Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1898

Spalte:

268-271

Titel/Untertitel:

Novum Testamentum Graece. Praesertim in usum studiosorum recognovit et brevibus annotationibus instruxit J.M.S. Baljon. Vol. I 1898

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

267

Theologifche Literaturzeitung. 1S98. Nr. 10.

268

gefchloffen durch, nur nach dem Sinne abgetheilt; ein
feiner fchwebender Strich bezeichnet das Ende der am
Rande gezählten Verfe, eine untrüglich fiebere und dabei
nicht ftörende Art, Anführung und Nachfchlagen
zu ermöglichen. Von den Anmerkungen unter dem
Texte ift ein grofser Theil der Textkritik gewidmet, j
Jede Abweichung vom überlieferten Wortlaut ift hervorgehoben
, zwifchen Verbefferungen nach Textzeugen und
folchen aus freier Hand unterfchieden, daneben die
Ueberfetzung des mafforetifchen Textes dargeboten.
Ferner enthalten fie fachliche Erläuterungen jeder Art,
die durch reichliche Verweifungen auf andere Bibel-
ftellen geftützt und weitergeführt werden. Ueber das 1
Maafs des Gebotenen mag fich Breiten laffen; das löbliche
Streben nach möglichfter Kürze ift überall zu
merken, doch werden auch umfangreichere Auslaffungen
nicht gefcheut, wo es fich um grundlegende Dinge handelt
. Man vergleiche nur, dicht nebeneinander, die
fchönen Erläuterungen zu dem Begriff Wüfte und Heilig i
S. 144. 145. Im Ganzen wird viel geboten; auch der
Fachmann wird häufig mit Nutzen zu diefem fchönen |
Werke greifen, ja niemand von uns wird es ohne Schaden
entbehren können.

Am erften mag man zweifeln, ob es gerathen war,
vierzehn Jahre zwifchen den Beginn der Arbeit und der
Veröffentlichung zu legen. Natürlich war das nicht die
Abficht und wohl auch nicht die Erwartung der Mitarbeiter
. Wie viel Arbeit zu thun war und gethan ift,
zeigen allein die zahlreichen Vorarbeiten, die uns in der i
Theologisch Tijdsclirift geboten wurden. Der vorzeitige
Tod von Hooykaas und Kuenen hat vollends die Laft
der beiden Letzten erheblich vermehrt, und dafs in
einem Lande wie Holland diefe Lücken nicht leicht mit !
vollkommen gleich abgeftimmten Erfatzmännern ausgefüllt
werden konnten, ift begreiflich genug. Aber bei
alledem möchte den, der ebenfalls mitten in der Arbeit
fteht, ein leifes Grauen ankommen über die Nachträge
und Umarbeitungen, zu denen er fich entfchliefsen müfste,
wenn er ein forgfam verfafstes Manuscript erft nach j
fünf, zehn oder gar fünfzehn Jahren veröffentlichen I
follte. Wir können Oort nur beglückwünfehen zu der 1
Tapferkeit, mit der er diefe Gefahr auf fich genommen
hat, und wir wiffen, dafs er, wenn einer von uns, flets
auf dem Lugaus fteht und in der Lage ift, feinem Lefer-
kreife das wahrhaft Gute unter dem Neuen auch zugänglich
zu machen. Ob in den einzelnen Fällen, wo man
dies vermiffen könnte, wirklich etwas überfehen ift, oder
der Herausgeber es nicht giebt, weil er anderer Meinung
ift, läfst fich natürlich nicht entfeheiden. Um aber we-
nigftens ein Beifpiel zu geben, fei die F'rage aufgeworfen,
ob für nfii Gen 6, ig nicht doch die Bedeutung Dach i
ftatt Fenfter angenommen oder wenigftens erwähnt wäre,
wenn der Ueberfetzer fchon von dem häufigen Vorkommen
des Wortes in den Te/l-el-Amama-Briefen
in der Bedeutung Rücken gewufst hätte.

Mit grofser Freude nur kann man diefes neue Bibelwerk
begrüfsen und unferen niederdeutfehen Nachbarn
Glück dazu wünfehen. Ehre den bereits abgerufenen
Mitarbeitern, Ehre dem Vollftrecker ihres letzen Willens!
Mögen ihm doppelte Kräfte gefchenkt werden für die
grofse Aufgabe, und möge dankbare Benutzung des Gebotenen
feine Arbeit lohnen! Der äufsere Erfolg darf
fchon heute in Anbetracht der Verhältnifse ein grofser
genannt werden; denn die erften beiden Liften weifen
rund 750 Einzeichnungen auf. Faft gar nicht ift allerdings
Deutfchland darunter vertreten, und es wäre fehr
zu wünfehen, dafs die nächften Liften davon günftigeres
berichten könnten.

Strasburg i. E. K. Budde.

Novum Testamentum graece ad fidem testium vetustissi-
morum recognovit neenon variantes lectiones ex edi-
tionibus Elzeviriana et Tifchendoi fiana subiunxit Fr.
Schjott. Kopenhagen, G. E. C. Gad, 1897. (XI, 562 S.
gf. 8.) M. 9.—

Novum Testamentum Graece. Praesertim in usum studio-
sorum recognovit et brevibus annotationibus instruxit
J. M. S. Baijon. Vol. I., continens Evangelia Matthaei,
Marci, Lucae et Joannis. Groningen, J. B. Wolters,
1898. (XXIII, 320 S. 8.) M. 5.—

Der Eifer, mit dem jetzt auf textkritifchem Gebiete
gearbeitet wird, ift erftaunlich. Allerdings war feit Tifchen-
dorf in Deutfchland — von der wenig beachteten Bafeler
Ausgabe von Riggenbach und Stockmeyer 1880 ab-
gefehen — keine felbftftändige Ausgabe mehr veranftaltet
worden. Gregory fchrieb Prolegomena zu Tifchendorf,
v. Gebhardt begnügte fich Tifchendorf's Text die Ver-
gleichung der betten englifchen Ausgaben beizufügen.
Und immer noch wird von der englifchen Bibelgefellfchaft
der alte fchlechte Textus reeeptus colportirt und ift vermöge
des billigen Preifes wohl zu m Verdrufs aller Docenten
unausrottbar. Eine gute billige Textausgabe, womöglich
mit knappem kritifchen Apparat blieb dringendes Be-
dürfnifs. Die umfänglichen Textarbeiten von B. Weifs,
fo nützlich fie für Textkritik und Exegefe find; die katho-
lifchen Ausgaben von Brandfeheid (1893) und Hetzenauer
(1896), die fich ftark an Vidgata und Textus reeeptus
anlehnen (vgl. v. Gebhardt R E3 II 770), haben den
Mangel noch nicht ausgefüllt. Jetzt tritt — was wir mit
mit Freuden begrüfsen — die proteftantifche Theologie
unferer Nachbarländer mit felbftftändigen Ausgaben auf
den Plan.

Der dänifche Paftor auf Laland Fr. Schjott will eine
Schuld feiner Kirche dem Andenken des Bifchofs Andreas
Birch (| 1829) gegenüber abtragen, dem vielleicht auch
in R E3 einige Zeilen hätten gewidmet werden können.
Eine Feuersbrunft hat deffen verdienftvolle textkritifche Arbeiten
im Jahre 1795 unterbrochen und gröfstentheils zer-
ftört. Schjott unternimmt nun aufs Neue eine Textrecenfion,
freilich nicht nach Birch's Grundfätzen, fondern durchaus
auf der durch die neuere Forfchung gelegten Grundlage
. Aeufserlich flellt fich der ftattliche Band in Grofs-
Octav etwa der gröfseren Ausgabe von Gebhardt's zur
Seite. Die fchönen grofsen Typen lefen fich fehr angenehm
. Auch der Apparat ift klar und durch Typen
verfchiedener Gröfse überfichtlich in drei Theile zerlegt:
einer Collation der wichtigften Majuskeln folgt ein Ver-
zeichnifs der Abweichungen vom textus reeeptus, welches
Schjott mit dem fehr richtigen Hinweis darauf einführt,
dafs diefer doch die Grundlage aller volksthümlichen
Ueberfetzungen der Reformationszeit fei. Auch für
künftige deutfehe Ausgaben wäre eine genaue Collation
des von Luther benutzten griechifchen Textes recht
wünfehenswerth. An dritter Stelle feehen die Varianten
von Tifchendorf's Ausgabe letzter Hand. In der 2. Co-
lumne z. B. — und nur in ihr — finden wir hier ganz
confequent Mc. 16,9 —20, Joh. 7,53—8, is> 1. Joh. 5,7 f., Rom.
16, 24, dagegen fteht Lc.22,43 im Text in Klammern, ebenfo
devTSQOjrocözm Lc. 6, 1. Lc. 24, 12 gilt als völlig echt.

Schjott hat von feinem Lehrer Ed. Reufs den Gedanken
überkommen, Tifchendorf's Reichthum mit Lach;
mann's ftrenger .fozufagen mathematifcher Methode' zu
verbinden. Tifchendorf überfchätzt », Weftcott-Hort B,
Schjott glaubt das Heilmittel darin gefunden zu haben,
dafs der Confenfus von «B allerdings entfeheidend ift,
wo beide Hauptzeugen aber auseinandergehen, der zu
bevorzugen ift, dem der nächft ältefte Zeuge (meift C,
vereinzelt A und D paul) zur Seite tritt. So befagt der
Apparat zu Mc. 1, 1: X om. viov d-eov D, d. h. X läfst zwar
vlov &£ov aus, aber durch D ift die Lesart von B gefichert.