendige' Gemein-
den und ,erweckte' Gemeinden identifche Begriffe? Lallen
fich nicht Gemeinden denken, die im vollen Sinne des
Wortes als ,lebendige' bezeichnet werden dürfen, ohne
dafs in ihnen eine eigentliche Erweckungsbewegung ftattge-
funden hätte, der ,elektrifche Strom der Erweckung' in
fie hineingeleitet worden wäre. Was fie geworden find,
verdanken fie der ftetigen Treue der ordnungsmäfsigen j
feelforgerlichen Arbeit, dem Hillen Wachsthum nach
innen. Es find nicht ,erweckte Chrifien' in dem Sinne,
wie in vielen Kreifen diefe Bezeichnung verfianden wird,
wohl aber durchgebildete, charaktervolle chrifiliche Perfönlichkeiten
, in welchen das Leben der Gemeinde pul-
firt, zu Tage tritt, als Salz und Licht wirkt. IH es darum j
auch zuzugeben, dafs unfere Gemeinden im Durchfchnitt
der Aufrüttelung und Vertiefung bedürfen, dafs dies im
Begriff der Gemeinde als der irdifch-menfchlichen Er-
fcheinung der Kirche begründet ifi und immer fo fein :
wird, bedarf es dazu nothwendiger Weife der ,Erweckung
' und, wenn dies der Fall, in welchem Sinn ifi dies
zu verfiehen? Weiter, kann die Erweckung (Aufrüttelung)
nur als die Wirkung einer aufserordentlichen, von aufsen
hereingebrachten Evangelifationsarbeit gedacht werden? ;
Nicht auch als die langfam reifende Frucht feelforger- j
licher Treue, Hetiger Amtsarbeit? Hat nicht gerade das j
Aufserordentliche folchertendenzmäfsiger Veranftaltungen,
auch wenn fie im Geifie evangelifcher Nüchternheit und
völliger Lauterkeit getroffen werden, viel Bedenkliches?
Um diefe und ähnliche Fragen zu beantworten und die j
daran fich knüpfenden Bedenken zu entkräften, würde
es fich empfehlen, den Begriff ,Erweckung' genau zu be-
Himmen und gegen jede Mifsdeutung zu fchützen, ferner
mit wenigen Worten anzudeuten, worin Verf. die geifi-
liche Lebendigkeit der Gemeinde fieht, und worauf es
ihm dabei als auf die Hauptfache ankommt: es würde fich
dann zeigen, dafs hier der Punkt liegt, in welchem feine
Auffaffung von derjenigen Naumann's bezw. Rade's (S. 10)
abweicht. Es würde deutlich werden, wefshalb für den
Verf. die Lebendigkeit der Gemeinde durch die Erweck- i

ung bedingt ifi, durch einen die Energie des chrifilichen
Lebens und Bewufstfeins wachrufenden, den gewohnten
Gang unterbrechenden Stöfs von aufsen, wefshalb ihm
die Stetigkeit feelforgerlicher Treue nicht ganz genügen
will; es würde fich dann aber auch zeigen, dafs, um
folcher Evangelifationsarbeit den Charakter des ,innerkirchlichen
' zu wahren, es nicht genügt, einen Evangeli-
fations-Ausfchufs zu organifiren, der die Evangelifationsarbeit
leitet und überwacht, fondern dafs irgendwie
auch dafür Sorge getragen werden müfste, dafs die für
diefen Auftrag befonders erfehenen Sendboten, zumal
,die charismatifchenPerfönlichkeiten' auch wirklich diefem
Auftrag genügen können d. h. dafs die Pflege des erforderlichen
Charismas, bezw. deffen Ausbildung und Schulung
für die Evangelifationsarbeit nicht der Privatliebhaberei
einzelner Perfönlichkeiten oder Kreife überlaffen,
fondern folchen Organen anvertraut oder doch unter-
flellt werde, die dafür Bürgfchaft leifien, dafs fie niemand
,fenden' oder empfehlen, von dem fie nicht ficher find,
dafs er fei nen Auftrag in evangehfchem Sinn und in der
Treue gegen die Kirche, deren Arbeit er unterfiützen
foll, ausrichten werde, und nicht etwa durch einen metho-
difiifch reglementirten Plrweckungsbetrieb die Gemeinde
in Verwirrung bringe. Als das richtige Organ, mit welchem
dann die einzelnen Evangelifationsausfchüffe fich
ins Benehmen zu fetzen hätten, erfchiene uns der Cen-
tral-Ausfchufs für Innere Miffion, was ganz in der Linie
der Gedanken Wichern's läge (vgl. Die innere Miffion
der deutfchen ev. Kirche. Denkfchrift etc.etc. 3.A. S. 73 ff.).
Auch der vorfichtigfie Evangelifations-Ausfchufs kann in
der Wahl der geeigneten' Kräfte fehlgreifen, denn auch
die befie Empfehlung von Seiten einzelner Vertrauens-
perfonen kann täufchen. Soll die Evangelifation eine
Hellende Einrichtung werden, fo mufs man wiffen, wer
die Evangelifien ,fendet', in weffen Geifi fie wirken, bezw.
wer fie ausbilden läfst und ihre Ausbildung überwacht.

IH nun ein Kern von durchgebildeten chrifilichen
Perfönlichkeiten in der Gemeinde vorhanden, fo handelt
es fich weiter darum, diefem den rechten Einflufs auf
das Gemeindeleben zu fichern, damit diefes chrifilich vertieft
werde. Dies führt zu der Frage nach dem Werth
und der richtigen Behandlung des Gemeinfchaftswefens,
welcher der erfie Vortrag gewidmet ifi. Die Frage gehört
zu den fchwierigfien der Pafioraltheologie und fie
ifi heute — aus nicht weiter zu erörternden Gründen —
fchwieriger denn je. Dafs der Verf. fie uns aufs Neue
vorgelegt hat, ifi ein Verdienfi. Dem Meiflen, was er
fagt, kann ich beipflichten; nur gilt das Gefagte nicht
für alle Gemeinden und Verhältnifse. Auch das freund-
lichfie Verhältnifs zu dem engeren Kreis fleht zu Recht
nur wo und foweit es möglich ifi, ohne der Seelforger-
pflicht gegen Alle Abbruch zu thun, und aus Condescenz
gegen gewiffe Liebhabereien der Wahrheit und Weite
des Evangeliums etwas zu vergeben.

Giefsen. H. A. Köfilin.

Burkhardt, Miffionsdir. a. D. G., Die Mission der Brüdergemeine
in Missionsstunden. 2. Heft: Suriname. Leipzig,
F. Janfa, 1898. (IV, 156 S. gr. 8.) M. 1.50

Wir haben das erfie Heft diefer Sammlung im
Jahrg. 1897, S. 421 empfohlen und können auch in Bezug
auf die Fortfetzung dafselbe thun. Die Miffion in Suriname
könnte Fernerfiehenden als ein ziemlich einförmiges Werk
erfcheinen. Allein fie erfireckt fich nicht nur auf die
jetzt freigelaffenen Negerfklaven, fondern hat auch unter
den fchon früher felbflflandigen Bufchnegern in dem
Evangelifien Johannes King eine äufserft intereffante
Perfönlichkeit eines chrifilichen Negers gewonnen, die
weithin auf ihre Landsleute gewirkt hat. Die Arbeit
unter den Indianern hat nach kurzer Blüthe wieder aufgehört
, und die römifche Miffion hat es auch hier fich