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Ausgabe:

1898 Nr. 9

Spalte:

250-252

Autor/Hrsg.:

Huck, Chrysostomus

Titel/Untertitel:

Dogmenhistorischer Beitrag zur Geschichte der Waldenser 1898

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 9.

250

entgegentreten zu muffen und hält mit Walch und I ftändig an eigener, perfönlicher religiöfer Erfahrung
Schroeckh (f. auch Giefeler I3 426) die Anficht von de I fehlt'. Auf der anderen Seite fchreibt er: ,So aber
Rubeis für wahrfcheinlicher, dafs der Adreffat Paulinus j wollte er an feinem Gott nicht irre und treubrüchig
von Aquileja und die Schreiber norditalifche Bifchöfe ; werden, auch wenn dieferhienieden viele Not über ihn kom-
gewefen feien. Dafs er dabei die Beweisführung men liefs; er wollte an ihm fefthalten, kofte es was es wolle,
Garnier's als ,ein wahres Meifterftück jefuitifcher Dialektik' um dereinft mit unbeflecktem Gewiffen vor ihm erfcheinen
bezeichnet, ift etwas überflüffige Kraftverfchwendung. zu dürfen, und von dem gerechten Vergelter würdig
Da wäre mancher gutproteflantifche Gelehrte in ähn- belohnt werden zu können'. Wenn aus diefem letzten
lichem Falle ein fchlimmer Jefuit. Zwei nur von Beda Satz, deffen Formulirung übrigens bedenklich unjulianifch
erwähnte Schriften J.'s, einen Commentar über das klingt und für den Br. auch keine Belege hat, auf eine
Hohelied und eine Schrift de bono constantiac (möglicher wirklich religiöfe Ueberzeugung gefchloffen werden
Weife nur der Epilog des Commentars), hält Br. für echt, j foll, fo gefchieht es mit Unrecht. War Julian's Lehre
Anfcheinend mit Recht; die Fragmente, die S. 741. voll- am tiefflen Grunde gottlos' (Harnack), was Bruckner
Bändig mitgetheilt werden, geben mir wenigftens keinen : unterfchreibt, fo wird man auch nicht behaupten dürfen,
Anlafs, diefer Annahme zu widerfprechen. Vcrdienftlich ! dafs ,der Glaube an den gerechten und heiligen Gott
ift das von Julian als Gelehrtem' handelnde Capitel. ; feine Religion', er felbft ,fromm und gottesfürchtig' ge-
Befonders die Ausführungen über J.'s Methode (Kate- j wefen fei. Das pafst nun einmal nicht zu einander. Um

fo mehr aber darf man mit Bruckner betonen, dafs uns
Julian ,durch fein energifches fittliches Gefühl, durch
das Bewufstfein feines hohen Berufes und die feite

gorien) find von grofsem Intereffe. In der That darf
man ja fagen, dafs fich uns hier ,zugleich die ganze
Stärke und ganze Schwäche feiner Denkart offenbart,

einerfeits eine fcharf ausgebildete, mit allen Regeln der : Ueberzeugung von der Wahrheit feiner Lehre, fowie
Kunft ausgeführte und mit einer erftaunlichen Leichtig- j durch die Confequenz und den Scharffinn, mit denen

er feine Sätze ausführt und begründet, Bewunderung
abnötigt'.

Giefsen. G. Krüger.

keit gehandhabte Logik und andrerfeits die fatale Ueberzeugung
, alle religiöfen und fittlichen Gröfsen mathe-
matifch beftimmen und demgemäfs wie mit Zahlen mit
ihnen rechnen zu können' (S. 95).

Ueber den zweiten Theil der Arbeit kann ich mich
kurz faffen. Die Darftellung der Lehre Julian's (1. Capitel: Huck, Gymn.-Relig.-Lehr. Dr. Chryfoftomus, Dogmeilhistu-
Julians Stellung zu Schrift und Tradition; 2. Capitel: rischer Beitrag zur Geschichte der Waldenser. Nach den
die antiauguftinifchen.Hauptlehren J.'s) ifl: übersichtlich, Quellen bearb. Freiburg i. B., Herder, 1897. (VII,
vollftändig und wird der grofsen Bedeutung der pole- 88 S. gr 8) M 2 —

Die Arbeit begründet ihr Erfcheinen damit, dafs

mifchen Ausführungen vollkommen gerecht, ohne dafs
die Kritik zu kurz gekommen wäre. Nicht ganz verbanden
habe ich die Behauptung (S. 155 N. 2), dafs J.
dem Apollinarismus nicht fo fern flehe, ja dafs diefer

proteftantifche Autoren die älteften und zuverläffigften
katholifchen Schriftfteller faft ganz beifeite liegen liefsen

in der Confequenz feines Syftems liegen könne, ,wenn ! und aus der fpäteren tendenziöfen waldenfifchen Literatur
wir nämlich alle mit Gott die Vernunft gemeinfam fchöpften, die katholifchen Gelehrten aber das Waldenfer-

haben, und ihre Gröfse über den Grad unferer Gottver- | thum überhaupt nicht quellenmäfsig prüften. _ Schon

wandtfehaft entfeheidet, und die thierifche Natur Julian j diefe Anklage gegen uns Evangelifche ift erftaunlich:
felbft fchon als eigentümlich belebt gilt'. Es fei darum j fie wäre berechtigt, wenn fie vor etwa 50 Jahren erhoben

nicht unmöglich, dafs J. mit der zur Zeit feines Aufenthaltes
in KP. fich auf's Neue regenden apollinariftifchen
Härefie in irgend einer Verbindung geftanden habe.
Aber die angedeutete Aehnlichkeit, wenn überhaupt

worden wäre, ehe Dieckhoff's Buch erfchienen ift. Davon
dafs es feither ganz anders geworden ift, erfährt
der Lefer nichts. Von den .tendenziöfen' fpäteren
Waldenferfchriften aber weifs der Vf. übrigens gar nichts,

vorhanden, ift doch lediglich eine formale, und bei der als was wir .Proteftanten' darüber erforfcht haben. Die

von der apollinariftifchen fo völlig verfchiedenen Geiftes
art Julian's fcheint mir folche Hypothefe ganz unannehmbar
.

Noch ein Wort zur allgemeinen Beurtheilung Julian's.
Bruckner fchliefst feine Arbeit mit dem .begeifterten
Ausruf Harnack's, in den er ,mit voller Ueberzeugung'
einftimmt: Vergegenwärtigt man fich die ungemeinen
Eigenfchaften beider fo hervorragender Gegner, fo wünfeht

neufte und wichtigfte Arbeit des Bonner Romaniften
Förfter kennt er gar nicht (f. z. B. S. 9f.) und S. 36
werden die Schriften ,Vertnsl und ,Cantica' citirt, die
ganz ficher nichts anderes find als Ueberfetzungen
katholifcher Tractate. Der Verfaffer baut aber aufser-
dem feine Schrift faft ausfchliefslich auf einige Quellen-
fchriften, die der von ihm mit Recht gerühmte Jefuit
Gretser herausgegeben hat, Pilichdorf, Eberhard von

man, die Natur hätte aus ihnen einen Mann gemacht. Bethune, Bernhard von Fontcaude und Ermengard. Von
Welch' ein Mann wäre das geworden!' Ich mufs für i ihnen find die drei erften fchon bisher vollftändig aus

meine Pcrfon geftehen, dafs ich folchen Wunfeh nicht
hegen könnte. Der Gedanke, Auguftin und Julian in
eins zu fehen, hat — ganz abgefehen davon, dafs er
eine contradictio in adiecto enthält: denn Auguftin plus
Julian wäre ein Bockhirfch, ein Minotaur — nichts Verlockendes
. Im Gegtntheil, ich empfinde es jedes Mal,

genutzt, nur kritifcher als vom Verf.; Ermengard aber ift
nur deshalb bei Seite gelaffen worden, weil er fich nicht mit
den Waldenfern befchäftigt, fondern mit den Katharem.
Das weifs auch der Verf. Aber nach Friedrich II.
haben alle diefe Secten zwar facies diversas, sed caicdas
ad invicem colligatas; ein urfprünglicher und wefentlicher

wenn ich in der Vorlefung an fie komme, als befonders Gegenfatz befteht alfo nicht. So benutzt er denn auch
wohlthuend, diefe beiden Gegner aufeinander prallen zu | Ermengard ruhig als Quelle zur ,Ergänzung' der andern,
fehen; man hat ein folches Schaufpiel nicht allzuoft in wenn er auch des öfteren hervorhebt, dafs das eigent-
der Gefchichte. Bruckner fcheint mir in feiner Gefammt- j lieh von den Katharern gelte. Alle anderen Quellen
charakteriftik die Contrafte noch nicht fcharf genug zu | werden kaum herangezogen; am eheften noch Döllinger's
betonen, auch in feinem Urtheil nicht confequent zu ■ Urkundenbuch. David von Augsburg mufs er nach
fein. Auf der einen Seite fagt er von Julian: ,In all j Comba citiren (S. 47); die grofse Maffe kommt überhaupt
diefen noch fo fcharffinnigen und confequenten Erörter- nicht vor. Er hat offenbar aufser einigen Darftellungen
ungen und Beftimmungen fpricht nur fein Verftand, | faft nur feine .auetores Gretserian? gelefen.
während fein Herz und fein Gemüt vollftändig fchweigt' j In Bezug auf die .Lehren' der Waidenfer ift es faft
und .trotz aller feiner noch fo überzeugten Worte fühlt beluftigend zu fehen, wie der Verf. feine neuen Ergeb-
man es doch deutlich heraus, dafs es ihm faft (?) voll- | nifse gewinnt. Sie wenden fich meiftens gegen mich.